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Brennendes Haus

"Unser Haus brennt und wir sehen woanders hin..." - mit dieser Mahnung präsentierte sich Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac auf dem Umweltgipfel von Johannisburg vor zwei Jahren als Umweltschützer. In Bezug auf Klimaschutz und Emissionsreichte schauen die meisten Franzosen in der Tat woanders hin. Das Thema ist genau so dringend wie bei uns, doch in Politik und Medien unseres Nachbarlandes ist davon wenig zu hören.

Siegfried Forster | 24.03.2004
    In Frankreich wurde der EU-weite Emissionshandel in den letzten Wochen und Monaten wie ein Staatsgeheimnis behandelt: in den französischen Medien gab es nicht die Spur einer Debatte, Anfragen beim Umweltministerium werden einfach nicht beantwortet, die Regierung hat sich bis heute nicht öffentlich dazu geäußert und die französischen Bürger denken beim 31. März an ihre Steuererklärung und nicht an den Stichtag für den EU-Emissionshandel. Auch die Umweltverbände wurden von der französischen Regierung bisher bewußt ignoriert. Laetitia De Marez von Greenpeace France weiß seit kurzem auch warum: sie konnte sich die letzte nicht-offizielle Version des französischen Plans für den Emissionshandel beschaffen.
    Aus diesem Dokument geht hervor, daß die französische Regierung die künftigen Emissionen der französischen Industriellen - Industrie und Energie-Unternehmen - bewußt zu hoch ansetzt. Das führt dazu, dass die französische Industrie eine überdimensionierte Gesamt-Quote an Verschmutzungsrechten erhält. Die Industrie kann also weiter Emissionen ausstoßen, ohne sich um einen Rückgang der Treibhausgase kümmern zu müssen. Einige werden sogar Überschuß-Quoten erzielen. Diese können sie dann als Emissions-Zertifikate auf dem europäischen Markt weiter verkaufen. Der Markt-Preis für Kohlendioxid-Emissionen wird dadurch auf einem sehr niedrigen Preisniveau gehalten. Der Markt wird von diesen Überschuß-Quoten förmlich überflutet werden.
    Frankreich galt bei den internationalen Klimaschutz-Abkommen bisher immer als Musterschüler was die CO2-Emissionen anbetrifft - dank seiner 58 Atomreaktoren. Beim Klima-Protokoll von Kyoto engagierte sich Frankreich die Treibhausgas-Emissionen aus dem Jahr 1990 bis zum Jahr 2010 auf gleichbleibend niedrigem Niveau zu halten. Die französische Regierung steckte sich sogar offiziell zum Ziel, bis zum Jahr 2050 die Kohlendioxid-Emissionen um 75 Prozent zu senken. Doch angesichts der EU-Direktive zum Emissionshandel macht Frankreich offenbar eine Kehrtwende.
    Wir sehen in diesem Plan einen Betrug ... Wir haben in Frankreich im letzten Jahrzehnt dank des technischen Fortschritts einen natürlichen Rückgang bei den Treibhausgasen feststellen können, vor allem im industriellen Bereich. Trotzdem prophezeit die französische Regierung nun plötzlich eine vier-prozentige Erhöhung der Emissionswerte bis 2010 - was der bisherigen Entwicklung vollkommen widerspricht. Hier geht es nicht mehr um business as usual, sondern die Regierung setzt auf eine Erhöhung der Emissionswerte, obwohl das Ziel des Emissionshandels darin besteht, die Emissionen zu verringern.

    Durch seine Nachlässigkeit könnte Frankreich das gesamte europäische System für Emissionshandel korrumpieren, kritisiert Laetitia De Marez weiter. Denn nicht nur die französischen Industrien könnten weiter machen wie bisher, sondern auch die Industriellen anderer europäischer Länder, die lieber billige Verschmutzungsrechte aus Frankreich kaufen, als ihre eigenen Betriebe umweltfreundlich zu modernisieren. Wie ernst es Frankreich mit dem Umweltschutz nimmt, wird man auch daran ablesen können, wieviele Industrie-Anlagen im Rahmen der EU-Direktive deklariert werden. Noch einmal Laetitia De Marez von Greenpeace France:
    In Frankreich werden voraussichtlich nur 700 Industrie-Anlagen der EU-Direktive unterworfen. Obwohl eine vernünftige Anwendung der Direktive von 1.100 Standorten ausgeht, wie auch die Empfehlungen der EU-Kommission. Zum Vergleich: Großbritannien deklariert 1.500 Industrie-Anlagen, Deutschland rund 2.300. Frankreich deklariert gerade mal ein wenig mehr als Finnland!

    Bleibt abzuwarten, ob diese letzte provisorische Version des französischen Plan tatsächlich aufrecht erhalten bleibt. Denn in Brüssel dürfte die französische Regierung auf mehr Widerstand treffen, als im eigenen Land.