Premierministerin Theresa May hat sich vom Parlament die Vollmacht für den Scheidungsantrag von der EU geben lassen. Bereits im Vorfeld hatte kaum noch jemand Zweifel, dass die Abgeordneten den Gesetzentwurf der Regierung billigen werden. Die Parlamentarier erteilten der Regierung mit 494 zu 122 Stimmen die förmliche Erlaubnis, die Austrittsverhandlungen mit der EU aufzunehmen. Nach der Abstimmung im Unterhaus geht das Gesetz nun ins Oberhaus.
Bereits in einer ersten Abstimmung am 1. Februar hatte das Unterhaus für die Vorlage votiert, obwohl es im Unterhaus eigentlich eine Mehrheit für einen Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union gibt. In der Debatte aber machten viele Parlamentarier deutlich, sich nicht gegen das Ergebnis der Volksabstimmung stellen zu wollen.
Erste Kompromisse
Erst am Dienstag hatte Brexit-Staatssekretär David Jones zugesichert, das britische Parlament werde über ein Abkommen mit der EU am Ende der zweijährigen Austrittsverhandlungen abstimmen dürfen. Eine Ablehnung werde aber nicht zu Nachverhandlungen führen. Was dies für den Austritt selbst bedeuten würde, blieb indes unklar. Die Einbindung des Parlaments wurde durch das im Januar verkündetes Urteil des Obersten Gerichts in London erforderlich. Insbesondere die Opposition strebt Einfluss auf die Brexit-Verhandlungen mit der EU an, damit die Regierung in London nicht nach eigenem Gutdünken schalten und walten kann.
Übergangslösungen gefragt
Premierministerin May hatte einen sogenannten "harten Brexit" angekündigt, der etwa auch einen Ausstieg aus Binnenmarkt und Zollunion vollziehen würde. Nur so könne Großbritannien selbst entscheiden, wer sich im Land niederlassen und einer Arbeit nachgehen dürfe. Gleich zu Beginn der Verhandlungen mit der EU will sie nach eigenen Angaben versuchen, eine Regelung für die Rechte von EU-Bürgern in Großbritannien sowie von auf dem Kontinent lebenden Briten zu finden.
Rechnung erst ganz am Schluss
Die Europäische Union will Großbritannien Insidern zufolge erst beim Austritt des Königreichs eine Rechnung über ausstehende Verbindlichkeiten vorlegen. Der Chefunterhändler der Kommission, Michel Barnier, habe Vertretern der EU-Staaten am Montag darüber informiert, dass in den Austrittsverhandlungen zunächst nur die Berechnungsmethode präsentiert werden soll. Die in Medienberichten genannte Summe von 55 bis 60 Milliarden Euro sei deshalb eine ungenaue Schätzung, weil verschiedene Variablen beachtet werden müssten. Die Verpflichtungen Londons ergeben sich vor allem aus dem siebenjährigen, mittelfristigen Finanzrahmen der EU (MFR), der bis 2020 läuft. "Großbritannien hat ihn unterschrieben und er löst sich nicht in Luft auf, weil das Königreich die EU verlässt", betont der Haushaltsexperte und EU-Abgeordnete Jens Geier (SPD). Die Briten müssten demnach nach einem EU-Austritt im Frühjahr 2019 noch bis 2023 in EU-Projekte einzahlen.
Weiterer Fahrplan
Nach der Abstimmung im Unterhaus geht das Gesetz noch ins Oberhaus. Die britische Regierung erwartet die parlamentarische Zustimmung bis Anfang März. Dann könnte sie den Austritt ihres Landes auf dem EU-Gipfel am 9. und 10. März nach Artikel 50 des EU-Vertrags beantragen. Damit wäre der Prozess lediglich gestartet, der in langwierige und komplexe Verhandlungen mit derzeit offenem Ergebnis münden wird. Ziel ist ein Abschluss innerhalb von zwei Jahren. Für alle Beteiligten stellt dies Neualnd dar, einen Präzedenzfall für einen EU-Austritt gibt es nicht.
Was macht Schottland?
Besonders die Regierung Schottlands in Edinburgh stemmt sich gegen den Plan für einen "harten Brexit". Schließlich habe eine deutliche Merheit der Schotten bei dem Referendum gegen einen EU-Austritt votiert. Regierungschefin Nicola Sturgeon hatte wiederholt mit einem erneuten Unabhängigkeitsreferendum gedroht. Laut jüngsten Umfragen steigt dafür zwar die Zustimmung in der schottischen Bevölkerung, liegt demnach aber weiterhin knapp unter 50 Prozent. Bis auf Weiteres fordert Sturgeon daher lediglich Zugeständnisse, wie etwa einen Sonderstatus für Schottland innerhalb Großbritanniens mit Verbleib im europäischen Binnenmarkt sowie weitere Kompetenzen. Doch aus dem Regierungssitz Downing Street in London kamen bislang keine Signale, ob Premierministerin May den Schotten entgegenkommen will.