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Bremerhaven
Ein sozialer Brennpunkt blüht auf

Es tut sich was im Goethequartier in Bremerhaven-Lehe: Seit ein Investor dort Häuser gekauft und saniert hat, zieht es neue Bewohner in das von Armut und Arbeitslosigkeit geprägte Viertel. Darunter Studenten, Künstler, Besserverdienende. Das Engagement für die einst abgehängte Ecke der Stadt ist groß.

Von Felicitas Boeselager | 16.05.2019
Sanierte Fassaden in Bremerhaven Lehe weisen auf einen beginnenden Wandel im Goethequartier hin
Sanierte Fassaden in Bremerhaven Lehe weisen auf einen beginnenden Wandel im Goethequartier hin (picture alliance/dpa/Michael Bahlo)
"Das Haus wird auch saniert, also der ganze Kreuzungsbereich wird hier gerade entwickelt."
Die Quartiers-Managerin Brigitte Hawelka führt durch ihr Viertel. An diesem Frühlingstag zeigt sich das Goethequartier von seiner besten Seite: Die Sonne strahlt, Kinder spielen auf der Straße, Menschen grüßen. Bei genauerem Hinsehen aber fällt auf: Einige der Gründerzeithäuser stehen leer, die Fenster sind grau und verstaubt, die Türen verrammelt. In diesem Viertel liegt die Arbeitslosigkeit bei rund 29 Prozent, die Kinderarmut bei 48 Prozent. Eine Armut, die sich vererbt, mitunter über drei Generationen. Lehe gilt als sozialer Brennpunkt.
Marianne Siewert, ehrenamtliche Betreuerin eines Gartenprojekts (links), und Brigitte Hawelka, Quartiersmeisterin in Bremerhaven-Lehe
Marianne Siewert, ehrenamtliche Betreuerin eines Gartenprojekts (links), und Brigitte Hawelka, Quartiersmeisterin in Bremerhaven Lehe (picture alliance/dpa/Michael Bahlo)
Investor hat Potenzial des Quartiers erkannt
Aber seit rund zwei Jahren tut sich was: In vielen Straßen stehen Kräne, es wird saniert und renoviert, seit vor ein paar Jahren ein privater Investor hier Häuser gekauft hat.
"Ich glaube, ihn hat gereizt, dass er als Altbausanierer die verwahrlosten Immobilien, die es ja hier im Quartier gibt und wo bei einigen Immobilien auch schon die Hoffnung aufgegeben wurde, dass man die nicht mehr retten kann, weil sie viele Jahre leer gestanden haben, dass er so ein Mensch ist, der sagt: Jetzt erst recht, ich krieg das hin. Und auch das Potenzial hier im Quartier gesehen hat", sagt Hawelka.
Die Aktivitäten des Investors haben weitere Sanierer ins Viertel gelockt. Und auch neue Bewohner, Studenten und Besserverdiener. Auch die Städtische Wohnbaugemeinschaft saniert und gründet Wohnprojekte, zum Beispiel Mehrgenerationenhäuser. Das sei aber nur ein Grund, warum es hier wieder bergauf gehe, sagt Hawelka und redet von "den Akteuren, die hier schon viel tun vor Ort, die Vereine für die Kinder, für die Erwachsenen, Angebote für Langzeitarbeitslose, Schuldnerberatung".
Direkter Kontakt zwischen Verwaltung und Bürgern
Wichtig sei auch gewesen, die Bewohner für ihr Quartier zu sensibilisieren, ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu schaffen. Außerdem hat die Stadt hat eine Müll-Hotline eingerichtet, auf Flyern erklärt, wie Müll richtig entsorgt wird und einen Kontaktpolizisten eingestellt, der immer für alle Bürgerinnen und Bürger erreichbar ist.
"Ich kann da ein ganz schönes Beispiel bringen, dass ich irgendwann in meiner Arbeit festgestellt habe, je mehr Barrierefreiheit gegeben ist, um Bürger zu beteiligen, umso besser. Und der perfekte Ort ist dafür der Stadtraum."
Zum Beispiel vor dem Niedrigpreis-Supermarkt in der Goethestraße, hier stehen häufig Stände vom Ordnungsamt, der Polizei oder vom Quartiersmanagement, um direkt mit den Bürgern in Kontakt zu kommen.
Private Initiativen machen das Viertel attraktiver
Andrea und Paul Marpers haben vor zwei Jahren ein kleines Bistro im Goethe-Quartier eröffnet: "Also wir wohnen hier um die Ecke und wir wollten halt für unser Quartier was machen, das war uns wichtig."
Das "Marpers Inn" ist in nur kurzer Zeit eine Institution im Goetheviertel geworden, hier wird gemeinsam gesungen, gestrickt, sogar Englisch gelernt. Für Brigitte Hawelka ein gutes Beispiel dafür, wie auch private Initiativen helfen, das Viertel attraktiver zu machen:
"Das kann man sich ja auch vorstellen, Existenzgründung im Goethequartier nach so vielen Jahren schlechtem Ruf, das war auch über lange Strecken, wenn nicht heute noch rot gekennzeichnet, ein rotes Dreieck, dass man da vorsichtig ist, überhaupt Kredite rauszugeben."

Wenige Schritte vom "Marpers Inn" entfernt steht über dem Eingang eines frisch sanierten Hauses in gelben Leuchtbuchstaben: "Goethe 45". Als das Haus noch marode war, gründeten Künstler aus Bremerhaven hier im Erdgeschoss eine Galerie.
Paul und Andrea Marpers vor ihrem Bistro in Bremerhaven-Lehe
Andrea und Paul Marpers vor ihrem Bistro in Bremerhaven-Lehe (Deutschlandradio/ Felicitas Boeselager)
Inzwischen sind über der Galerie Ateliers und Wohnungen für Künstler entstanden. Die Künstler-Gemeinschaft besitzt einen Webstuhl, 3D-Drucker, Laserschneider – alles zugänglich auch für Künstler, die hier kein Atelier mieten. Es soll dabei helfen, wirtschaftlich einen Fuß auf den Boden zu bekommen, sagt Moritz Schmeckies, einer der Initiatoren des Projekts:
"Und obwohl im Vorfeld viele gesagt haben, ja, das braucht ihr im Goethequartier aber nicht zu probieren, weil das ist so eine arme abgehängte Ecke, zeigt sich jetzt nach knapp einem Jahr: Das stimmt einfach nicht. Es gibt hier genug Interesse. Im Prinzip bräuchte ich noch ein Haus dieser Größe, um alle Nachfragen bewältigen zu können."
Die Mischung macht's
Die "Goethe 45" gilt als Leuchtturmprojekt, sie hat für großes mediales Interesse gesorgt und zieht Besucher ins Goetheviertel:
"Das viel Wichtigere, das kriegt man eigentlich gar nicht mit und da haben wir auch nicht mittelbar was mit zu tun, also die Durchmischung, die hier grade stattfindet. Man merkt es eben im Straßenbild und das ist für alle Leute, die hier leben, gut."
Denn die Durchmischung der Bevölkerung bringe vor allem den Kindern und Jugendlichen hier neue Vorbilder, sagt Schmeckies:
"Die Kinder die hier heranwachsen, die ja auch hier ins Haus kommen und hier kunstpädagogisch betreut werden - das ist eine Generation, die hat wieder Hoffnung. Wenn man die fragt, was die werden wollen, dann sagen die nicht Hartz4, sondern die haben Pläne und das ist auch realistisch."
Die Stimmung im Viertel sei besser geworden, findet auch Rudi Eder, Betreiber der "Kleinen Hexe", einer Kultkneipe direkt gegenüber von der "Goethe 45":
"Die Leute in sich sind ruhiger geworden, sind nicht mehr so aufgeregt, nicht mehr so kompliziert. Und die Leute tun was hier, die pflegen ihre Gärten jetzt von sich aus, was früher alles verwildert war, weil die sehen, dass die anderen auch was machen und so kommt eins zum anderen. Es werden Blumen gepflanzt, wo früher nur eine alte Hecke stand."
Quartiersmanagerin Brigitte Hawelka nennt noch unzählige andere Projekte und Initiativen im Viertel, die ihr Hoffnung machen, dass es auch in den nächsten Jahren so weiter geht, denn natürlich seien noch längst nicht alle Probleme dieser Gegend behoben:
"Bei allem, was hier passiert, ist es, glaub ich, auch die Leidenschaft, die Menschen brauchen. Die Leidenschaft schafft Geduld, weil man spürt, man ist am richtigen Ort, hier kann man noch was bewirken."