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Breit, bunt und innovativ

Mehr Zusammenarbeit und "Open Innovation" muss Mittelpunkt der Wirtschafts- und Technologiepolitik sein, ist eine Forderung des Münchner Kreises in seiner Delphi-Studie 2030. Nur so könne Europa zu den USA aufschließen und in Teilbereichen der IT- und Kommunikationsbranche sogar an die Spitze gelangen.

Manfred Kloiber im Gespräch mit Peter Welchering |
    Manfred Kloiber: Am Donnerstag ging es in Berlin wieder einmal um die Zukunftsfähigkeit des Technologiestandortes Deutschland. Der Münchner hat nämlich mit seinen Partnern , dem European Center for Information and Communication Technologies, dem Marktforscher TNS Infratest und der Deutschen Telekom die Delphi-Studie "Zukunft und Zukunftsfähigkeit der Informations- und Kommunikationstechnologien und Medien" vorgestellt. Was hat es denn mit dieser Delphistudie auf sich, Peter Welchering?

    Peter Welchering: Die soll sehr wichtig sein, wurde in Berlin gesagt, denn es geht um nichts Geringeres als um eine Gesamtstrategie für die Informations- und Kommunikationstechnologie hierzulande. Die wird in mehreren Teilen vorgestellt. Der erste Teil wurde 2008 schon in die Öffentlichkeit gegeben. Er hat vor einem Jahr für ziemlichen Wirbel gesorgt, weil plötzlich einige Ansätze in der Technologiepolitik völlig neu überdacht werden mussten und in die Diskussion gerieten. Beispielsweise die gesamte Diskussion um die digitale Dividende, also die Nutzung von freigewordenen Rundfunkfrequenzen fürs Internet, die ist nach diesem ersten Teil der Delphistudie 2008 so richtig losgegangen. Auch die digitale Spaltung bei uns in Deutschland, nämlich die Spaltung zwischen den Städten mit erstklassiger Breitbandversorgung und dem ländlichen Raum mit vielen Lücken bei der Internetversorgung, die wurde nach dieser Delphistudie auch zum Thema. Vor zehn Jahren hat der Münchner Kreis auch eine Delphi-Studie 2014 vorgelegt. Im Jahr 1999, als sie vorgestellt wurde, gab es recht hitzige Debatten über die Internet-Anwendungsszenarien, die dort vorgestellt wurden. Ein sehr hochrangiger Technologiepolitiker hat damals diese Prognosen zum mobilen Internet "Märchen aus 1001 Bit" genannt. Heute wissen wir, die Delphistudie 2014 da sogar noch sehr zurückhaltend geurteilt hat. Ja, und nun liegt mit dem zweiten Teil die gesamte "Internationale Delphi-Studie 2030" vor. Es geht um einen richtig weitern Wurf in die Zukunft. Anders als beim Orakel von Delphi waren hier aber ganz viele Experten am Werk, 551 aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Und denen ist es gelungen, die wesentlichen Entwicklungslinien der Informationstechnologie, aber eben der Kommunikationsanwendungen und der Medientechnologie und Mediennutzung bis zum Jahr 2030 zu beschreiben und teilweise Prognosen abzugeben, die über eine reine Trendforschung hinausgehen. Herausgekommen sind dabei sage und schreibe 144 teilweise ziemlich ausführliche Zukunftsszenarien.


    Kloiber: Vor allen Dingen der Trend zu Open Innovation ist ja gleich nach Veröffentlichung der Studie am Donnerstag heftig diskutiert worden. Wie sieht denn so ein Konzept für offene Innovation aus, wie stellen die Experten sich das vor, Peter Welchering?

    Welchering: Da gab es in Berlin viele Fragen an die Experten und die haben zunächst einmal ihre Ausgangslage geschildert. Sie stellen fest, dass es Europa nicht gelingen wird, den generellen Vorsprung der USA in der Informations- und Kommunikationstechnologie-Branche aufzuholen. Aber in Teilbereichen wird Europa Spitze sein, sogar Weltspitze, schreiben sie, wenn hier gezielt in Forschung und Entwicklung investiert wird, und das sind Telekomunikationsdienste, die entsprechende Infrastruktur für Telekomunikation, aber auch IT-Services und Software.

    Dabei kann es in Europa nicht mehr nur um eine lokale Forschung und Entwicklung gehen, weil ja schon viele Firmen ihre Entwicklungsabteilungen zu Teilen nach Asien verlagert haben. Ees kommt hier aber nicht zu einem vollständigen Abzug der Forschung und Entwicklung nach Asien, wenn die Europäer zwei Dinge tun. Erstens mit den USA und den asiatischen Dienstleistern Wertschöpfungsnetzwerke knüpfen und zweitens Kunden und Anwender viel stärker in die Entwicklung mit einzubeziehen. Das wird dazu führen, dass sogar Konkurrenten ein Stück weit miteinander forschen, Teilprojekte zusammen durchführen. Und da kommt es eben ganz entscheidend darauf an, dass verschiedene Akteure in diesen Forschungs- und Innovationsprozess einzubeziehen. Solche Konzepte nennen die Autoren der Delphistudie "Open Innovation", weil der Innovationsprozess hier in einem offenen System stattfindet und nicht mehr wie bisher in einem geschlossenen oder abgeschotteten.

    Kloiber: Aber solche geschlossenen Systeme kennzeichnen ja eigentlich den derzeitigen Stand in der Forschung und Entwicklung. Gibt es da zeitliche Prognosen für die Öffnung, für Open-Innovation-Prozesse?

    Welchering: Das soll den Experten zufolge sehr schnell gehen, das haben die auch noch mal in Berlin sehr stark betont beim Vorstellen der Studie. Bereits 2015, als quasi in fast fünf Jahren, spätestens aber 2019 wird sich Open Innovation dem Urteil der Experten zufolge in den führenden deutschen Unternehmen als Standard etabliert haben. Dann wird es auch einen Standard, der beschrieben ist, dazugeben. Zeitgleich wird übrigens Open Source der Standard in der Softwareentwicklung sein. Ganz spannend, was sich da jetzt in die aktuelle Diskussion sozusagen auch hineinwirkt durch diese Trendanalyse, die wir jetzt vorliegen haben.

    In anderen europäischen Staaten soll das ein bisschen später kommen, aber auch bis 2024 erledigt sein. Und dabei arbeiten dann auch verschiedene Disziplinen zusammen. Informationstechnologie wird nicht mehr allein von Computerwissenschaftlern entwickelt, sondern Designer, Sozialwissenschaftler, Künstler machen da genauso mit. Diese Netzwerke arbeiten global und verteilt und brauchen deshalb eine leistungsfähige, vernünftige Infrastruktur. Und da taucht wieder die breitbandige Kommunikation auf, die in der 302 Seiten starken Studie immer wieder thematisiert wird und deren Bedeutung gar nicht überschätzt werden kann. Von einer effizienten Breitbandkommunikation wird es nämlich abhängen, ob der weltweit beherrschende Innovationsstandard Open Innovation auch in Europa und in Deutschland erfolgreich sein kann.

    Kloiber: Und wie wird denn die Infrastrukturversorgung in Sachen Breitbandkommunikation von der zeitlichen Entwicklung her eingeschätzt?

    Welchering: Da haben wir es mit ganz kurzfristigen Entwicklungsräumen zu tun. 2015 muss Deutschland eine flächendeckende Breitbandversorgung haben, wenn das klappen soll. In Europa haben hier die skandinavischen Länder eine Vorreiterrolle. Schon im Jahr 2020 sollen in Deutschland beispielsweise 100 MBit pro Sekunde bei der stationären Internetnutzung zur Verfügung stehen, und das sowohl beim Hinaufladen als auch beim Herunterladen. Also da werden wir riesengroße und ganz schnelle Fortschritte haben. und auch brauchen.






















    . Für die USA wird das schon ab 2010 der Fall sein. Zugangsnetze auf Glasfaserbasis wird es in Deutschland erst ab 2025 geben. Viele Länder Europas sind Deutschland hier um gut fünf Jahre voraus. Da haben wir also erheblichen Aufholbedarf. Die Experten haben einen regelrechten Prognosefahrplan aufgestellt, demzufolge 36 MBit/s sich im Jahr 2015 als Standrad etabliert haben werden, 100 MBit dann ab 2020. Doch schon fünf Jahre später, nämlich im Jahr 2025 müssen es 195 MBit sein und 2030, also zum Endpunkt des Prognosezeitraumes da dürften wir hier in Deutschland bei 406 MBit als durchschnittliche Breitbandinfrastruktur liegen.

    Kloiber: Gibt es solche eine Zeittafel auch für breitbandigen mobilen Internet-Zugang?

    Welchering: Ja, den gibt es, und der sieht ganz ähnlich aus, nur etwas beschleunigter. Im Jahr 2015 werden wir mobil im Schnitt mit 7Mbit/s arbeiten könne, 2020 liegt die genutzte Bandbreite im mobilen Bereich dann bei 20 MBit, 2025 bei 47 und 2030 bei beachtlichen 84 MBit. Also im mobilen Bereich sind die Steigerungsraten sehr viel steiler als bei der stationären Internet-Nutzung. Dass in der mobilen Internet-Nutzung so dermaßen die Post abgehen soll, das hat mit Galileo und RFID zu tun. Galileo soll sich nämlich bis 2019 als Standardanwendung für Ortungs- und Lokalisierungsdienstleistungen durchgesetzt haben. Und das führt zu einer enormen Steigerung im ganzen Bereich der Location-Based Services, die ja mobil via Internet genutzt werden. Und die RFID-Funkchips werden 2019 die Standardtechnologie in Produktion und Logistik sein und im Konsumgüterbereich den Barcode vollständig ersetzt haben. Auch das sorgt für einen Schub beim mobilen Bandbreitenbedarf.

    Kloiber: Und welche Anwendungen sollen den Bandbreitenbedarf bei der stationären Interet-Nutzung so stark pushen?

    Welchering: Das soll es das viel beschworene Cloud Computing sein. Ab 2015, so die Prognose, wird Software nicht mehr stationär auf einem PC oder einem mobilen Endgerät wie einem Notebook installiert sein, sondern als Webware übers Internet genutzt. Und die geschäftlichen Daten, die wandern so nach und nach bis zum Jahr 2025 ins Internet. 75 Prozent der Firmendatenbanken und der geschäftlichen Dokumente liegen dann nicht mehr auf stationären Rechnern, sondern auf Servern irgendwo in der Internet-Wolke