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Bremer Stadtteil Tenever
Wandel eines Problemviertels

Früher roch es im Bremer Stadtteil Osterholz-Tenever nach Urin und Abfall, mittlerweile ist von einem Vorzeigeprojekt die Rede. Etliche Aktionen haben das Leben vor Ort verbessert - von interkulturellen Gärten bis zu Concierge-Diensten für die Hochhauseingänge.

Von Franziska Rattei | 10.09.2014
    Kinder verschiedener Nationalitäten nutzen den Spielplatz am Kinder- und Familienzentrum zwischen den Hochhäusern des Stadtteils Tenever am östlichen Stadtrand von Bremen.
    Kinder verschiedener Nationalitäten nutzen den Spielplatz am Kinder- und Familienzentrum zwischen den Hochhäusern des Stadtteils Tenever. (picture alliance / dpa)
    Der "Kinderhafen", eine Kindertagesstätte in Bremen-Tenever, liegt an einem breiten Spazier- und Radweg, zwischen Grünflächen und Hochhäusern. Ein Bungalow mit Glasfronten zwischen vielen Hochhäusern, zum Teil höher als ein Dutzend Stockwerke. In der Mehrzweckhalle der KiTa findet die regelmäßige Stadtteilgruppensitzung statt. Wo tagsüber die Kleinen herumtollen, finden nun rund 50 Stühle Platz. Die meisten sind von Quartiersbewohnern besetzt. Aber auch ein Polizist in Uniform ist gekommen, der Bereichsleiter des städtischen Wohnungsunternehmens und der Quartiersmanager Jörn Hermening mit seiner Kollegin Saskia Jimenez, die heute Abend die Sitzung moderiert.
    "Ich fang jetzt an!"
    Seit 1989 haben mehr als 200 Stadtteilgruppensitzungen stattgefunden. Sie sind ein wichtiges Kapitel in der Geschichte Tenevers, weil sie den Bewohnern des Stadtteils Mitbestimmung zusichern. In den öffentlichen Versammlungen diskutieren die Menschen aus dem Quartier mit Akteuren aus Politik, Verwaltung und Gewerbe und auch den Wohnungsgesellschaften, wie Bremen-Tenever sich weiterentwickeln soll; im Konsensprinzip – das heißt: jede einzelne Stimme hat ein Veto-Recht. Unter anderem geht es um den Einsatz von Geldern aus verschiedenen Förderprogrammen – insgesamt jährlich mehr als 250.000 Euro.
    Skaterbahn und Stadtteil-Café
    Meist ehrenamtlich sind in den vergangenen 25 Jahren rund eintausend Projekte in Gang gekommen - interkulturelle Gärten, eine Skaterbahn für Jugendliche, Conciergen-Dienste für die Hochhauseingänge oder auch das Stadtteil-Café Gabriely, das preiswerten Mittagstisch anbietet. Eine Mitarbeiterin erklärt ihr Anliegen.
    "Ja, und da brauchen wir halt für die Betriebskosten und für Honorar – möchten wir gern Gelder beantragen."
    "Gibt es Gegenstimmen? Nein. Dann würde ich sagen: dem Antrag wird stattgegeben. Es werden 2000 Euro von WIN genehmigt."
    WIN, kurz für "Wohnen in Nachbarschaften" und ähnliche Programme, hat der Bremer Senat seit Ende der 1980-er Jahre beschlossen, um langfristig Stadt- und Stadtteilentwicklungspolitik zu finanzieren. Ein Nachbesserungsprogramm inklusive städtebaulicher Mittel, Personal und Bewohner-Beteiligung folgte und funktionierte, sagt Jörn Hermening, den das Amt für Soziale Dienste als Quartiersmanager in Tenever beschäftigt.
    "Also wenn man sich diesen Stadtteil früher angeguckt hat und wie er heute aussieht, kann man einiges erreichen, wenn man sich Mühe gibt. Ich glaube dieses Konzept der Beteiligung vor Ort muss man weiterfahren für alles, was den Stadtteil direkt angeht. Wenn man merkt, das bringt was, wenn man was sagt, wenn man sich wehrt, dann hat man auch mehr Lust sich zu engagieren und sich einzubringen. Und dann funktioniert auch so ein Gemeinwesen."
    Erschwingliche Mieten
    Kein Vergleich zu früher, sagt Thorsten Eden. Vor einem Jahr ist er nach Bremen-Tenever gezogen – noch immer kein "In-Stadtteil" und 15 Kilometer von der Innenstadt entfernt, aber ein Viertel mit erschwinglichen Mieten und einer Direkt-Straßenbahnlinie ins Zentrum. Mit einem Mitbewohner zahlt Eden 600 Euro warm für 65 Quadratmeter.
    "Es ist sehr multi-kulti, und wir wohnen so weit oben, dass man wirklich weit gucken kann. Ich muss ehrlich sagen: als wir das erste Mal ein Gewitter mitgemacht haben – ich war vollauf begeistert."
    Eine von rund 1700 Wohnungen. Die meisten gehören inzwischen dem städtischen Wohnungsunternehmen Gewoba. Sie sind saniert und begehrt. In Tenever gibt es Wartelisten mit Mietinteressenten. Bis in die 90-er Jahre allerdings spielten Versicherungsgesellschaften und Immobilienspekulanten Monopoly mit ganzen Straßen. Sie holten aus den Häusern so viel Miete heraus wie möglich und verkauften sie dann weiter. Wohnen als Ware zur Gewinn-Maximierung. Instandhaltung war Nebensache. Erst seitdem die städtische Gewoba Haupt-Eigentümerin ist, kann man sich in den Fußböden der Eingangsbereiche spiegeln. Aber auch außerhalb der Wohnhäuser ist das Leben. Die Baustelle "Quartiersentwicklung" ist fast fertig, sagt Jörn Hermening, der Quartiersmanager.
    "Was nicht fertig ist, ist die Armut und die soziale Benachteiligung der Menschen, die hier leben. Also wir sind in einem der reichsten Länder der Welt, und es ist trotzdem so ungleichmäßig verteilt. Das weiß ich nicht, ob wir in der Stadtteilgruppe das verändern können. Wir können unterstützen und fördern, aber das Große und Ganze – da ist vielleicht auf die Politik gefragt, um da was zu drehen."