Donnerstag, 28. März 2024

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Brexit-Folgen für die Forschung
EVP-Politiker: Großbritannien sollte vollintegriert bleiben

Noch ist völlig unklar, wie es bei Forschung und Innovation nach dem Brexit weitergeht. Europa müsse offen dafür bleiben, das Vereinigte Königreich soweit wie möglich im europäischen Forschungsraum zu behalten, so der Europaabgeordnete Christian Ehler im Dlf. Das sei "in unser aller Interesse".

Christian Ehler im Gespräch mit Kate Maleike | 26.11.2018
    Der CDU-Europaabgeordnete Christian Ehler war einer der federführenden EU-Abgeordneten zum Forschungsprogramm Horizon 2020.
    Nach 50 Jahren internationaler Zusammenarbeit gebe es in der Forschung keine Grenzen mehr und das müsse auch so bleiben, sagte der Europapolitiker Christian Ehler im Dlf (picture alliance / dpa )
    Kate Maleike: Gerade haben wir gehört, auf der Nationalen Bologna-Konferenz in Berlin hofft man, dass Großbritannien nach dem Brexit weiter Teil des europäischen Hochschulraumes bleiben wird - weil man einen regen und unbürokratischen Austausch in der Wissenschaft fortführen möchte.
    Doktor Christian Ehler ist Mitglied im Europäischen Parlament und dort Berichterstatter für das Forschungsrahmenprogramm "Horizon", also Horizont, aus dem die Briten bei einem Ausstieg streng genommen auch draußen wären. Was, habe ich ihn gefragt, war das also gestern für ein Tag für die europäische Wissenschafts- und Hochschullandschaft?
    Christian Ehler: Ich glaube, es war ein Tag, wo vielleicht im Allgemeinen ein bisschen mehr Sicherheit entstanden ist, weil es vielleicht eben nicht zu einem unkontrollierten Brexit kommt. Auf der anderen Seite zeigt sich eben die ganze Komplexität und die vielen Probleme, die einfach auch mit dem Austrittspapier eben nicht gelöst sind. Und das betrifft eben vor allen Dingen das Thema Forschung und Innovation. In einem fast 585 Seiten starken Papier steht ja eigentlich nicht sehr viel drin, außer, dass im Kern die beiden Seiten eben 'explore' – also erforschen – wollen, das passt ja schön zum Thema, wie denn eigentlich die zukünftige Zusammenarbeit bei Forschung und Innovation funktionieren soll.
    Weitere Art der Zusammenarbeit noch vollkommen unklar
    Maleike: Das bedeutet also, es ist noch nicht ganz klar, wie man eigentlich mit den Briten dann umgeht, was die Hochschulzusammenarbeit und die Forschungszusammenarbeit angeht?
    Ehler: Nein, das ist noch vollkommen unklar, zumal das eben ein sehr, sehr komplexes Thema ist, weil wir immer so gedanklich davon ausgehen, dass da zwei Seiten sind, die dann irgendeine Vereinbarung treffen. Die Wirklichkeit ist ja viel komplexer, wir leben in integrierten Volkswirtschaften, wir leben in integrierten Gesellschaften und wir leben natürlich vor allen Dingen in der Forschungslandschaft in einem integrierten Europa.
    Und dieses auf der einen Seite auseinanderzudividieren und auf der anderen Seite keinen katastrophalen Flurschaden anzurichten, das wird die große Kunst der nächsten Monate und wahrscheinlich Jahre sein.
    Maleike: Inzwischen ist ja verabschiedet, dass das neue Forschungsrahmenprogramm "Horizon" deutlich mehr Volumen bekommt. Von 94 Milliarden Euro ist man auf 120 Milliarden Euro gegangen. Was bedeutet dieses Budget für die Briten jetzt, werden die daran teilhaben können?
    "Entspricht leider überhaupt nicht der Komplexität dessen, was da vor uns steht"
    Ehler: Das ist die große Frage. Im Moment, nüchtern betrachtet, zunächst mal nein. Denn mit dem neuen Programm werden die Briten aus der Europäischen Union ausgeschieden sein in 2020, und dann sind sie ein Drittstaat, der – und das wollen wir natürlich – mit der Europäischen Union natürlich Vereinbarungen schließen kann, inwieweit er Interesse hat und inwieweit es möglich ist, am europäischen Forschungsprogramm teilzunehmen.
    Im Detail ist das natürlich mehr als komplex, weil wir stellen uns ja immer nur vor, so ein Forschungsprogramm, wo Förderung gegeben wird an Universitäten. In Wirklichkeit ist das Forschungsrahmenprogramm natürlich sehr viel mehr.
    In anderen Bereichen geht es um sehr, sehr komplexe Fragen, was internationale Zusammenarbeit betrifft, zum Beispiel in der Kernfusion sind wir als Europäer ja nur Teil von internationalen Konsortien wie auch in vielen anderen Bereichen. Und da ist dann die Frage, welches Verhältnis haben wir zu den Briten, welche Verpflichtungen, die wir übernommen haben, werden von den Briten dann mit eingehalten, auf welcher rechtlichen Basis kann das eigentlich geschehen.
    Also, die Vorstellung ist sicher handlich, aber nur so um Forschungsförderung - und dann muss man so freundlich ein Abkommen abschließen, wie man denn in Zukunft den Briten ermöglicht, am Forschungsprogramm teilzunehmen - das entspricht leider überhaupt nicht der Komplexität dessen, was da vor uns steht.
    Maleike: Diese 120 Milliarden, die dann das Budget ausmachen, sollen ja auch in einem großen Anteil, die Rede ist von über der Hälfte, für Exzellenzverbundprojekte ausgegeben werden. Dahinter verstecken sich sozusagen europäische Universitäten, die jetzt in verschiedenen Ländern herausgefunden werden, die sich jetzt schon verbünden.
    Das sind ja auch die Europa-Universitäten, die der französische Präsident Macron skizziert hatte und gesagt hat, da muss sich Europa zeigen, in der Wissenschaft müssen wir die Exzellenz nach außen bündeln, um auch Europa stark zu machen.
    Sie haben gesagt, Europa befindet sich an einem historischen Scheideweg – auch was die Hochschulen angeht?
    Ehler: Ich würde sagen ja, ich glaube auch aus vielfältigen Gründen. Auf der einen Seite müssen wir einfach nüchtern konstatieren, dass zu Beginn des 21. Jahrhundert die ja über mehrere hundert Jahre unangefochtene Spitzenrolle europäischer Forschung, aber auch die Bedeutung europäischer Universitäten, herausgefordert ist. Herausgefordert durch China, durch Asien, herausgefordert durch einen Präsidenten in den Vereinigten Staaten, der mit einem America-First-Programm ja die Frage offener Wissenschaften, der Unabhängigkeit der Wissenschaften - denken Sie nur an die Frage von dem Klimawandel - ja doch sehr infrage gestellt hat. Also wirklich große Herausforderungen - und in diesem Augenblick muss sich natürlich Europa überlegen, steht es noch zu den Vorstellungen der Aufklärung, dass die Wissenschaft frei ist - , dass die Wissenschaft sozusagen öffentlichen Interessen dient, dass die natürlich so offen wie möglich sein sollte.
    Das sind natürlich schon Fragestellungen, die nicht nur außerordentlich wichtig sind, sondern die auch bedeuten, dass wir eine genügende Masse an Forschung, an Zusammenschlüssen, an Kooperation in Europa haben. Und der Austritt Großbritanniens wird natürlich Europa in diesem globalen Wettbewerb, der aber auch ein Wettbewerb der Ideen und der Wettbewerb ums Prinzip ist, nicht gerade stärken.
    "Da muss man auch mal ein bisschen über den eigenen Schatten springen"
    Maleike: Wir haben mit dem Brexit begonnen, und Sie haben auch gesagt, dass eigentlich noch ganz offen ist, wie man jetzt künftig miteinander dann umgeht. Was wäre Ihnen denn persönlich das Liebste oder was halten Sie für gangbar?
    Ehler: Ich halte im Grunde genommen für gangbar, und da muss man auch mal ein bisschen über den eigenen Schatten springen, dass Großbritannien voll integriert in die europäische Forschung bleibt.
    Ich glaube, die Diskussion um das Forschungsprogramm, das ja die rechtliche Grundlage für all diese Verhandlungen setzt, hat ja noch mal offen zutage getragen - ich glaube, ich und viele andere im Parlament waren eben der Meinung, dass Europa offenbleiben muss - dass es auch eine Lösung für Großbritannien haben muss und nicht quasi so ein Copy-and-paste America-First-Programm sein darf. Das hat sich auch durchgesetzt im Parlament, und ich glaube, wir müssen nach der Vollintegration des Vereinigten Königreichs in Europa schauen, weil es ist nicht nur eine politische Frage, wo man dann sagt, nach dem Brexit bestraft man, was gewährt man denn, sondern wir müssen auch mal überlegen, wir haben auch eine große Erwartungshaltung von vielen Menschen in Europa, von den Zivilgesellschaften in Europa, dass wir reflektieren, dass es die nationalen Grenzen in der Forschung in Europa dankenswerterweise nach 50 Jahren europäischer Forschungspolitik im Grunde genommen nicht mehr gibt.
    Es gibt zwar nationale Programme, aber wenn Sie den Austausch sehen, die Bedeutung sehen, auch die Arbeitsteilung in Europa sehen, dann wäre es geradezu grotesk, jetzt so künstliche Unterscheidung zu tun. Ich glaube, die Intention des Parlamentes in seiner Mehrheit ist, und das sollte unsere gemeinsame auch sein, dass wir das Vereinigte Königreich so weit wie möglich im europäischen Forschungsraum behalten und weiter diese tiefe Integration in Europa weiter fördern.
    Das ist in unser aller Interesse, wirtschaftlich, forschungspolitisch, aber ich glaube, es reflektiert auch das Gefühl vieler Europäer, die eben nicht wollen, dass jetzt aus politischen Gründen oder wegen kurzfristiger Volksentscheidungen wir wieder zurückgeworfen werden ins 19. Jahrhundert.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.