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Brexit-Sondergipfel
Zwischen Trauer und Trotz

Kurz, aber nicht schmerzlos war der Sondergipfel in Brüssel, auf dem die 27 verbleibenden EU-Partner die Scheidungspapiere mit Großbritannien unterzeichnet haben. Für die EU und Großbritannien ist dieser Vertrag ein historischer Einschnitt - auch wenn derzeit unsicher ist, ob das Dokument jemals in Kraft treten wird.

Von Katrin Michaelsen | 26.11.2018
    Juncker, Tusk und Michel Barnier (v.l.n.r.) stehen jeweils vor einem Redepult.
    EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Ratspräsident Donald Tusk und Brexit-Unterhändler Michel Barnier (v.l.n.r.) informierten nach dem EU-Gipfel die Presse. (AFP/JOHN THYS)
    Die Staats- und Regierungschefs der EU machten kurzen Prozess für einen langen Abschied. Entsprechend kurz auch die Abschiedsworte.
    EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sprach von einem traurigen Tag:
    "C‘est un jour triste."
    Und der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte, der mit Großbritannien einen wichtigen Partner auf EU-Ebene verliert, wollte nicht von Siegern sprechen:
    "Nobody is winning. We are all loosing."
    Ein Abschied, über den monatelang verhandelt worden war. Nun, nach diesem Sondergipfel, sind EU und Großbritannien einen Schritt weiter in Richtung einer geordneten Scheidung. Ein historischer Schritt. Noch nie zuvor hat ein EU-Mitgliedsland den Wunsch geäußert, die Gemeinschaft zu verlassen. Neuland also für alle Beteiligten.
    Und deswegen hat Ryan Heath, EU-Korrespondent beim Nachrichtenportal "politico" bis zum Schluss noch mit Ausweich-Manövern gerechnet, hatte erwartet, dass die sorgsam austarierte Gipfelchoreographie ins Schlingern kommt. Schließlich hätte sich der Gipfel mehrere Stunden Zeit für Gespräche gegeben:
    "Der Gipfel hat sich vier Stunden Zeit für Diskussion genommen, ich hätte nicht geglaubt, dass es keine Nachverhandlungen gibt"
    Ego und Stolz
    Spanien hatte mit einem Veto gedroht, erst am Samstagabend hatte Ministerpräsident Pedro Sanchez seinen Widerstand aufgegeben, nachdem er Zusicherungen über die Sonderrolle Gibraltars bekommen hat. Für Ryan Heath von politico der einzige Überraschungsmoment des Gipfels:
    "Den wirklich überraschenden Moment hat Spanien geliefert, als es sich dazu entschieden hat, aus der Gibraltar-Abmachung auszuscheren."
    Spanien habe seine Klarstellung bekommen, und das zu Recht. Aber Ego und Stolz wären dabei auch im Spiel gewesen. Die sozialistische Regierung unter Pedro Sanchez wolle zurück ins Zentrum der europäischen Debatten.
    Zu wenig Aufmerksamkeit für Spanien, zu viel für Irland.
    "A very important day for Ireland",
    sagt Tony Connelly, EU-Korrespondent vom Fernsehsender Irish TV. Die irische Regierung habe hart gearbeitet und für eine wasserdichte Lösung der Grenzfrage zwischen Irland und Nordirland gesorgt.
    "Niemand habe gewonnen", so Tony Connelly.
    Zustimmung im Parlament ungewiss
    Das Brexit-Paket umfasst einen fast 600 Seiten starken Austrittsvertrag. Aufgeschrieben ist darin, unter welchen Bedingungen die Trennung vollzogen werden soll. Vor allem aber regelt der Vertrag, dass bis zum 31. Dezember 2020 erst einmal alles so bleibt wie es ist. Großbritannien bleibt im Binnenmarkt und in der Zollunion, hat jedoch in den EU-Gremien kein Mitspracherecht mehr.
    Begleitet wird der Brexit-Vertrag von einer politischen Erklärung. Sie ist rechtlich nicht bindend, bildet aber die Grundlage für die Gespräche, die im April 2019 beginnen sollen. Die Rede ist von einer weitreichenden Wirtschafts- und Sicherheits-Partnerschaft, aber auch von einer zeitlichen Befristung der Zollunion als Auffanglösung für Nordirland. Damit soll den Brexit-Hardlinern die Zustimmung zum Abkommen erleichtert werden.
    "I wouldn´t sign that deal."
    James Crisp würde den Vertrag nicht unterschreiben. James Crisp ist Brüsseler Korrespondent des Daily Telegraph mit Hauptsitz in London. Das Vertragspaket sei schlecht, von Brüssel gemacht und würde Großbritannien schaden und sogar demütigen. Und dann schickt James Crisp noch eine "Was-Wäre-Wenn"-Frage hinterher. Wenn er Premierminister wäre, würde er mit diesem Deal nicht in die Geschichte eingehen wollen.
    Theresa May muss die Scheidungspapiere jetzt dem britischen Parlament vorlegen. Sie muss die britischen Abgeordneten überzeugen, dem Vertragswerk zuzustimmen. Die EU- Staats- und Regierungschefs hätten ihren Teil dazu beigetragen, sagt Paddy Smith - EU-Korrespondent der Irish Times.
    So positiv wie möglich habe die EU die Trennung auf den Weg gebracht, um Theresa May zu helfen. Damit sieht die EU ihren Teil als erledigt an, wenn auch unter Trennungsschmerzen.
    Über diesen Zusammenhalt kann sich die EU freuen, sagt Tony Connelly von Irish TV.
    Aber lange werde die Harmonie nicht halten, spätestens bei den Verhandlungen über die künftigen Handelsbeziehungen werde jedes Land wieder seine eigenen Interessen verfolgen.