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Brennstäbe-Deponie in Indianerland

Weltweit suchen die Staaten, in denen Strom in Kernkraftwerken erzeugt wird, nach Endlagern für den Atommüll. In den USA sind die Pläne weit gediehen. Dort sollen die Atomabfälle in der Wüste des US-Bundesstaates Nevada unterhalb des Yucca-Berges unterirdisch deponiert werden. Die Proteste dagegen lassen nicht nach.

Von Michael Marek | 20.02.2006
    Yucca Mountain, 160 Kilometer nordwestlich von Las Vegas: Hier im US-amerikanischen Bundesstaat Nevada entsteht das weltweit erste Endlager für hochradioaktiven Atommüll. Dafür hat das US-Energieministerium einen Probestollen in den heiligen Berg der Western Shoshone Indianer treiben lassen. Ab 2010 sollen abgebrannte Brennstäbe aus Atomkraftwerken und anderer radioaktiver Abfall eingelagert werden.

    "Ich bin 100 Prozent dagegen, 1.000 Prozent, 10.000 Prozent, ich bin 76.000 Prozent dagegen."

    Oscar Goodman ist Bürgermeister der Spieler- und Wüstenmetropole Las Vegas:

    "76.000 Atommülltransporte gehen quer durch die USA, deshalb sage ich: Ich bin 76.000 Prozent dagegen. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um das zu stoppen. Der Berg steht auf einer Erdbebenzone. Wenn der Atommüll eine sichere Angelegenheit ist, dann kann er ja dort liegen bleiben, wo er ist. Aber bringt mir das Zeug nicht in meinen Hinterhof."

    Niemand wolle das Atomklo haben, sagt der Demokrat, Bürgerrechtler und ehemalige Strafverteidiger. Ganz anders dagegen US-Energieminister Samuel Bodman, der den zerklüfteten Bergkamm aus Vulkangestein wie seine Vorgänger weiterhin als Endlager empfiehlt. Die Bush-Regierung hält die Sicherheitsrisiken für gering und verteidigt das Projekt mit seinem Standortvorteil: Der Yucca Mountain liegt in der Wüste - abgeschirmt hinter Stacheldraht und elekronischen Sicherheitszäunen – in der "Nevada Test Site", dem ehemaligen Atomversuchsgelände der USA.

    Präsident George W. Bush ist entschlossen, das 58 Milliarden Dollar teure Endlager für die Ewigkeit per Gesetz durchzusetzen. Denn die Abklingbecken für abgebrannte Brennstäbe aus den amerikanischen Atomkraftwerken werden in wenigen Jahren gefüllt sein.
    Ein Endlager müsse her, das sei ökonomischer und sicherer als die aufwändige Zwischenlagerung. Derzeit gibt es 103 Atomkraftwerke an 75 Standorten. 50 neue Reaktoren sollen bis zum Jahre 2020 zusätzlich gebaut werden. Die Bush-Regierung setzt auf Atomenergie und muss gleichzeitig der Altlasten Herr werden:

    "Yucca Mountain lässt sich am besten beschreiben als unterirdisches Parkhaus für Metallbehälter, in denen so lange Müll gelagert wird, bis die Behälter zu rosten anfangen und der Müll ausläuft."

    Steve Frishman ist Geologe und arbeitet als unabhängiger Sachverständiger. Unter anderem berät er den Gouverneur von Nevada. Frishman kennt den Berg in- und auswendig, hat ihn selbst miterforscht. Sein Befund: Der Yucca Mountain ist eine Zeitbombe. Im Umkreis von 80 Kilometern wurden in den letzten 20 Jahren über 600 Beben mit einer Stärke von mehr als 2,5 auf der Richter-Skala registriert. Dass dabei ausgerechnet die Außenstelle des US-Energieministeriums mit einem Laborgebäude in Trümmer gelegt wurde, entbehre nicht der Ironie, kommentiert Frishman süffisant.
    Dagegen sind die wissenschaftlichen Mitarbeiter des US-Energieministeriums von der geologischen Sicherheit des Yucca Mountain überzeugt – vor allem mit Hinweis auf die hohen Sicherheitsstandards, die eine Lagerung von 10.000 Jahren garantieren sollen. Dagegen haben sich die meisten anderen Länder für einen sehr viel längeren Zeitraum entschieden, in der Bundesrepublik für eine Million Jahre:

    "Haben die das Land von drüben mitgebracht, oder wie kommen die sonst dazu? Oder haben sie es von irgendjemandem gekauft, als sie hierher gekommen sind? Wir wissen nichts davon. Wo sind die Unterlagen? Wenn man behauptet, Gesetze zu schreiben, Eigentumsgesetze zu erlassen, wo sind die dann? Wo sind diese Schriftstücke, die aussagen, dass sie das Land - von wem auch immer - erworben haben?"

    Corbin Harney ist spiritueller Führer der Western Shoshone Indianer. Seit Jahrzehnten demonstrieren er und seine Stammesangehörigen gegen das geplante Atommülllager im Yucca Mountain. 1962 wurde von der damaligen US-Regierung einseitig beschlossen, den heiligen Berg der Shoshonen in Besitz zu nehmen und eine fiktive Entschädigungssumme zu zahlen. Aber es steht mehr als nur Geld auf dem Spiel. Es geht um Landraub, denn große Teile des nuklearen Zyklus, von der Urangewinnung über die Atombombenexperimente bis hin zur Endlagerung, finden auf indianischem Gebiet statt.

    Kürzlich verlangte das US-Repräsentantenhaus sogar wieder nach alternativen Standorten zu suchen. Der Hintergrund: In den Medien wurden E-Mails mit brisantem Inhalt veröffentlicht. Am Yucca-Mountain-Projekt beteiligte Wissenschaftler des US-Energieministeriums hatten darin diskutiert, wie man Daten am besten fälschen könne, um die geologische Sicherheit der atomaren Lagerstätte zu untermauern.