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Brecht-Pflege in Augsburg

Die einzige regelmäßig erscheinende Zeitschrift, die sich mit Bertolt Brecht beschäftigt, erscheint in seinem Geburtsort Augsburg. Sie heißt Dreigroschenheft, bezeichnet sich selbst als eine Mischung aus Fachzeitschrift und Fanmagazin und kann natürlich nicht nur für drei Groschen gemacht werden. 3 Euro, das ist schon realistischer und reicht trotzdem nicht, zumal alte Anzeigenkunden, etwa der Suhrkamp-Verlag abgesprungen sind, was den Herausgebern im letzten Jahr schweres Kopfzerbrechen machte. Aber jetzt hat die Stadt Augsburg ihren Zuschuss verdoppelt, die Stadtwerke gaben noch was zur Überbrückung dazu, und das 3-Groschenheft kann seinen 10. Geburtstag feiern.

Von Christian Gampert | 29.08.2004
    Viermal im Jahr erscheint in Augsburg eine Zeitschrift, die sich ganz dem Helden Bertolt Brecht verschrieben hat – das "Dreigroschenheft", eine manchmal kuriose, aber anregende Mischung aus Fan-Postille und Wissenschaftsmagazin, aus lokalpatriotischer Brechtpflege und Diskussionsforum für die neueste Brecht-Forschung.

    Das Dreigroschenheft kostet mittlerweile 3 Euro und hat trotzdem die branchenüblichen Finanzprobleme – aber die Stadt Augsburg sprang jetzt in die Bresche und verdoppelte ihren Zuschuss. Denn das "Dreigroschenheft" trägt auch zum Renommee der Brecht-Geburtsstadt bei – rund 900 Abonnenten im In- und Ausland, hauptsächlich Brecht-Forscher an Universitäten, aber eben auch eingefleischte Privat-Brechtologen, lesen das Magazin; der Gesamtverkauf liegt momentan bei 3000 Exemplaren.

    Gründer ist der Augsburger Buchhändler Kurt Idrizovic. Als nach der Wende die alte DDR-Brecht-Zeitschrift "Notate" einging, meinte Idrizovic, dass man das nicht so akzeptieren könne:

    Es gab nach der Wende eine bedauerliche Brecht-Lücke in der wissenschaftlichen Kommunikation, dadurch, dass das Brecht-Zentrum im Osten von Berlin mehr oder weniger zusammengebrochen ist; und da lag es natürlich auf der Hand, dass man diese Kommunikation wieder aufnimmt. Es gab ein Medium damals, die "Notate"; das ist aber auch zerstört worden. Und wir haben uns gedacht, in der Geburtsstadt des Bertolt Brecht kann so etwas wieder entstehen…

    Und das Dreigroschenheft bietet eben Themen, die man im normalen Feuilleton nicht findet: Aufsätze über Brecht-Inszenierungen in Rumänien oder Schweden, Berichte aus der von Jan Knopf geleiteten "Arbeitsstelle Bertolt Brecht" in Karlsruhe, hochspezialisierte Essays (z.B. über Kurt Weill oder, von dem Kritiker Ulrich Fischer, über Brechts "Mahagonny" als "Lehrstück über das Wesen des Zivilrechts"). Ganz wesentlich ist aber auch die Aufarbeitung von Neuerscheinungen über Brecht, sagt Chefredakteurin Christiane Hempel:

    Einer unserer Schwerpunkte liegt bei den Rezensionen, vorrangig über den Buchmarkt und den CD-Markt. Was da an deutschsprachigen Publikationen zu Brecht erscheint, das wird bei uns komplett besprochen; da haben wir auch feste Rezensenten. Der Theaterbereich – das läuft immer noch ein bisschen nebenher; allerdings: diese Geschichten aus Schweden oder dem übrigen Europa oder auch aus Übersee, die haben wir gerne drin, weil unser Lesepublikum überwiegend im Ausland lebt und die einfach über uns kommunizieren können.

    Manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass in dieser Zeitschrift auch Hahnenkämpfe unter Brecht-Forschern ausgetragen werden – es gibt etwa raumgreifende Leserbrief-Debatten über den "Spieltypus Lehrstück" oder seitenlange Richtigstellungen, wenn bei einer Augsburg-Begehung die Hausnummern der Brechthäuser nicht stimmen oder trotz mangelnder Beweise die Behauptung aufgestellt wird, Brecht habe das Augsburger Freudenhaus besucht.

    Aber das sind Kuriosa. Das im Sommer zum 10jährigen Bestehen der Zeitschrift erschienene Heft widmet sich sehr seriös dem Schwerpunkt-Thema "Brecht in der Schweiz". Ob die von dem Germanisten Werner Wüthrich aufgefundenen 15 neuen Keuner-Geschichten nun wirklich so wichtig sind, sei einmal dahingestellt – aber man erfährt manches Detail über die eher desolaten Lebensumstände der Familie Brecht im Exil und über die rührende Überwachungstätigkeit der Schweizer Behörden.

    Die Arbeitsorte, die Häuser Brechts aufzusuchen und ihren heutigen Zustand zu untersuchen, von der Schweiz bis Finnland – das ist eine Leidenschaft der Dreigroschenheftler.

    Wir wollten gern die Häuser zeigen, die Brecht von seiner Kindheit bis hin zur Spätphase in Berlin bewohnt hat, also wie sein Weg war, und vor allem: wie diese Häuser heute aussehen. Aufgrund des 15jährigen Exils von Brecht und seiner Familie sind da natürlich viele Orte beschrieben worden – und das ist in dieser Form der Publikation durchaus einmalig.

    Und bei diesen Recherchen stellt sich oft Seltsames heraus: im Turm von Buckow bei Berlin hat momentan ein gewisser Gregor Gysi sein Wochenend-Domizil – und der gibt dann bereitwillig ein Interview zur Geschichte des Heiligtums.

    In einer anderen Artikelfolge wird begutachtet, wie bildende Künstler wie Jörg Scherkamp oder Gabriele Mucchi Brecht-Themen umsetzen – und in manchmal erregten Repliken verwahrt man sich gegen die vor allem von dem Amerikaner John Fuegi verbreitete Ansicht, Brecht habe die Frauen nur ausgebeutet.

    Man wolle diese Diskussion versachlichen, sagt Herausgeber Idrizovic; und das Dreigroschenheft sei eben eine Plattform, auf der Brechtforscher aller Nationalitäten sich treffen könnten.

    Die Liste der Dreigroschenheft-Autoren ist sehr respektabel – sie reicht von Christoph Ransmayr bis Jan Knopf, von Sabine Kebir bis Werner Wüthrich. Man findet das Blatt übrigens nicht nur in der Universitäts-Bibliothek, sondern auch im freien Verkauf – vor allem in Bahnhöfen und Flughäfen. Gleich neben der Tagespresse.

    Weitere Informationen zum "Dreigroschenheft" unter www.bert-brecht.com.