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Brexit-Deal
Einigung mit vielen Kompromissen

Freier Handel, fairer Wettbewerb, ein Kompromiss im Streit um die Fischereirechte: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeigt sich zufrieden mit dem ausgehandelten Vertrag. Doch einige Probleme wird das Abkommen nicht lösen – und die EU-Staaten und das Parlament müssen noch zustimmen.

Von Bettina Klein | 25.12.2020
Ursula von der Leyen und Michel Barnier bei ihrer Pressekonferenz nach dem Brexit-Deal
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen lobte die Einigkeit der EU bei den langen Verhandlungen (picture alliance / Xinhua News Agency | Zheng Huansong)
Eine der EU-Unterhändlerinnen hatte genau auf die Uhr geschaut. Es war 14:44 Uhr an Heiligabend, Brüsseler Zeit, als die Einigung da war. Gut eine Stunde später griff Michel Barnier jene Redensart auf, die im Zusammenhang mit dem Brexit zu oft verwendet worden war: "The clock is no longer ticking" - die Uhr läuft nicht mehr.
Das Ergebnis war da - genau eine Woche, bevor die Übergangszeit für das Vereinigte Königreich endet. Zehn Monate währten die Verhandlungen, vergleichsweise kurz für einen solchen Mammutvertrag.

Von der Leyen lobte Einigkeit der EU

"A long and winding road", sagte Ursula von der Leyen in Anspielung auf einen Beatles Song, "aber jetzt haben wir einen guten Vertrag: fair, ausgewogen und verantwortungsbewusst - von beiden Seiten."
Boris Johnson und Ursula von der Leyen in Brüssel. Sie stehen vor Fahnen der Europäischen Union und Großbritanniens. Beide tragen Masken. Sie sehen sich an, von der Leyen macht eine einladende Geste.
London nach dem Brexit-Deal - Erfolg mit schalem Beigeschmack
Premierminister Johnson habe den Vertrag nach Hause gebracht, der das wichtigste garantiere: weiter freien Handel mit der EU. Das sei ein Erfolg für London, meint Dlf-Korrespondentin Christine Heuer. Doch nicht alle Briten sind zufrieden, die Fischer fühlen sich verraten.
Die EU habe aus einer Position der Stärke heraus mit dem Vereinigten Königreich verhandelt, sagte die Kommissionspräsidentin angesichts der schieren Größe des Europäischen Binnenmarktes.
"Die Europäische Union hat in all dieser Zeit große Einigkeit bewiesen. Sie konnte sich auf die Kraft von 450 Millionen Menschen und die Stärke des größten Binnenmarkts der Welt verlassen und stützen. Wie wichtig das ist, das sieht man diesem Abkommen an Kapitel für Kapitel und Zeile für Zeile."

Keine Zölle, fairer Wettbewerb

Diese Kapitel sehen nun im Wesentlichen so aus: freier Handel mit dem Vereinigten Königreich ohne Zölle und Quoten. Neue Regeln für einen fairen Wettbewerb und einen Streitschlichtungsmechanismus, sollte eine der Seiten gegen diese Regeln verstoßen.
Nicht durchsetzen konnte sich die EU mit ihrer ursprünglichen Forderung, dass die Briten in der Zukunft jeweils alle neuen EU-Standards übernehmen. Es soll eine enge Partnerschaft geben in Bereichen wie Energie, Verkehr, Klimapolitik, Kampf gegen den Terrorismus.

Kompromiss im Streit um Fischereirechte

Beim zuletzt so strittigen Punkt der Fischereirechte wird es nun eine Übergangsphase von fünfeinhalb Jahren geben, während derer die Fangquote um 25 Prozent gegenüber jetzt gesenkt wird. Danach wird es jährliche Verhandlungen um die Fischereirechte geben. Zuletzt hatte die EU eine Übergangszeit von zehn Jahren gefordert. Die britische Regierung wollte dagegen jährliche Verhandlungen von Anfang an.
Der europäische Fischereiverband, erklärte bereits umgehend: Die Fischer zahlten nun einen hohen Preis und sähen einer ungewissen Zukunft entgegen. Dennoch war klar, dass die EU hier Zugeständnisse würde machen müssen.
Großbritannien, Dover: Lastwagen stauen sich auf einer Abfahrt zum Hafen von Dover.
Post-Brexit-Abkommen - Unternehmen fürchten unnötige Grenzkontrollen
Bundeskanzlerin Angela Merkel freut sich über "ein Abkommen von historischer Bedeutung". In der Wirtschaft fallen die Reaktionen auf das Post-Brexit-Abkommen dagegen verhalten aus.
Nicht mehr teilnehmen, auf eigenen Wunsch, werden die Briten am europäischen Erasmus-Programm für Studierende.
Das Abkommen wird nicht alle Probleme beseitigen. Und es bedeutet in einer Reihe von Fragen Einschränkungen im Vergleich zur bisherigen Vollmitgliedschaft der Briten in der EU, etwa im Finanzsektor, bei Dienstleistungen und der Anerkennung von Berufsqualifikation. Dennoch, "nun ist es Zeit, den Brexit hinter sich zu lassen. Unsere Zukunft liegt in Europa", so Ursula von der Leyen.

EU-Staaten und Parlament müssen noch zustimmen

Am Vormittag informierte Michel Barnier die Botschafter aller 27 EU-Staaten über die Einigung. Die Hauptstädte müssen sich nun durch den 1.246 Seiten langen Text arbeiten und dem Vertragswerk in den nächsten Tagen noch zustimmen. Auch das Votum des Europäischen Parlamentes steht noch aus.
"Im Europäischen Parlament werden wir den sehr umfangreichen Text gründlich prüfen und politisch bewerten, bevor wir im neuen Jahr über unsere endgültige Zustimmung entscheiden könnten", so David McAllister, der die Steuerungsgruppe im Europäischen Parlament leitet.
Für Bernd Lange, Vorsitzender vom Handelsausschuss des Europäischen Parlaments, bleibt ein fader Beigeschmack, "weil eben diese Verhandlungen so zäh und lange sich hingezogen haben, ist eine ordentliche Begleitung durch das Europäische Parlament nicht möglich gewesen."
Die Fraktionsvorsitzenden hatten ausgeschlossen, dass das Parlament noch in diesem Jahr dem Vertrag zustimmt, da nur so wenig Zeit bleibe, den Text zu prüfen. Daher soll das Abkommen zunächst provisorisch ab 1. in Kraft treten.