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Brennelemente-Steuer
"Der Stromkunde zahlt hier riesige Kosten"

Die deutschen Atomkonzerne bekommen nach einem Gerichtsurteil zur Brennelementesteuer gut sechs Milliarden Euro zugesprochen. Gut für die Konzerne, schlecht für die Gesellschaft, sagt Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, denn die Rechnung müssten letztlich die Stromkunden zahlen.

Claudia Kemfert im Gespräch mit Sina Fröhndrich | 07.06.2017
    In den geöffneten Reaktordruckbehälter werden im Atomkraftwerk Isar 2 nahe Essenbach (Niederbayern) während der jährlichen Revision, Brennelemente eingesetzt.
    Brennelemente im Atomkraftwerk Isar 2 nahe Essenbach (Niederbayern): Die Steuer auf diese Brennelemente war verfassungswidrig, so das aktuelle Gerichtsurteil. (dpa / picture alliance / Armin Weigel)
    Sina Fröhndrich: Erfolg für die Energiekonzerne – sie haben mehr als sechs Milliarden Euro zu viel an den deutschen Fiskus gezahlt. Die Brennelementesteuer ist verfassungswidrig. Wir haben darüber mit Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung gesprochen, Frage an sie – wie bewerten Sie dieses Urteil heute?
    Claudia Kemfert: Ja, es ist vor allen Dingen ein Urteil für die Konzerne. Die Konzerne können hier aufatmen. Aber es ist schlechter für die Stromkunden, denn in der Vergangenheit haben die Stromkunden in Deutschland ja schon durch überhöhte Preise diese Brennelementesteuer mitbezahlt. Jetzt müssen sie sie noch mal bezahlen, wenn es tatsächlich dazu kommt, dass die Rückzahlungen geleistet werden müssen. Also ein gutes Urteil für die Konzerne, ein schlechtes für die Gesellschaft.
    Viele Management-Fehler der Atomunternehmen
    Fröhndrich: Was sollte denn, wenn das Geld tatsächlich zurückerstattet werden sollte, mit dem Geld passieren? Sollte das dann an die Verbraucher weitergeleitet werden?
    Kemfert: Es wäre natürlich wünschenswert, dass das Geld an die Verbraucher weitergeleitet werden sollte. Das wird nur allerdings nicht passieren. Den Atomunternehmen geht es ja auch finanziell sehr schlecht. Sie haben in der Vergangenheit viele Fehler gemacht, viele Management-Fehler, und das rächt sich jetzt, so dass sie das Geld auch haben wollen und auch nutzen wollen, um ihren Umbau des Konzerns mitzufinanzieren. Die Atomenergie ist einfach eine sehr, sehr teure Technologie. Die Stromkunden haben in der Vergangenheit schon sehr viel Geld bezahlt. Jetzt müssen die Steuerzahler auch noch mal Geld bezahlen, aber die Konzerne kommen hier ganz gut aus der Sache raus.
    Claudia Kemfert spricht bei einer Konferenz im schwarzen Blazer und betont ihre Wort mit einer Handbewegung
    Claudia Kemfert: "Es rächt sich, dass die Atomkonzerne in der Vergangenenheit viele Fehler gemacht haben" (dpa / Bernd Wüstneck)
    Fröhndrich: Wäre es denn sonst nicht auch eine Alternative gewesen, den Atomfonds, worüber ja der Atomausstieg finanziert wird – daran sind ja die Energiekonzerne auch beteiligt mit 24 Milliarden Euro -, dass sie jetzt diese Summe, die die Atomkonzerne, Energiekonzerne zurückbekommen, vielleicht auch aufstocken?
    Kemfert: Ja, es wäre natürlich eine gute Idee, dass man das Geld verrechnet mit dem Atomfonds, was ja dort ausgehandelt wurde zwischen Gesellschaft oder der Bundesregierung und den Atomkonzernen. Ich kann mir allerdings vorstellen, dass die Konzerne sich jetzt auf diese Meinung konzentrieren und sagen, wir wollen das Geld zurückerstattet bekommen, wir wollen damit noch weniger Geld in diesen Atomfonds einzahlen.
    Das ohnehin nicht ausreichende Geld, was dort ja vereinbart wurde für den Atomfonds, wird damit noch weniger werden und die Steuerzahler müssen noch mehr Geld bezahlen, denn der riesige Kosten-Tsunami rollt ja erst durch die Atomenergie auf die Gesellschaft zu, mit dem Rückbau der Atomkraftwerke und dem Atommüll, was dort auch noch bezahlt werden muss allein durch die Gesellschaft. Es wird ein Fass ohne Boden, die Kosten sind einfach immens groß. Ich denke, es wäre gut, wenn man es verrechnen würde mit dem Atomfonds, aber ich kann mir vorstellen, dass die Atomkonzerne jetzt die Gunst der Stunde nutzen und hier noch mehr Geld für sich rausschlagen.
    "Der Verbraucher zahlt für den Atomausstieg"
    Fröhndrich: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe, zahlt vor allem der Verbraucher für den Atomausstieg?
    Kemfert: Ja, der Verbraucher zahlt für den Atomausstieg. Die Verbraucher haben in der Vergangenheit den Bau der Kraftwerke bezahlt, sie haben überhöhte Strompreise bezahlt, damit auch indirekt die Brennelementesteuer refinanziert. Jetzt zahlen sie auch noch den Rückbau der Atomkraftwerke über überhöhte Preise und müssen dann auch noch zum Teil für den Atommüll aufkommen, weil der Atomfonds ja nicht ausreicht. Insofern zahlt der Stromkunde, zahlt die Gesellschaft, zahlen wir hier riesige Kosten.
    Fröhndrich: Barbara Hendricks, die Umweltministerin von der SPD, sie spricht heute von schwarz-gelbem Murks, der da gemacht wurde, der sich für die Atomkonzerne jetzt auszahle. War das denn ein Fehler, die Brennelementesteuer über fünf Jahre hinweg zu erheben, den man eigentlich auch hätte vermeiden können?
    Kemfert: Die Brennelementesteuer war überhaupt gar kein Fehler. Man hätte sie im Gegenteil schon sehr viel früher einrichten müssen, nämlich zu Beginn, als man anfing, die Atomenergie auszubauen. Das hat man leider versäumt. Jetzt hat man sehr spät diese Brennelementesteuer eingeführt, was an sich gut ist. Allerdings ist sie in der Ausgestaltung offensichtlich juristisch falsch konzipiert als Verbrauchssteuer, wogegen sich jetzt das Verfassungsgericht gewendet hat. Ich denke, man hätte es juristisch einwandfrei einführen können und hätte es auch schon sehr viel früher machen müssen, denn die Verbraucher müssen ja hier entlastet werden und können nicht für die Kosten allein aufkommen.
    "Konzerne versuchen, das Maximale rauszuholen"
    Fröhndrich: Es geht um eine Summe von 6,3 Milliarden Euro, die die Versorger in den vergangenen Jahren bezahlt haben. Was meinen Sie, wie wahrscheinlich ist es, dass sie das Geld tatsächlich zurückbekommen, diese Steuer?
    Kemfert: Ich halte es im Moment jetzt für relativ wahrscheinlich, dass sie das Geld tatsächlich zurückbekommen. Ich würde mir wünschen, man würde hier mit den Konzernen ein Abkommen schließen, dass man nicht den gesamten Betrag zurückzahlen muss. Aber ich kann mir vorstellen, dass die Konzerne versuchen werden, hier das Maximum rauszuholen, und am Ende muss es dann der Stromkunde noch mal wieder bezahlen beziehungsweise in diesem Fall der Steuerzahler, der dieses Geld dann noch mal wieder aufbringen muss.
    Fröhndrich: Bei dem Geld geht es nicht nur um die 6,3 Milliarden Euro, sondern unter Umständen vielleicht sogar auch um Zinsen, die noch zurückerstattet werden müssten. Glauben Sie, das kommt auch noch obendrauf?
    Kemfert: Ich denke, dass die Konzerne versuchen werden, das Geld plus Zinsen zurückzubekommen. Das wird in eine Verhandlungsmasse gehen mit der Bundesregierung im Zuge der Ausgestaltung des Atomfonds. Und wenn es ganz schlimm kommt ist es eben so, dass die Gesellschaft dann, tatsächlich der Steuerzahler diese 6,3 Milliarden Euro plus Zinsen bezahlen müssen. Wenn es besser läuft, wird man einen Deal noch aushandeln können, wo man im Zuge der Einrichtung des Atomfonds dann etwas weniger Geld verlangt. Aber wie man es dreht und wendet, die Stromkunden werden am Ende belastet, und das ist auch das, was wir vermutlich sehen werden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Anmerkung der Redaktion: Wir haben das ursprüngliche verwendete Foto von Brennelementen des Forschungsreaktors FRM II in Garching ausgetauscht. Bei einer Forschungseinrichtung wird keine Brennelementesteuer fällig.