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Breloer über Speer

Heinrich Breloers mehrteiliger Film über Albert Speer, der ab dem 9. Mai in der ARD zu sehen ist, stößt in den Feuilletons der großen Zeitschriften auf großes Interesse. Trotz Verurteilung in den Nürnberger Prozessen: Der Architekt der Nazis galt im Deutschland der Nachkriegszeit vielen als bloßer Mitläufer. Neuere Erkenntnisse zeigen jedoch seine tiefe Verstrickung in Holocaust und Naziherrschaft.

Zusammengestellt von Jochen Thies |
    "Dies ist keine Rezension. Dies ist eine Einladung, einen Film zu sehen, der unser Geschichtsbild in wesentlichen Teilen verändern wird", schreibt Frank Schirrmacher in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Es geht um ein Werk, das das Publikum in vier Folgen vom 9. Mai an in der ARD sehen kann: Heinrich Breloers Film über Albert Speer. Schirrmacher berichtet: "Und wer ihn dann sieht, wird feststellen, dass Breloer keinen Film über Speer gemacht hat. Er hat einen Film über den Nationalsozialismus gemacht und einen über Hitler und einen über die Kinder der Täter und einen über die Bundesrepublik und ihre Aufbaugeneration. Und dann doch wieder einen über Speer."

    Schirrmacher weiter: "Speer war der aufgeklärte Nazi, der 'Engel, der aus der Hölle kam', wie Siedler unnachahmlich sagt. Und deshalb war er eine Identifikationsfigur für Nachkriegsdeutschland. Es könnte sein, dass nach Breloers Film vor allem Hölle bleibt. Der zentrale Satz der Dokumentation wird von Breloer im Gespräch mit Siedler gesprochen: 'Speer war nicht das Rädchen im Getriebe des Terrors. Er war der Terror.'"

    Damit spielt Schirrmacher auf jene Erkenntnisse an, die nun zu einer Neubewertung der Persönlichkeit von Speer führen könnten, sein Wissen um den Holocaust, die Rolle, die er offenbar schon vor Kriegsbeginn bei der Vertreibung von Berliner Juden spielte, deren Häuser und Areale für die Herrschaftsbauten des Dritten Reiches benötigt wurden.

    Sven Felix Kellerhoff hat zu diesem und anderen Aspekten den Hitler-Biographen Joachim C. Fest in der Welt befragt, der seinerzeit zusammen mit Wolf Jobst Siedler Speer bei der Abfassung seiner Memoiren behilflich war. Fest räumt ein, dass diese so genannte Entjudung von Vierteln nicht ohne Kenntnis Speers geschehen sei. "Da ist ein gehöriger Anteil schuldhaften Verhaltens zu konstatieren, keine Frage", meint Fest.

    Konfrontiert mit dem Inhalt eines Gesprächsprotokolls vom 14. September 1938, in dem sich Speer für die zwangsweise Ausmietung von Juden einsetzt, entgegnet Joachim C. Fest: "Ich weiß nicht, vom wem dieser Vorschlag ausgegangen ist. Aber dass Speer ihn sich zu eigen gemacht hat, ist gar nicht zu bestreiten. Nach seinem Tod 1981 hat die Öffentlichkeit weitere Hinweise auf seine Rolle bei der "Entjudung" Berliner Wohnungen bekommen. Ich mache in meinem neuen Buch dazu eine bittere Bemerkung, denn Speer hat uns in dieser Frage massiv in die Irre geführt. Das hätte er nicht tun dürfen, und es wundert mich auch, denn es passt nicht zu dem Bild, das ich während der gesamten übrigen Arbeit von ihm gewonnen habe: Er hat niemals etwas geleugnet, was man ihm beweiskräftig vorgehalten hat. Aber Siedler und ich haben nicht alles herausbekommen, was wir erreichen wollten."

    Fest abschließend in dem Interview mit Kellerhoff: "Das Problem liegt bei Speer viel tiefer. Er hat sich wirklich schuldig gefühlt. Aber er verstand eigentlich nicht, was "Schuld" bedeutet. Mit der metaphysischen Dimension, die zu jeder ernsthaften Vorstellung von Schuld gehört, konnte er nichts anfangen."

    Gottfried Knapp hat in Jerusalem das neue Holocaust-Museum besucht, dessen Eröffnung in dieser Wochen mit Gästen aus aller Welt feierlich begangen wurde. Die flache Pfeilerhalle auf dem "Berg des Gedenkens" stammt von Moshe Safdie, einem 1938 in Haifa geborenen Architekten. "Von ihrer Plattform aus", berichtet Knapp, "führt ein Weg durch die quer liegende, in den Berg geduckte Struktur des neuen Museums zur 1953 eröffneten Holocaust-Gedenkstätte. Ein kürzerer Weg daneben führt über eine Brücke zum Eingang des neuen Museums, vom dem nur die aus dem Hang herausfahrenden Sichtbetonwände des quer liegenden Tunnels erkennbar sind. Erst beim Einschwenken in den fast 200 Meter langen, im Querschnitt dreieckigen Stollen im Berg entdeckt man die dramatische räumliche Engführung, die Safdie für das Drama des Holocaust ersonnen hat."

    Der Architekturkritiker der Süddeutschen Zeitung fährt fort: "Die beiden schräg aufragenden, scheinbar auf den Besucher herunterstürzenden nackten Seitenwände, die in zehn Metern Höhe nur durch einen schmalen Lichtschlitz voneinander getrennt sind, schwingen auf ihrem Weg durch den Berg zunächst langsam aufeinander zu, was zur Folge hat, dass die qualvoll lange Holocaust-Tunnelstrecke perspektivisch noch weiter in die Tiefe gedehnt wird. Erst nach dem Durchschreiten der Mitte beginnt sich der Schacht wieder zu weiten, bis sich schließlich am jenseitigen Ende die beiden seitlichen Betonwände wie Blütenblätter zur Außenwelt und zum Himmel hin öffnen."

    Mit dem Leben von jungen Akademikerinnen in Deutschland befasst sich Christian Schwägerl in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Er schreibt: "Noch ist nicht ins kollektive Bewusstsein gedrungen, dass zeitgenössische Familien immer häufiger aus zwei ähnlich qualifizierten Partnern bestehen, was die Nachfrage nach Kinderbetreuung steigert, neue Rollenmuster für Mann und Frau erfordert und die Personalpolitik verändern muss. Längst haben amerikanische Spitzenuniversitäten sich darauf eingestellt, Forscherpaare im Doppelpack anzuwerben und zu fördern. Und in Deutschland?"

    Schwägerl meint: "Nichts passt zusammen: Die Gesellschaft tut in ihrem Alttag so, als gäbe es keine arbeitenden akademischen Schwangeren und Mütter. Gleichzeitig verlangt sie von Akademikerinnen Kinder, Kinder, Kinder...Hinzu kommt, dass ein starres Biographienmodell vorherrscht, das Beruf und Familie in eine zwanghafte Konkurrenz bringt. Wer als junge Frau mit neunundzwanzig Jahren - dem Durchschnittsalter der Erstgeburt - in der Naturwissenschaft seine Promotion abschließt, hat in der rauen Lebenswirklichkeit genau elf Jahre Zeit, seine Qualifikationen zu entfalten und Einfluss auf seine Arbeitsstätten für den langen Rest des Lebens zu nehmen, auch für die Zeit, wenn die Kinder längst aus dem Haus sind. Ein Jahr Babypause von Frauen wird vom Arbeitgeber meist akzeptiert. Wer aber länger wartet und am Ende noch mehrjährige Babypausen aneinanderhängt, kann sich in die Schlange arbeitsloser Akademiker einreihen".

    In dieser Woche verstarb in Chikago Lisa Fittko, die Fluchthelferin von Walter Benjamin, im Alter von 95, vielleicht sogar 96 Jahren. Im Nachruf von Lothar Müller in der Süddeutschen Zeitung heißt es: "Bis heute ist die damals geweckte Neugier der Benjamin-Philologen auf das verschollene Manuskript nicht gestillt. Aber Lisa Fittko beschied sich nicht damit, der Name zu bleiben, der zu einer gesuchten Aktentasche gehörte". Aus der Keimzelle des kleinen Aufsatzes (1982 im Merkur) wurde drei Jahre später das autobiographische Buch: Mein Weg über die Pyrenäen. Weitere Bücher der mutigen Frau, die im Ruhestand zur Autorin wurde, folgten.