"Der Baggersee ist sehr beliebt. Erst mal wegen seiner schönen Wasserqualität, und zweitens ist er auch ein sozialer Treffpunkt, und zwar ein sozialer Treffpunkt, wie kein Verein ihn bieten kann. Da treffen sich Leute aus verschiedenen Schichten, verschiedene Altersgruppen, vom Baby bis zum Rentner, von der Hartz-IV-Empfängerin bis zur großen Unternehmerin mit’m Sechszylinder. Die liegen dann nebeneinander auf der Wiese und reden miteinander, und wenn’s nur ums Wasser oder um die Sonne geht. Und so Leute würden sich im richtigen Leben niemals begegnen und nie ein Wort miteinander reden. Und das find ich so schön an unserm Baggersee."
Niederrimsingen, wenige Kilometer entfernt von Freiburg. Gleich hinter den Weinbergen liegt Merdingen, einst Heimat von Jan Ullrich. Die Gegend wirkt idyllisch. Bis Bauingenieur Gustav Rosa zeigt, was einmal eine Liegewiese am Baggersee war und nun, Ende März, aussieht wie eine Reihe Schützengräben. So ähnlich verhält es sich mit der Stadt Freiburg, von der manche sagen, sie sei wegen ihrer beschaulichen Abgelegenheit ausgewählt worden als sportmedizinische Zentrale der Bundesrepublik. Andere sagen: wegen ihrer Tradition.
Früh befasste man sich an der Albert-Ludwigs-Universität mit Leistungsmaximierung. Herbert Reindell war ab 1941 Chefmediziner, seit den 50ern Olympiaarzt, danach Präsident des Deutschen Sportärztebundes. Joseph Keul folgte ihm auf allen drei Posten. Armin Klümper, für Spitzensportler nur "der Doc", bekam eine eigene Klinik aus Steuermitteln. Doping, bei hier betreuten Athleten, gab es immer. Einzelfälle, hieß das dann. Erst 2007, als Georg Huber, auch er Olympiaarzt, Andreas Schmid und Lothar Heinrich Radsport-Doping einräumten, taten sich Gräben auf im Bild, das eine Lobby aus Politikern, Beamten und Sportfunktionären gern pflegte von der Breisgauer Mediziner-Elite. Oder eher kleine Risse. Denn hier gelten nun diese drei Ärzte als: Einzelfälle.
Zurück zu den richtigen Gräben. Im See baut die Firma Hermann Peter KG Kies ab. Das Werk liegt am anderen Ufer, der neue Bagger brummt im Hintergrund. Auch hier gibt es ein Problem mit Lobbyisten. Vielleicht mit denselben. Offiziell hat das Landratsamt die Zerstörung der Wiese genehmigt und Dorfbewohner zu Wutbürgern gemacht:
"Da muss jemand zeigen, dass er den größten Bagger hat. In meinen Augen sind das Machtspiele. Das ist auch Maßnahme sechs, und Maßnahme eins bis fünf sind zum Teil oder gar nicht erfüllt, und die sind eigentlich viel wichtiger. Mit der 400 Meter langen Flachwasserzone und all so Sachen. Oder Renaturierung und Wiederaufforstung – die Maßnahmen sind nicht erfüllt worden. Aber diese Maßnahme, die die Badegäste ärgert oder die Besucher ärgert, die ist doppelt und dreifach durchgezogen worden, total überhöht auch. Weil, auf dem Plan fängt sie siebzig, achtzig Meter weiter hinten an."
Der "Kiespeter", sagt man hier über den Firmenchef, genieße Narrenfreiheit. Derzeit will er die Abbaugenehmigung erweitern lassen. Mit der gültigen, sie sollte bis 2018 reichen, kommt er angeblich nur noch zwei Jahre hin. Für Gustav Rosa steht schon fest, wie das ausgeht. Hätte Peter sonst den neuen Bagger aufs Wasser gesetzt? In Niederrimsingen meint man zu wissen, wer die "Kieser" stützt:
"Bei der letzten Landtagswahl sind die LKW der Firma Hermann Peter KG mit großer Wahlwerbung für Herrn Gundolf Fleischer und für die CDU durch die Gegend gefahren. War schon deutlich, also man konnte gut sehen, in welche Richtung das geht. In diesem Jahr hat er sich zurückgehalten. Ich hab keine Laster mit Wahlwerbung gesehen."
Gundolf Fleischer kandidierte nicht mehr für den Landtag. Das Ende einer Ära. 37 Jahre lang vertrat er den Wahlkreis Breisgau-Hochschwarzwald, war schon unter Hans Filbinger Generalsekretär der Landes-CDU und seit Lothar Späth Staatssekretär in vier Ministerien. "Fleischerismus" nannte man seinen Politstil. In Stuttgart machte er viel Geld für den Wahlkreis locker und ließ sich dann persönlich dafür feiern. Nur Wenige spotteten über den "Sonnenkönig von Südbaden".
Anfang 2010 sank die Sonne – "Gundolfdämmerung" titelte dann das Lokalblatt, die "Badische Zeitung". Staatsanwälte interessierten sich für die Finanzen seines CDU-Kreisverbandes. Und bekannt wurde, wie Fleischer Bauprojekte zum Hochwasserschutz am Oberrhein verzögert hatte – zugunsten der heimischen Kiesbarone. Die wiederum hatten gespendet, an Fleischers klamme Kreis-CDU und die Landespartei.
"Unsere Einstellung zu Doping ist ja bekannt, und jeder von uns ist Zeit seines Lebens in aller Klarheit auch dagegen angegangen, im Rahmen dessen, was man überhaupt eben tun kann. Und das war für uns natürlich schon ein Schock und eine Belastung, als wir das erfahren haben. Wieso haben wir das nicht mitbekommen? Konnten wir gar nicht. Das war der Profibereich. Das hat ja mit dem Olympiastützpunkt überhaupt nichts zu tun gehabt, die Telekom. Ich hab beispielsweise Jan Ullrich auch nur gesehen, wenn er einen großen Erfolg hatte und nachher die Gemeinde Merdingen für ihn einen Empfang gegeben hat."
Im Sport bleibt Gundolf Fleischer unumstrittenes Schwergewicht. Als Trägervereins-Vorsitzender am Olympiastützpunkt, seit 1995 als Präsident des Badischen Sportbundes. Schon in den 70ern war er sportpolitischer Sprecher seiner Partei. Man ist ein wenig überrascht, dass er, der den Aufstieg Freiburgs zur Hochburg der Sportmedizin so eng begleitete, kaum zu tun hatte mit ihren Protagonisten. Vom Klümper-Cocktail habe er gehört – aber, versichert er, ein Schoppen Gutedel sei ihm lieber. Mit Georg Huber sei er befreundet, aber nur privat. Und Joseph Keul? Keul, sagt Fleischer, war ja Präsident des Sportärzte-Bundes in Baden-Württemberg:
"Und da hatten wir dann vor allem natürlich immer über finanzielle Fragen eben zu sprechen. Das ging’s eben um Landeshaushaltsfragen und solche Geschichten. Ich erinnere mich konkret an zwei Besuche, die ich bei ihm in Sportinstitut gemacht hab, wo’s eben um finanzielle Fragen gegangen ist."
Im Nachruf auf Keul vor elf Jahren klang das viel persönlicher. Da schrieb Fleischer: "Jupp war ein Freund." Fredy Stober, langjähriges NOK-Mitglied aus Freiburg, nannte Fleischer den "immer präsenten politischen Macher" hinter der Sportmedizin. Gemeinsam habe man auch die Berufung von Keul-Nachfolger Hans-Hermann Dickhuth durchgesetzt.
Sport und Kies – ist beides in Niederrimsingen verknüpft? Im Freiburger Regierungspräsidium erinnert man sich gut, wie Fleischer Ende der 90er Jahre mehrfach mit Thomas Birkenmeier vorsprach. Dessen Firma "Stein und Design" liegt auch am Baggersee. Birkenmeier bezieht Kies von Peter. Fleischer und er drängten auf Abbau ins zweite Grundwasserstockwerk. Hier, wo das größte und besonders geschützte Grundwasservorkommen der Gegend liegt. Birkenmeier ist auch Miteigentümer der Rheintalklinik in Bad Krozingen. Dort kam Dopingarzt Andreas Schmid unter, nach der Entlassung von der Uni. Galt Schmid als unsicherer Kantonist, der mit dem Job ruhig gestellt werden sollte? Hat Kieser Birkenmeier Fleischer damit etwas zurückgegeben, diesmal dem Sportfunktionär?
Fleischer sagt, er kannte Schmid nicht. Dass der auch die Fußballer des SC Freiburg verarztete, hat er, seit den 60ern im Verein engagiert, spät gehört, vom inzwischen verstorbenen Präsidenten des Bundesligisten:
"Das hab ich erst erfahren, als gegen Schmid ermittelt wurde und der Achim Stocker sich ganz auf die Seite von Schmid damals in der Öffentlichkeit gestellt hat und gesagt hat: ’Mensch, das ist doch ein prima Kerl, und was wollt ihr denn!’ ... und eben viel Sympathie ihm gegenüber. Da hab ich dabei erfahren, dass er, damals war Finke hier noch Trainer, dass er eben hier auch Mannschaftsarzt gewesen ist. Meine Funktion: Ich bin Vorsitzender vom Wahlausschuss. Das ist so’n Mini-Aufsichtsrat, den der DFB vorgeschrieben hat. Aber mit dem rein operativen Bereich hab ich natürlich überhaupt nichts. Ich meine, man trifft sich ab und zu und spricht. Oder auch Spieler, die man dann ab und zu mal trifft. Weihnachtsfeier, wo man dann auch eingeladen wird ..."
Bei Feiern ist Fleischer dem Doktor nie begegnet. Nur in Bad Krozingen. In der Klinik von Birkenmeier lässt er sich seit Jahren von einer Physiotherapeutin behandeln:
"Dann war ich einmal - jetzt komm ich zu Schmid, den ich ja nicht kannte -, mir wurd’s auf einmal schlecht während meiner Behandlung bei der Frau Wohlburg. Und die hat bisschen Angst gehabt, dass ich nen Herzkasperle krieg. Und die hat nachher nach oben telefoniert, dass sie doch bitte einen Arzt runterschicken. Dann kam ein Arzt, den ich wie gesagt nicht kannte, der dann bei mir den Puls gemessen hat und einige Untersuchungen durchgeführt, wie man’s macht, wenn so etwas im Raum steht. Er kannte wahrscheinlich mich. Weil, er hat mich dann immer so angeschaut. Übrigens ein sehr sympathischer Mann, kann man wirklich nicht anders sagen, also ich versteh da den Achim Stocker gut. Und nachher hat er sich dann geoutet und hat sich zu erkennen gegeben. Ich: ’Nein, jetzt liege ich hier auf dem Wagen, und dann lerne ich ausgerechnet Sie jetzt hier auch kennen!’ Aber er hat mich prima behandelt, wirklich sehr gut behandelt und ist dann wieder weggegangen. Ich hab keinen Herzinfarkt gehabt. Und ich hab ihn auch seitdem dann nie mehr gesehen."
Hatte Fleischer nichts zu tun mit der Unterbringung von Schmid in der Rheintalklinik?
"Keine Rede! Ich hab in keiner Weise dabei mitgewirkt."
In der Rathaus-Apotheke in Elzach, nördlich von Freiburg, waren die Doping-Ärzte Stammkunden. Dort bezogen sie Epo. Im selben Haus hat ein Bruder Gundolf Fleischers seine Arztpraxis. Wusste Fleischer davon?
"Das ist nicht zu fassen! Ich weiß auch nicht, dass die Praxis meines Bruders, der eine Praxis in Elzach hat, dass die über der Apotheke liegt. Also. Das hat überhaupt nichts damit zu tun!"
Der Bruder promovierte 1980 an der Uni, an der "Abteilung Leistungs- und Sportmedizin". Erster Gutachter war Joseph Keul. - Viele Zufälle verbinden Gundolf Fleischer mit der Sportmedizin. Falsche Fährten, allesamt? Wir hätten gern Andreas Schmid gefragt. Doch der schweigt, auch gegenüber Journalisten. Das übermittelt sein Anwalt. Es ist derselbe, der Gundolf Fleischer vertritt.
Schmid arbeitet nicht mehr in der Rheintalklinik. Ihm wurden kürzlich "die Räume gekündigt", behauptet der Geschäftsführer. Und dass Schmid nie angestellt war, bloß seine private Praxis hier betrieb. Als wir im Winter die Klinik besucht haben, wies nirgendwo ein Schild auf diese Praxis hin. Patienten erzählten, ja, der Doktor Schmid sei auf der Station Innere Medizin. Die Rheintalklinik, dies ist am Hintereingang vermerkt, gehört zum Reha-Netzverbund des Uniklinikums. Das überweist Patienten. Und: Die Privatklinik ist Ausbildungskrankenhaus für Studenten. Schmids Wirken dort war in Freiburg bekannt, Zeitungen berichteten. Der Universität kann das kaum entgangen sein. Druck machte sie erst, nachdem der Deutschlandfunk Ende 2010 anfragte. Wie, wollten wir wissen, lässt sich das vereinbaren mit dem neuen "Anti-Doping-Konzept" des Uniklinikums? Das besagt zum Beispiel: Die Lehre, in Medizin und Sportwissenschaft, soll Bewusstsein wecken gegen Leistungsmanipulation.
Angehende Trainer studieren am Institut für Sport und Sportwissenschaften, kurz IfSS. Kommt das Thema Doping vor? Institutsdirektor Albert Gollhofer:
"Ich bin Physiker, Biomechaniker und bin von Natur aus eigentlich kein Biochemiker. Und zu blöd, die Facetten genau rüberzubringen. Wir haben in der Trainingswissenschaft schon so Eckpunkte, wo man sagen kann, wo die biologischen Limits sitzen, und dass man natürlich auch jetzt durch ein verstärktes Testosteronprofil ein verstärktes Muskeldickenwachstum oder ne beschleunigte Regeneration kriegt."
Die Mediziner würden das Thema wohl einbeziehen, glaubt er. Im Fach Ethik könne es vorkommen. Die Wochenzeitung "Die Zeit" setzte Gollhofers Institut gerade auf Platz 1 ihres Rankings. Der Professor sagt, Weltspitze sei man in der Sportmotorik, der neuromuskulären Forschung. Gollhofer hält auch einen Gesellschafteranteil an der Radlabor GmbH. Die Firma wurde 2007 ausgegründet aus dem IfSS, kurz nach dem Telekom-Skandal. Sie wirbt auch mit dem, womit die Universität offiziell nichts mehr zu tun hat: mit der Betreuung von Radprofis. Als der Deutschlandfunk Anfang März berichtete, protestierten Gollhofer und Björn Stapelfeldt, der Firmenchef. Stapelfeldt zeigt nun Existenzgründeranträge von 2005. Beim Rundgang sagt er, Leistungsdiagnostik sei nur ein Geschäftsfeld:
"Wir haben hier in der Mitte Sitzposition, Biomechanik. Wir setzen den Menschen aufs Rad, messen Pedalkräfte, können Videoanalyse betreiben. Und wir haben hier verschiedene Trainingsprogramme, die sich an unterschiedliche Klientel richten: Fitnesssportler, Gesundheitssportler, Unternehmer, die irgendwas verbessern wollen. Und hintendrauf haben wir die Preise."
Die Radlabor GmbH entwickelt Messgeräte, die sie weltweit verkauft. Für den Bund Deutscher Radfahrer betreut sie Athleten. Profis nur noch vereinzelt. Stapelfeldt fühlt sich betrogen von den Ärzten, mit denen er arbeitete, und von den einstigen Stars, die auf seinen Geräten saßen:
"Woher wissen wir, welche Leistungen überhaupt möglich sind? Wenn man in Lehrbücher schaut, dann gab’s schon, als Epo noch gar kein Thema war, Sauerstoffaufnahmen von 90. Wurden von Radfahrern, von Ruderern berichtet."
Gollhofer leitete ein Projekt im "Arbeitskreis Dopingfreier Sport", über den ab 1998 der Telekom-Konzern offiziell Forschung im Dienste der Sauberkeit finanzierte: "Leistungsdiagnostische Betreuung im Radsport – Team Telekom". Trainingsprogramme sollten geliefert werden. War es in Freiburg ganz anders als etwa in der ostdeutschen Sportforschungszentrale Leipzig, wo Trainingsmethodik auf Dopingkuren aufbaute? Waren keine seltsamen Leistungssprünge bemerkbar? Dafür müsse man, sagt Gollhofer, Sportler lange beobachten.
"Wir hatten die Leute projektbezogen bei uns, und wir hatten die immer so punktuell gesehen."
Die Projektdarstellung besagt etwas anderes: "Regelmäßig", heißt es darin, würden "die Athleten des Team Telekom leistungsdiagnostisch erfasst"; "langfristig" die Daten im Radlabor dokumentiert. Kurz nach dem Gespräch geht uns ein internes Protokoll zu. Verklausuliert ist die Rede von "Ereignissen in der Sportmedizin", die nun Einfluss hätten auf Institut und Radlabor. Das Rektorat habe jetzt "strukturelle Entflechtung" angeordnet. Heißt: Gollhofer wird nicht mehr Gesellschafter im Radlabor bleiben und Stapelfeldt nicht mehr am Sportinstitut angestellt.
Die Ergebnisberichte des Telekom-Arbeitskreises wären nützlich für die Große Kommission mit der Kriminologie-Professorin Letizia Paoli an der Spitze. Sie prüft die wissenschaftliche Arbeit der Sportmediziner auf Dopingrelevanz. Die Papiere seien unauffindbar, teilt die Uni mit. Einige Projekttitel riechen nach Beihilfe zum Doping. Dem Projektleiter Andreas Schmid etwa sponserte die Telekom Erkundungen zur "prospektiven" Analyse von Parametern für den indirekten Epo-Nachweis. Mit derlei Vorsorge ermittelt die Szene auch Abklingraten.
Die Kommission geht komplizierten Fragen nach. Eine: Schmid, der so genannte Einzelfall, forschte mit vielen Kollegen; die meisten sind noch an der Uni. Welchen Anteil hatten sie? Oder: Welche Expertise erwarben hier jene Doktoren, die heute bundesweit Lehrstühle besetzen und Athleten betreuen? Einfach wird das nicht. Noch ist offen, ob das Rektorat eher Rufschaden begrenzen will oder tatsächlich an Wahrheitsfindung interessiert ist. Letzten Sommer ließ man ein Rechtsgutachten anfertigen. Dem Deutschlandfunk liegt es vor.
Es sperrt Unterlagen der Kleinen Doping-Kommission, die 2009 zum Telekom-Team berichtete, für die Große. Hauptgrund: Datenschutzgesetze. Nur Gutgläubige werden am Gutachter keinen Beigeschmack finden: Der Anwalt aus der Kanzlei Graf von Westphalen vertritt die Uni oft; er steht dem Verein "Freunde der Rechtswissenschaftlichen Fakultät" vor. Verwehrt wird der Paoli-Kommission auch Einsicht in die Personalakten von Armin Klümper und Joseph Keul.
Mit Keul ist eine zentrale Frage verknüpft. Stimmt, was die Kleine Kommission feststellte? Dass Keul zwar Doping verharmloste, sich auch am Versand von Mitteln an Athleten beteiligte, dass ihm aber sonst nichts vorzuwerfen ist? Ging der Epo-Einsatz, angeblich erst ab 1996 und nur im Radsport, wirklich auf seine Schüler Schmid und Heinrich zurück? Ihr Meister interessierte sich beizeiten für den Stoff: Der sei "bei richtiger Anwendung ungefährlich" und könne "das Höhentraining durchaus ersetzen", dozierte Keul 1991. Epo war neu damals. Woher wusste der Sportmediziner das?
An der Uni gab es eine Fachkraft: den Onkologen Roland Mertelsmann, als Pionier der Gentherapie gefeiert. Er setzte das Medikament als einer der Ersten in Deutschland bei Krebspatienten ein. Mertelsmann geriet 1997 in den Strudel des bis dato größten Skandals in der deutschen Medizin. Arbeiten des Krebsforschers Friedhelm Herrmann beruhten auf falschen Daten – und viele von Mertelsmann, seinem Doktorvater. Auch damals berief der Rektor eine Kommission:
"Das war keine einfache Aufgabe, weil unsere Kommission ja eigentlich gegen den Widerstand der Medizinischen Fakultät eingesetzt war und auch immer wieder konfrontiert wurde mit anwaltlichen Angriffen. Da kam mir als langjährigem Richter zustatten, dass man weiß, was man hinnehmen muss oder nicht hinnehmen muss. Und wir haben dann ohne Wenn und Aber unsere Kommissionsarbeit durchgezogen."
Albin Eser leitete die Untersuchung. Der weltweit renommierte Emeritus war unter anderem Dekan an mehreren Universitäten, Richter in Den Haag, Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht. Seine Kommission attestierte Mertelsmann grobe Regelverletzung und "fehlende Glaubwürdigkeit".
"Unsere Kommission hatte von vornherein nur den Auftrag, Feststellungen zu treffen. Deshalb haben wir uns strikt darauf beschränkt, haben allerdings im Gespräch mit dem Rektor zum Ausdruck gebracht, dass jetzt die Universität gefragt sei und letztlich das Ministerium für Wissenschaft in Stuttgart, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Im Ministerium sind die Dinge dann nicht so gelaufen, wie ich mir das vorgestellt hätte. Erstens ist man nur sehr zögerlich an die Sache herangegangen, und es ist eigentlich auch nicht sehr viel dabei herausgekommen."
Mertelsmann stieg auf – die Kollegen bestellten ihn als Zeichen ihrer Solidarität zum geschäftsführenden Direktor der Medizinischen Klinik am Universitätsklinikum. Die Bitte um ein Gespräch beantwortet er nicht, auch keine schriftlichen Fragen zur Verbindung mit Keul. Die wichtigste: Führt eine Linie vom einen großen Skandal zum anderen, vom Wissenschaftsbetrug zum Sportbetrug? Mertelsmann und Keul waren befreundet. Sie publizierten gemeinsam. 1996 starteten sie mit der Firma CellGenix ins Stammzellen-Business. Den Pioniergeist der Professoren belobigte auch der US-Gentechnik-Riese Amgen, Weltmarktführer für Epo. CellGenix existiert noch – mit Mertelsmann und seiner Familienstiftung als Hauptgesellschafter. Die Universität hält Anteile. Und bis heute beteiligt: Die Erben von Joseph Keul.
Gemeinsam mit dem Bundeskriminalamt ermittelt in Freiburg Staatsanwalt Christoph Frank gegen Andreas Schmid, Lothar Heinrich, gegen weitere Ärzte und Betreuer des einstigen Telekom-Teams. Ein Verfahren hat er schon eingestellt, das gegen die Apothekerin in Elzach.
"Wir stellen ein System fest, das wohl alles andere als transparent ist, und müssen sehen, dass wir die strafrechtlich relevanten Vorwürfe rausfiltern können. Der Ausgang der Ermittlungen ist noch offen, wir gehen aber davon aus, in den nächsten Wochen das Verfahren abschließen zu können. Wenn das Verfahren abgeschlossen wird, wird sich die Abschlussverfügung der Staatsanwaltschaft natürlich auch mit der Beschreibung des Systems der Behandlungen am Universitätsklinikum Freiburg befassen, um auch deutlich zu machen, welche geringen Möglichkeiten das Strafrecht hat, um Dopingpraktiken im Nachhinein zu bewerten und strafrechtlich einzuordnen."
Mit geschlossenen Systemen kennt Frank sich aus. In den 80ern ermittelte er gegen Armin Klümper. Es ging um Abrechnungsbetrug. Als verhandelt wurde, lag der qualvolle Tod der Siebenkämpferin Birgit Dressel, auch sie von Klümper gespritzt, noch nicht lange zurück.
"Es gab damals, von Sportlern gegründet, eine Initiative, die den Prozess sehr eng begleitet hat und immer wieder darauf hingewiesen hat, dass in der Abwägung der medizinischen Leistungen von Professor Klümper und den strafrechtlichen Vorwürfen ein Ungleichgewicht bestehe. Eberhard Gienger hat damals diese Gruppe organisiert. Die Sportler - die Hauptverhandlung hat sich ja über viele Monate hin erstreckt - haben die Hauptverhandlung begleitet durch Interviews, durch Pressearbeit, um Professor Klümper zu unterstützen."
Neben Gienger, heute für die CDU im Bundestag, gewesener Vizepräsident im Deutschen Olympischen Sportbund und einst von Klümper mit Anabolika versorgt, gehörten die Fechterin Anja Fichtel oder die Hoeneß-Brüder zur Sportlerfront. Und was Rang und Namen hatte im aktiven Spitzensport, pilgerte weiter zu ihm – oder zu Keul. Freiburger Mediziner-Erfolg schätzte auch die Politprominenz, nicht nur in Form von Medaillen. Landesminister wie Fußballfunktionär Gerhard Mayer-Vorfelder, sein Kollege aus dem Justizressort, Beamte aus dem Bundesinnenministerium – sie waren Geldgeber und Patienten. Das Offensichtliche gehörte zum System:
"In den Verfahren gegen Professor Klümper hat, ohne dass Professor Keul beteiligt war, Professor Keul immer eine Rolle gespielt. Im Hintergrund war immer auch der nicht offen geäußerte Vorwurf des Dopings beidseits erhoben worden. Nach meinem Eindruck aus dem Verfahren gegen Professor Klümper war es ihm jedenfalls wichtig, auch immer wieder sich von Herrn Keul zu unterscheiden, deutlich zu machen, dass er andere Maßstäbe für seine medizinischen Behandlungen habe als Professor Keul. Der wiederum hat außerhalb des Prozesses seine Vorstellungen über die Behandlungsmethoden von Professor Klümper sehr deutlich geäußert."
Im Fall Klümper waren politische Einflussnahme und medienwirksamer Beistand offen zu besichtigen. Ein wenig haben sie sich doch geändert, die Zeiten. Jetzt, mit der grün-roten Revolution im Musterländle, soll ohnehin alles anders werden, auch im Sport. In der Opposition interessierten sich Grüne und SPD wenig für die Breisgauer Dopingpraxis. Wie sie offengelegt wird, das könnte ein Maß sein für die neue Politik.
Gundolf Fleischer, der badische Sportpräsident, will selbstverständlich auch Aufklärung. Nur schnell soll sie gehen:
"Heinrich und Schmid – das waren zwei. Und alle anderen, die haben Zeit ihres Lebens tadellose Arbeit geliefert. Und deswegen muss ich schauen, dass die auch bald wieder dazu kommen, dass sie diese Arbeit machen können. Und dass auch dieser gute Ruf, den Freiburg immer wieder gehabt hat, auf die Weise wieder hergestellt wird. Einerseits Aufklärungsgebot und auf der anderen Seite auch alles zu tun, damit nicht diese über Jahrzehnte hervorragende Einrichtung über Gebühr und unverhältnismäßig Schaden nimmt. Sondern wieder zu alten Zeiten möglichst sogar zurückkehren kann."
Niederrimsingen, wenige Kilometer entfernt von Freiburg. Gleich hinter den Weinbergen liegt Merdingen, einst Heimat von Jan Ullrich. Die Gegend wirkt idyllisch. Bis Bauingenieur Gustav Rosa zeigt, was einmal eine Liegewiese am Baggersee war und nun, Ende März, aussieht wie eine Reihe Schützengräben. So ähnlich verhält es sich mit der Stadt Freiburg, von der manche sagen, sie sei wegen ihrer beschaulichen Abgelegenheit ausgewählt worden als sportmedizinische Zentrale der Bundesrepublik. Andere sagen: wegen ihrer Tradition.
Früh befasste man sich an der Albert-Ludwigs-Universität mit Leistungsmaximierung. Herbert Reindell war ab 1941 Chefmediziner, seit den 50ern Olympiaarzt, danach Präsident des Deutschen Sportärztebundes. Joseph Keul folgte ihm auf allen drei Posten. Armin Klümper, für Spitzensportler nur "der Doc", bekam eine eigene Klinik aus Steuermitteln. Doping, bei hier betreuten Athleten, gab es immer. Einzelfälle, hieß das dann. Erst 2007, als Georg Huber, auch er Olympiaarzt, Andreas Schmid und Lothar Heinrich Radsport-Doping einräumten, taten sich Gräben auf im Bild, das eine Lobby aus Politikern, Beamten und Sportfunktionären gern pflegte von der Breisgauer Mediziner-Elite. Oder eher kleine Risse. Denn hier gelten nun diese drei Ärzte als: Einzelfälle.
Zurück zu den richtigen Gräben. Im See baut die Firma Hermann Peter KG Kies ab. Das Werk liegt am anderen Ufer, der neue Bagger brummt im Hintergrund. Auch hier gibt es ein Problem mit Lobbyisten. Vielleicht mit denselben. Offiziell hat das Landratsamt die Zerstörung der Wiese genehmigt und Dorfbewohner zu Wutbürgern gemacht:
"Da muss jemand zeigen, dass er den größten Bagger hat. In meinen Augen sind das Machtspiele. Das ist auch Maßnahme sechs, und Maßnahme eins bis fünf sind zum Teil oder gar nicht erfüllt, und die sind eigentlich viel wichtiger. Mit der 400 Meter langen Flachwasserzone und all so Sachen. Oder Renaturierung und Wiederaufforstung – die Maßnahmen sind nicht erfüllt worden. Aber diese Maßnahme, die die Badegäste ärgert oder die Besucher ärgert, die ist doppelt und dreifach durchgezogen worden, total überhöht auch. Weil, auf dem Plan fängt sie siebzig, achtzig Meter weiter hinten an."
Der "Kiespeter", sagt man hier über den Firmenchef, genieße Narrenfreiheit. Derzeit will er die Abbaugenehmigung erweitern lassen. Mit der gültigen, sie sollte bis 2018 reichen, kommt er angeblich nur noch zwei Jahre hin. Für Gustav Rosa steht schon fest, wie das ausgeht. Hätte Peter sonst den neuen Bagger aufs Wasser gesetzt? In Niederrimsingen meint man zu wissen, wer die "Kieser" stützt:
"Bei der letzten Landtagswahl sind die LKW der Firma Hermann Peter KG mit großer Wahlwerbung für Herrn Gundolf Fleischer und für die CDU durch die Gegend gefahren. War schon deutlich, also man konnte gut sehen, in welche Richtung das geht. In diesem Jahr hat er sich zurückgehalten. Ich hab keine Laster mit Wahlwerbung gesehen."
Gundolf Fleischer kandidierte nicht mehr für den Landtag. Das Ende einer Ära. 37 Jahre lang vertrat er den Wahlkreis Breisgau-Hochschwarzwald, war schon unter Hans Filbinger Generalsekretär der Landes-CDU und seit Lothar Späth Staatssekretär in vier Ministerien. "Fleischerismus" nannte man seinen Politstil. In Stuttgart machte er viel Geld für den Wahlkreis locker und ließ sich dann persönlich dafür feiern. Nur Wenige spotteten über den "Sonnenkönig von Südbaden".
Anfang 2010 sank die Sonne – "Gundolfdämmerung" titelte dann das Lokalblatt, die "Badische Zeitung". Staatsanwälte interessierten sich für die Finanzen seines CDU-Kreisverbandes. Und bekannt wurde, wie Fleischer Bauprojekte zum Hochwasserschutz am Oberrhein verzögert hatte – zugunsten der heimischen Kiesbarone. Die wiederum hatten gespendet, an Fleischers klamme Kreis-CDU und die Landespartei.
"Unsere Einstellung zu Doping ist ja bekannt, und jeder von uns ist Zeit seines Lebens in aller Klarheit auch dagegen angegangen, im Rahmen dessen, was man überhaupt eben tun kann. Und das war für uns natürlich schon ein Schock und eine Belastung, als wir das erfahren haben. Wieso haben wir das nicht mitbekommen? Konnten wir gar nicht. Das war der Profibereich. Das hat ja mit dem Olympiastützpunkt überhaupt nichts zu tun gehabt, die Telekom. Ich hab beispielsweise Jan Ullrich auch nur gesehen, wenn er einen großen Erfolg hatte und nachher die Gemeinde Merdingen für ihn einen Empfang gegeben hat."
Im Sport bleibt Gundolf Fleischer unumstrittenes Schwergewicht. Als Trägervereins-Vorsitzender am Olympiastützpunkt, seit 1995 als Präsident des Badischen Sportbundes. Schon in den 70ern war er sportpolitischer Sprecher seiner Partei. Man ist ein wenig überrascht, dass er, der den Aufstieg Freiburgs zur Hochburg der Sportmedizin so eng begleitete, kaum zu tun hatte mit ihren Protagonisten. Vom Klümper-Cocktail habe er gehört – aber, versichert er, ein Schoppen Gutedel sei ihm lieber. Mit Georg Huber sei er befreundet, aber nur privat. Und Joseph Keul? Keul, sagt Fleischer, war ja Präsident des Sportärzte-Bundes in Baden-Württemberg:
"Und da hatten wir dann vor allem natürlich immer über finanzielle Fragen eben zu sprechen. Das ging’s eben um Landeshaushaltsfragen und solche Geschichten. Ich erinnere mich konkret an zwei Besuche, die ich bei ihm in Sportinstitut gemacht hab, wo’s eben um finanzielle Fragen gegangen ist."
Im Nachruf auf Keul vor elf Jahren klang das viel persönlicher. Da schrieb Fleischer: "Jupp war ein Freund." Fredy Stober, langjähriges NOK-Mitglied aus Freiburg, nannte Fleischer den "immer präsenten politischen Macher" hinter der Sportmedizin. Gemeinsam habe man auch die Berufung von Keul-Nachfolger Hans-Hermann Dickhuth durchgesetzt.
Sport und Kies – ist beides in Niederrimsingen verknüpft? Im Freiburger Regierungspräsidium erinnert man sich gut, wie Fleischer Ende der 90er Jahre mehrfach mit Thomas Birkenmeier vorsprach. Dessen Firma "Stein und Design" liegt auch am Baggersee. Birkenmeier bezieht Kies von Peter. Fleischer und er drängten auf Abbau ins zweite Grundwasserstockwerk. Hier, wo das größte und besonders geschützte Grundwasservorkommen der Gegend liegt. Birkenmeier ist auch Miteigentümer der Rheintalklinik in Bad Krozingen. Dort kam Dopingarzt Andreas Schmid unter, nach der Entlassung von der Uni. Galt Schmid als unsicherer Kantonist, der mit dem Job ruhig gestellt werden sollte? Hat Kieser Birkenmeier Fleischer damit etwas zurückgegeben, diesmal dem Sportfunktionär?
Fleischer sagt, er kannte Schmid nicht. Dass der auch die Fußballer des SC Freiburg verarztete, hat er, seit den 60ern im Verein engagiert, spät gehört, vom inzwischen verstorbenen Präsidenten des Bundesligisten:
"Das hab ich erst erfahren, als gegen Schmid ermittelt wurde und der Achim Stocker sich ganz auf die Seite von Schmid damals in der Öffentlichkeit gestellt hat und gesagt hat: ’Mensch, das ist doch ein prima Kerl, und was wollt ihr denn!’ ... und eben viel Sympathie ihm gegenüber. Da hab ich dabei erfahren, dass er, damals war Finke hier noch Trainer, dass er eben hier auch Mannschaftsarzt gewesen ist. Meine Funktion: Ich bin Vorsitzender vom Wahlausschuss. Das ist so’n Mini-Aufsichtsrat, den der DFB vorgeschrieben hat. Aber mit dem rein operativen Bereich hab ich natürlich überhaupt nichts. Ich meine, man trifft sich ab und zu und spricht. Oder auch Spieler, die man dann ab und zu mal trifft. Weihnachtsfeier, wo man dann auch eingeladen wird ..."
Bei Feiern ist Fleischer dem Doktor nie begegnet. Nur in Bad Krozingen. In der Klinik von Birkenmeier lässt er sich seit Jahren von einer Physiotherapeutin behandeln:
"Dann war ich einmal - jetzt komm ich zu Schmid, den ich ja nicht kannte -, mir wurd’s auf einmal schlecht während meiner Behandlung bei der Frau Wohlburg. Und die hat bisschen Angst gehabt, dass ich nen Herzkasperle krieg. Und die hat nachher nach oben telefoniert, dass sie doch bitte einen Arzt runterschicken. Dann kam ein Arzt, den ich wie gesagt nicht kannte, der dann bei mir den Puls gemessen hat und einige Untersuchungen durchgeführt, wie man’s macht, wenn so etwas im Raum steht. Er kannte wahrscheinlich mich. Weil, er hat mich dann immer so angeschaut. Übrigens ein sehr sympathischer Mann, kann man wirklich nicht anders sagen, also ich versteh da den Achim Stocker gut. Und nachher hat er sich dann geoutet und hat sich zu erkennen gegeben. Ich: ’Nein, jetzt liege ich hier auf dem Wagen, und dann lerne ich ausgerechnet Sie jetzt hier auch kennen!’ Aber er hat mich prima behandelt, wirklich sehr gut behandelt und ist dann wieder weggegangen. Ich hab keinen Herzinfarkt gehabt. Und ich hab ihn auch seitdem dann nie mehr gesehen."
Hatte Fleischer nichts zu tun mit der Unterbringung von Schmid in der Rheintalklinik?
"Keine Rede! Ich hab in keiner Weise dabei mitgewirkt."
In der Rathaus-Apotheke in Elzach, nördlich von Freiburg, waren die Doping-Ärzte Stammkunden. Dort bezogen sie Epo. Im selben Haus hat ein Bruder Gundolf Fleischers seine Arztpraxis. Wusste Fleischer davon?
"Das ist nicht zu fassen! Ich weiß auch nicht, dass die Praxis meines Bruders, der eine Praxis in Elzach hat, dass die über der Apotheke liegt. Also. Das hat überhaupt nichts damit zu tun!"
Der Bruder promovierte 1980 an der Uni, an der "Abteilung Leistungs- und Sportmedizin". Erster Gutachter war Joseph Keul. - Viele Zufälle verbinden Gundolf Fleischer mit der Sportmedizin. Falsche Fährten, allesamt? Wir hätten gern Andreas Schmid gefragt. Doch der schweigt, auch gegenüber Journalisten. Das übermittelt sein Anwalt. Es ist derselbe, der Gundolf Fleischer vertritt.
Schmid arbeitet nicht mehr in der Rheintalklinik. Ihm wurden kürzlich "die Räume gekündigt", behauptet der Geschäftsführer. Und dass Schmid nie angestellt war, bloß seine private Praxis hier betrieb. Als wir im Winter die Klinik besucht haben, wies nirgendwo ein Schild auf diese Praxis hin. Patienten erzählten, ja, der Doktor Schmid sei auf der Station Innere Medizin. Die Rheintalklinik, dies ist am Hintereingang vermerkt, gehört zum Reha-Netzverbund des Uniklinikums. Das überweist Patienten. Und: Die Privatklinik ist Ausbildungskrankenhaus für Studenten. Schmids Wirken dort war in Freiburg bekannt, Zeitungen berichteten. Der Universität kann das kaum entgangen sein. Druck machte sie erst, nachdem der Deutschlandfunk Ende 2010 anfragte. Wie, wollten wir wissen, lässt sich das vereinbaren mit dem neuen "Anti-Doping-Konzept" des Uniklinikums? Das besagt zum Beispiel: Die Lehre, in Medizin und Sportwissenschaft, soll Bewusstsein wecken gegen Leistungsmanipulation.
Angehende Trainer studieren am Institut für Sport und Sportwissenschaften, kurz IfSS. Kommt das Thema Doping vor? Institutsdirektor Albert Gollhofer:
"Ich bin Physiker, Biomechaniker und bin von Natur aus eigentlich kein Biochemiker. Und zu blöd, die Facetten genau rüberzubringen. Wir haben in der Trainingswissenschaft schon so Eckpunkte, wo man sagen kann, wo die biologischen Limits sitzen, und dass man natürlich auch jetzt durch ein verstärktes Testosteronprofil ein verstärktes Muskeldickenwachstum oder ne beschleunigte Regeneration kriegt."
Die Mediziner würden das Thema wohl einbeziehen, glaubt er. Im Fach Ethik könne es vorkommen. Die Wochenzeitung "Die Zeit" setzte Gollhofers Institut gerade auf Platz 1 ihres Rankings. Der Professor sagt, Weltspitze sei man in der Sportmotorik, der neuromuskulären Forschung. Gollhofer hält auch einen Gesellschafteranteil an der Radlabor GmbH. Die Firma wurde 2007 ausgegründet aus dem IfSS, kurz nach dem Telekom-Skandal. Sie wirbt auch mit dem, womit die Universität offiziell nichts mehr zu tun hat: mit der Betreuung von Radprofis. Als der Deutschlandfunk Anfang März berichtete, protestierten Gollhofer und Björn Stapelfeldt, der Firmenchef. Stapelfeldt zeigt nun Existenzgründeranträge von 2005. Beim Rundgang sagt er, Leistungsdiagnostik sei nur ein Geschäftsfeld:
"Wir haben hier in der Mitte Sitzposition, Biomechanik. Wir setzen den Menschen aufs Rad, messen Pedalkräfte, können Videoanalyse betreiben. Und wir haben hier verschiedene Trainingsprogramme, die sich an unterschiedliche Klientel richten: Fitnesssportler, Gesundheitssportler, Unternehmer, die irgendwas verbessern wollen. Und hintendrauf haben wir die Preise."
Die Radlabor GmbH entwickelt Messgeräte, die sie weltweit verkauft. Für den Bund Deutscher Radfahrer betreut sie Athleten. Profis nur noch vereinzelt. Stapelfeldt fühlt sich betrogen von den Ärzten, mit denen er arbeitete, und von den einstigen Stars, die auf seinen Geräten saßen:
"Woher wissen wir, welche Leistungen überhaupt möglich sind? Wenn man in Lehrbücher schaut, dann gab’s schon, als Epo noch gar kein Thema war, Sauerstoffaufnahmen von 90. Wurden von Radfahrern, von Ruderern berichtet."
Gollhofer leitete ein Projekt im "Arbeitskreis Dopingfreier Sport", über den ab 1998 der Telekom-Konzern offiziell Forschung im Dienste der Sauberkeit finanzierte: "Leistungsdiagnostische Betreuung im Radsport – Team Telekom". Trainingsprogramme sollten geliefert werden. War es in Freiburg ganz anders als etwa in der ostdeutschen Sportforschungszentrale Leipzig, wo Trainingsmethodik auf Dopingkuren aufbaute? Waren keine seltsamen Leistungssprünge bemerkbar? Dafür müsse man, sagt Gollhofer, Sportler lange beobachten.
"Wir hatten die Leute projektbezogen bei uns, und wir hatten die immer so punktuell gesehen."
Die Projektdarstellung besagt etwas anderes: "Regelmäßig", heißt es darin, würden "die Athleten des Team Telekom leistungsdiagnostisch erfasst"; "langfristig" die Daten im Radlabor dokumentiert. Kurz nach dem Gespräch geht uns ein internes Protokoll zu. Verklausuliert ist die Rede von "Ereignissen in der Sportmedizin", die nun Einfluss hätten auf Institut und Radlabor. Das Rektorat habe jetzt "strukturelle Entflechtung" angeordnet. Heißt: Gollhofer wird nicht mehr Gesellschafter im Radlabor bleiben und Stapelfeldt nicht mehr am Sportinstitut angestellt.
Die Ergebnisberichte des Telekom-Arbeitskreises wären nützlich für die Große Kommission mit der Kriminologie-Professorin Letizia Paoli an der Spitze. Sie prüft die wissenschaftliche Arbeit der Sportmediziner auf Dopingrelevanz. Die Papiere seien unauffindbar, teilt die Uni mit. Einige Projekttitel riechen nach Beihilfe zum Doping. Dem Projektleiter Andreas Schmid etwa sponserte die Telekom Erkundungen zur "prospektiven" Analyse von Parametern für den indirekten Epo-Nachweis. Mit derlei Vorsorge ermittelt die Szene auch Abklingraten.
Die Kommission geht komplizierten Fragen nach. Eine: Schmid, der so genannte Einzelfall, forschte mit vielen Kollegen; die meisten sind noch an der Uni. Welchen Anteil hatten sie? Oder: Welche Expertise erwarben hier jene Doktoren, die heute bundesweit Lehrstühle besetzen und Athleten betreuen? Einfach wird das nicht. Noch ist offen, ob das Rektorat eher Rufschaden begrenzen will oder tatsächlich an Wahrheitsfindung interessiert ist. Letzten Sommer ließ man ein Rechtsgutachten anfertigen. Dem Deutschlandfunk liegt es vor.
Es sperrt Unterlagen der Kleinen Doping-Kommission, die 2009 zum Telekom-Team berichtete, für die Große. Hauptgrund: Datenschutzgesetze. Nur Gutgläubige werden am Gutachter keinen Beigeschmack finden: Der Anwalt aus der Kanzlei Graf von Westphalen vertritt die Uni oft; er steht dem Verein "Freunde der Rechtswissenschaftlichen Fakultät" vor. Verwehrt wird der Paoli-Kommission auch Einsicht in die Personalakten von Armin Klümper und Joseph Keul.
Mit Keul ist eine zentrale Frage verknüpft. Stimmt, was die Kleine Kommission feststellte? Dass Keul zwar Doping verharmloste, sich auch am Versand von Mitteln an Athleten beteiligte, dass ihm aber sonst nichts vorzuwerfen ist? Ging der Epo-Einsatz, angeblich erst ab 1996 und nur im Radsport, wirklich auf seine Schüler Schmid und Heinrich zurück? Ihr Meister interessierte sich beizeiten für den Stoff: Der sei "bei richtiger Anwendung ungefährlich" und könne "das Höhentraining durchaus ersetzen", dozierte Keul 1991. Epo war neu damals. Woher wusste der Sportmediziner das?
An der Uni gab es eine Fachkraft: den Onkologen Roland Mertelsmann, als Pionier der Gentherapie gefeiert. Er setzte das Medikament als einer der Ersten in Deutschland bei Krebspatienten ein. Mertelsmann geriet 1997 in den Strudel des bis dato größten Skandals in der deutschen Medizin. Arbeiten des Krebsforschers Friedhelm Herrmann beruhten auf falschen Daten – und viele von Mertelsmann, seinem Doktorvater. Auch damals berief der Rektor eine Kommission:
"Das war keine einfache Aufgabe, weil unsere Kommission ja eigentlich gegen den Widerstand der Medizinischen Fakultät eingesetzt war und auch immer wieder konfrontiert wurde mit anwaltlichen Angriffen. Da kam mir als langjährigem Richter zustatten, dass man weiß, was man hinnehmen muss oder nicht hinnehmen muss. Und wir haben dann ohne Wenn und Aber unsere Kommissionsarbeit durchgezogen."
Albin Eser leitete die Untersuchung. Der weltweit renommierte Emeritus war unter anderem Dekan an mehreren Universitäten, Richter in Den Haag, Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht. Seine Kommission attestierte Mertelsmann grobe Regelverletzung und "fehlende Glaubwürdigkeit".
"Unsere Kommission hatte von vornherein nur den Auftrag, Feststellungen zu treffen. Deshalb haben wir uns strikt darauf beschränkt, haben allerdings im Gespräch mit dem Rektor zum Ausdruck gebracht, dass jetzt die Universität gefragt sei und letztlich das Ministerium für Wissenschaft in Stuttgart, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Im Ministerium sind die Dinge dann nicht so gelaufen, wie ich mir das vorgestellt hätte. Erstens ist man nur sehr zögerlich an die Sache herangegangen, und es ist eigentlich auch nicht sehr viel dabei herausgekommen."
Mertelsmann stieg auf – die Kollegen bestellten ihn als Zeichen ihrer Solidarität zum geschäftsführenden Direktor der Medizinischen Klinik am Universitätsklinikum. Die Bitte um ein Gespräch beantwortet er nicht, auch keine schriftlichen Fragen zur Verbindung mit Keul. Die wichtigste: Führt eine Linie vom einen großen Skandal zum anderen, vom Wissenschaftsbetrug zum Sportbetrug? Mertelsmann und Keul waren befreundet. Sie publizierten gemeinsam. 1996 starteten sie mit der Firma CellGenix ins Stammzellen-Business. Den Pioniergeist der Professoren belobigte auch der US-Gentechnik-Riese Amgen, Weltmarktführer für Epo. CellGenix existiert noch – mit Mertelsmann und seiner Familienstiftung als Hauptgesellschafter. Die Universität hält Anteile. Und bis heute beteiligt: Die Erben von Joseph Keul.
Gemeinsam mit dem Bundeskriminalamt ermittelt in Freiburg Staatsanwalt Christoph Frank gegen Andreas Schmid, Lothar Heinrich, gegen weitere Ärzte und Betreuer des einstigen Telekom-Teams. Ein Verfahren hat er schon eingestellt, das gegen die Apothekerin in Elzach.
"Wir stellen ein System fest, das wohl alles andere als transparent ist, und müssen sehen, dass wir die strafrechtlich relevanten Vorwürfe rausfiltern können. Der Ausgang der Ermittlungen ist noch offen, wir gehen aber davon aus, in den nächsten Wochen das Verfahren abschließen zu können. Wenn das Verfahren abgeschlossen wird, wird sich die Abschlussverfügung der Staatsanwaltschaft natürlich auch mit der Beschreibung des Systems der Behandlungen am Universitätsklinikum Freiburg befassen, um auch deutlich zu machen, welche geringen Möglichkeiten das Strafrecht hat, um Dopingpraktiken im Nachhinein zu bewerten und strafrechtlich einzuordnen."
Mit geschlossenen Systemen kennt Frank sich aus. In den 80ern ermittelte er gegen Armin Klümper. Es ging um Abrechnungsbetrug. Als verhandelt wurde, lag der qualvolle Tod der Siebenkämpferin Birgit Dressel, auch sie von Klümper gespritzt, noch nicht lange zurück.
"Es gab damals, von Sportlern gegründet, eine Initiative, die den Prozess sehr eng begleitet hat und immer wieder darauf hingewiesen hat, dass in der Abwägung der medizinischen Leistungen von Professor Klümper und den strafrechtlichen Vorwürfen ein Ungleichgewicht bestehe. Eberhard Gienger hat damals diese Gruppe organisiert. Die Sportler - die Hauptverhandlung hat sich ja über viele Monate hin erstreckt - haben die Hauptverhandlung begleitet durch Interviews, durch Pressearbeit, um Professor Klümper zu unterstützen."
Neben Gienger, heute für die CDU im Bundestag, gewesener Vizepräsident im Deutschen Olympischen Sportbund und einst von Klümper mit Anabolika versorgt, gehörten die Fechterin Anja Fichtel oder die Hoeneß-Brüder zur Sportlerfront. Und was Rang und Namen hatte im aktiven Spitzensport, pilgerte weiter zu ihm – oder zu Keul. Freiburger Mediziner-Erfolg schätzte auch die Politprominenz, nicht nur in Form von Medaillen. Landesminister wie Fußballfunktionär Gerhard Mayer-Vorfelder, sein Kollege aus dem Justizressort, Beamte aus dem Bundesinnenministerium – sie waren Geldgeber und Patienten. Das Offensichtliche gehörte zum System:
"In den Verfahren gegen Professor Klümper hat, ohne dass Professor Keul beteiligt war, Professor Keul immer eine Rolle gespielt. Im Hintergrund war immer auch der nicht offen geäußerte Vorwurf des Dopings beidseits erhoben worden. Nach meinem Eindruck aus dem Verfahren gegen Professor Klümper war es ihm jedenfalls wichtig, auch immer wieder sich von Herrn Keul zu unterscheiden, deutlich zu machen, dass er andere Maßstäbe für seine medizinischen Behandlungen habe als Professor Keul. Der wiederum hat außerhalb des Prozesses seine Vorstellungen über die Behandlungsmethoden von Professor Klümper sehr deutlich geäußert."
Im Fall Klümper waren politische Einflussnahme und medienwirksamer Beistand offen zu besichtigen. Ein wenig haben sie sich doch geändert, die Zeiten. Jetzt, mit der grün-roten Revolution im Musterländle, soll ohnehin alles anders werden, auch im Sport. In der Opposition interessierten sich Grüne und SPD wenig für die Breisgauer Dopingpraxis. Wie sie offengelegt wird, das könnte ein Maß sein für die neue Politik.
Gundolf Fleischer, der badische Sportpräsident, will selbstverständlich auch Aufklärung. Nur schnell soll sie gehen:
"Heinrich und Schmid – das waren zwei. Und alle anderen, die haben Zeit ihres Lebens tadellose Arbeit geliefert. Und deswegen muss ich schauen, dass die auch bald wieder dazu kommen, dass sie diese Arbeit machen können. Und dass auch dieser gute Ruf, den Freiburg immer wieder gehabt hat, auf die Weise wieder hergestellt wird. Einerseits Aufklärungsgebot und auf der anderen Seite auch alles zu tun, damit nicht diese über Jahrzehnte hervorragende Einrichtung über Gebühr und unverhältnismäßig Schaden nimmt. Sondern wieder zu alten Zeiten möglichst sogar zurückkehren kann."