Montag, 20. Mai 2024

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Briefe 1925 - 1975 und andere Zeugnisse

"Willst Du diesen Sonntag Abend zu mir kommen? Ich lebe in der Freude dieser Stunden. Komm gegen 9 Uhr! Wenn freilich die Lampe in meinem Zimmer brennt, dann bin ich durch eine Besprechung abgehalten. In diesem (...) Fall komme am Mittwoch um dieselbe Zeit. (...) Ich bin mehr Beamter als Mensch. Umsomehr freue ich mich auf ein Ausruhen mit Dir."

Ludger Lütkehaus | 19.12.1998
    Ein halbes Jahr später - es ist Winter 1926 - wird das gegensätzliche Signal verabredet: "Ich würde mich sehr freuen, wenn Du heute (Samstag) Abend 3/4 9 zu mir kämest. Wenn das Licht in meinem Zimmer brennt, bin ich zu Hause."

    Wer da sein Liebeslicht leuchten ließ in der Finsternis, war ein bald weltberühmter Philosoph. Der Ort der erotischen Konspiration: die kleine Universitätsstadt Marburg, wo er seine erste Professur innehatte. Sein Name: Martin Heidegger. Er war zu diesem Zeitpunkt 36 Jahre, verheiratet, Vater von zwei Söhnen. Die Hoffnung war berechtigt, daß er schon bald auf berühmtere Lehrstühle berufen werden würde - wenn nichts Ehrenrühriges die Karriere und den bürgerlichen Frieden trübte. 1928, nach der Veröffentlichung seines Hauptwerkes "Sein und Zeit", wurde er tatsächlich auf den renommierten Lehrstuhl seines Lehrers Edmund Husserl nach Freiburg berufen. 1933 betrieb er als nationalsozialistischer Freiburger Rektor die Gleichschaltung der Universität. Nach dem Krieg erhielt er Lehrverbot, das 1951 wieder aufgehoben wurde. Philosophisch und politisch umstritten blieb er bis zu seinem Tod 1976 und darüber hinaus.

    Die Geliebte, der die Marburger Lichtsignale galten, war eine erst 18jährige jüdische Studentin, drei Jahrzehnte später nicht weniger berühmt als ihr Lehrer und Liebhaber. Ihr Name: Hannah Arendt. Folgt man einem ihrer Briefe aus dem Anfang der fünfziger Jahre, so war sie für Heidegger die Leidenschaft seines Lebens. 1926 verließ sie Marburg, um bei Karl Jaspers in Heidelberg, im Wintersemester darauf bei Edmund Husserl in Freiburg zu studieren. 1929, nach ihrer Promotion, heiratete sie den Philosophen Günther Stern, heute besser als Günther Anders bekannt. 1933 emigrierte sie nach Paris. Während Heidegger als Rektor agierte, versuchte sie im Auftrag der zionistischen Jugendorganisation Kinder nach Palästina zu retten. 1940, nach der Scheidung ihrer ersten Ehe, ging sie mit dem antifaschistisch engagierten Philosophen Heinrich Blücher eine zweite Ehe ein. 1941 emigrierten die beiden in die USA. Mit ihren großen Büchern "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft", 1951 erschienen, 1958 mit "Vita activa oder Vom tätigen Leben" gewann Hannah Arendt als politische Philosophin weiterhin Aufmerksamkeit.

    Die politische Rolle Heideggers sieht sie scharf, manchmal überscharf. Und doch hält sie der Beziehung die Treue. Wie sehr, ist jetzt an der lange erwarteten Veröffentlichung des Briefwechsels zwischen ihr und Heidegger abzulesen. Wie die Liebesbeziehung selber waren Teile dieses Briefwechsels schon seit einiger Zeit bekannt. Hannah Arendts Biographin Elizabeth Young-Bruehl, Elzbieta Ettinger in ihrer über Gebühr moralisierenden Paar-"Geschichte" und die exzellente Heidegger-Biographie von Rüdiger Safranski haben die Briefe bereits nutzen können. Aber die Gesamtpublikation ist doch ein Ereignis. Die Herausgeberin Ursula Ludz hat den Briefwechsel detailliert kommentiert. Für eine angemessene Einschätzung sind freilich andere Korrespondenzen unersetzlich, vor allem die von Hannah Arendt mit ihrem Mann Heinrich Blücher, mit ihrem Lehrer und Freund Karl Jaspers; auf Seiten Heideggers die Korrespondenz mit Jaspers und Heideggers Freundin Elisabeth Blochmann.

    Beziehung und Briefwechsel durchlaufen mehrere Phasen - von insgesamt drei "Hoch-Zeiten" zu sprechen, wie es die Herausgeberin tut, ist wohl etwas zu euphorisch formuliert und auch gelinde überdramatisiert. Die erste Phase, in der Tat zu Beginn eine Hoch-Zeit, datiert von der leidenschaftlichen Marburger Liebesbeziehung seit Februar 1925 bis zum vorläufigen Abbruch im Winter 1932/33. Nach der Wiederbegegnung im Februar 1950 bleibt die nun um Heideggers Frau Elfride erweiterte Konstellation labil. Von 1952 bis 1967 kommt es erneut zu keiner persönlichen Begegnung. Erst danach mündet alles in ruhigere und verläßlichere, aber auch distanziertere Bahnen ein.

    Der Briefwechsel und die ihm beigefügten Zeugnisse sind vorab ein biographisches Dokument ersten Ranges für zwei bedeutende Gestalten dieses Jahrhunderts. Philosophisch und auch literarisch ist der Briefwechsel deswegen wichtig, weil er neben vertrauten Heidegger-Philosophemen etliche der bisher weniger bekannten Gedichte Heideggers und Arendts enthält. Allerdings haben auch hier die genannten anderen Briefwechsel-Editionen und die Biographien vorgearbeitet. Die politische Bedeutung des Briefwechsels liegt darin, daß er, auch und gerade da, wo er alles Politische auszusparen scheint, eine Art von Kommentar zu Heideggers nationalsozialistischem "Irrtum" ist, zu dem Milieu, in dem seine Anschauungen sich bildeten, zu den Attitüden, die er als Mann, als Professor, als Rektor, als Mitverantwortlicher, wenn auch nicht Mittäter, favorisierte. Etwas plakativ gesagt: Die sehr politisch denkende jüdische Philosophin begegnet dem sich a-, wenn nicht überpolitisch verstehenden Seinsdenker. Insgesamt verbindet der Briefwechsel alle diese Aspekte zu einer Duographie mit epochalem Hintergrund, mit einem modifizierten Hegel-Wort gesagt: Der Briefwechsel zeigt "die Zeit, nicht in Gedanken, sondern in der Geschichte einer Liebe erfaßt". Eine Jahrhundertliebe - wie die fast gleichzeitig begonnene, aber anders geartete zwischen Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre.

    In ihrer Rede zum 80. Geburtstag Heideggers am 26. September 1969 hat Hannah Arendt aus der Rückschau der 62jähringen beschrieben, was sie am noch jungen Heidegger so anzog, daß es sie schließlich in seine Arme trieb: "Martin Heidegger ist heute achtzig Jahre alt und feiert mit dem achtzigsten Geburtstag das fünfzigjährige Jubiläum seiner öffentlichen Wirkung als Lehrer (...) Lassen Sie mich (...) mit diesem Anfang in der Öffentlichkeit beginnen, nicht mit dem Jahre 1889 in Meßkirch, sondern mit dem Jahre 1919, dem Eintritt des Lehrers in die deutsche akademische Öffentlichkeit an der Universität Freiburg. Denn Heideggers Ruhm ist älter als die Veröffentlichung von ‘Sein und Zeit’ im Jahre 1927 (...) Um diesen Ruhm war es seltsam bestellt. (...) Da war kaum mehr als ein Name, aber der Name reiste durch ganz Deutschland wie das Gerücht vom heimlichen König. (...) Wen denn erreichte das Gerücht, und was sagte es? Es gab damals, nach dem Ersten Weltkrieg, an der deutschen Universität zwar keine Rebellen, aber ein weitverbreitetes Unbehagen an dem akademischen Lehr- und Lernbetrieb in all den Fakultäten, die mehr waren als bloße Berufsschulen, und bei all den Studenten, für die das Studium mehr bedeutete als die Vorbereitung auf den Beruf. Philosophie war kein Brotstudium, schon eher das Studium entschlossener Hungerleider, die gerade darum recht anspruchsvoll waren. (...) Die Universität bot ihnen gemeinhin entweder die Schulen - die Neu-Kantianer, die Neu-Hegelianer, die Neo-Platoniker und so weiter - oder die alte Schuldisziplin, in der Philosophie, säuberlich in Fächern aufgeteilt als Erkenntnistheorie, Ästhetik, Ethik, Logik und dergleichen, nicht so sehr vermittelt als durch bodenlose Langeweile erledigt wurde. Gegen diesen eher gemütlichen und in seiner Weise auch ganz soliden Betrieb gab es damals, noch vor dem Auftreten Heideggers, einige wenige Rebellen; es gab, chronologisch gesprochen, Husserl und seinen Ruf ‘Zu den Sachen selbst’, das hieß: ‘Weg von den Theorien, weg von den Büchern’. (...) Was diese Wenigen miteinander gemeinhatten, war - um es in Heideggers Worten zu sagen -, daß sie ‘zwischen einem gelehrten Gegenstand und einer gedachten Sache’ unterscheiden konnten, und daß ihnen der gelehrte Gegenstand ziemlich gleichgültig war. Das Gerücht erreichte damals diejenigen, welche mehr oder minder ausdrücklich um den Traditionsbruch und die ‘finsteren Zeiten’, die angebrochen waren, wußten, die daher die Gelehrsamkeit gerade in Sachen der Philosophie für ein müßiges Spiel hielten. (...) Das Gerücht, das sie nach Freiburg zu dem Privatdozenten und etwas später nach Marburg lockte, sagte, daß es einen gibt, der die Sachen, die Husserl proklamiert hatte, wirklich erreicht, der weiß, daß sie keine akademische Angelegenheit sind, sondern das Anliegen von denkenden Menschen. (...) Das Gerücht sagte es ganz einfach: Das Denken ist wieder lebendig geworden, die totgeglaubten Bildungsschätze der Vergangenheit werden zum Sprechen gebracht. (...) Es gibt einen Lehrer; man kann vielleicht das Denken lernen."

    Anders, aber nicht weniger groß die Faszination der 17 Jahre jüngeren Hannah Arendt für Heidegger. Eine überaus anziehende, hochbegabte Studentin begegnete ihm hier. Er liebte den Glanz ihrer Augen, ihre Schönheit, ihre Aura von Intelligenz und Melancholie. Sie war das Gegenteil eines akademischen Blaustrumpfes, ganz und gar von der Leidenschaft für die Sache und die Person, die Philosophie und den Philosophen erfüllt. Sie war das "schöne und wunderbare Mädchen aus der Fremde", paradoxerweise nach einem wohlvertrauten Schiller-Gedicht so genannt.

    In seinem ersten Brief vom 10. Februar 1925 macht Heidegger der edlen Einfalt und schlichten Größe des "Mädchens" wie später dem "Kind" und der "Heiligen" seine Avancen. Der Brief ist charakteristisch für die Verbindung von Tonlagen, die in "cooleren" Zeit pathetisch, schwülstig, wenn nicht kitschig wirken müssen, mit konventionellsten Vorstellungen über die Rolle der Geschlechter und des "fraulichen Wesens" "dienende Liebe". Schon wenige Tage später hat die Leidenschaft triumphiert.

    In den folgenden Monaten kommt es zu einem ebenso abenteuerlichen wie geschickt organisierten Liebesleben. Die Verabredungen in Haus und Wald, an Bänken und Bäumen, zeugen von beträchtlicher Zielstrebigkeit. Und Hannah Arendt akzeptiert, noch gänzlich widerspruchslos, das erotische und bürgerlich-familiäre Doppelleben, das den Schein wahrt und doch nicht auf die Liebe verzichtet.

    Die erotisch-philosophische Gesamtkonstellation ist freilich nicht ohne unfreiwillige Selbstironie, je heftiger der philosophische Liebhaber sich gebärdet. Heidegger hatte Hannah Arendt erstmals in seiner Vorlesung über Platons Dialog "Sophistes" wahrgenommen, jenem schwierigen, aber überaus lohnenden Werk, das mit der Figur des Sophisten, des geschäftsmäßigen Rhetorikers und Wahrheitsverkäufers, Wahrheit und Lüge, Sein und Nichtsein und vor allem das Sein und Nichtsein des Scheins zum Thema hat. Und Platons Lichtmetaphysik hatte in den konspirativen Marburger Lichtsignalen, in denen Heidegger sein Licht mal leuchten, mal nicht leuchten ließ, eine eigenwillige Illumination gefunden. Der Philosoph der "Eigentlichkeit", der als "Unverborgenheit" verstandenen Wahrheit, des "Ganzseinkönnens" im Vorlaufen des Daseins zum Tode, der Kritiker des "Geredes", der "Verfallenheit" des Daseins an das "Man", spaltete da auf eine ziemlich uneigentliche, ziemlich verborgene, eben dem bürgerlich-reputierlichen "Man" verfallene, vom "Gerede" abhängige Weise seine Existenz, um Karriere und Ehe nicht zu gefährden. Der Ehebruch, den die Moral des "Man" dem Delinquenten getrost anlasten mag, ging mit der Liebesverleugnung einher, während die Geliebte sich so völlig hingab, daß sie noch die Spaltung akzepierte. Bis in die Überlieferung des Briefwechsels spiegelt sich diese fatale Asymmetrie wieder: Sie hat alle seine Briefe als Reliquien der Liebe aufbewahrt - er die ihren zum größten Teil nicht. Hannah wird zu seiner philosophischen Muse: "Sein und Zeit", das Werk das ihn nicht nur als Lehrer, sondern auch als Autor berühmt macht, wird niedergeschrieben. Eigentümlich steht es darin nur um die Stimme der Liebe: Vom "Mitsein" des "Daseins" ist wohl die Rede, von der Liebe nicht. Sie bleibt auf das nichtöffentliche Leben und den Briefwechsel beschränkt. Da allerdings weiß Heidegger höchst suggestiv von der Liebe zu sprechen. Sankt Martin, der Mesnersohn aus dem katholischen Meßkirch, unverhofft wieder fromm geworden, zitiert Sankt Augustinus, der vor seiner Bekehrung auch ein erotisch vielerfahrener Mann war: "Diesmal versagt sich mir alle Rede - und ich kann nur weinen, weinen - und das Warum hat auch keine Antwort - und versinkt - vergeblich wartend - im Danken und Glauben. (...) Am Ende bist Du zu scheu, (...) um das Ja Gottes, der Dich erkannte und annahm, zum Besitz Deiner Seele zu machen; aber Heilige - daß Du diese Scheu bewahrst - bewahrt Dir sein Ja - und ein Philosoph - er sieht mit Augustinus nur das Kind, das am Strand das Meer in eine kleine Grube schöpfen möchte... Amo heißt volo, ut sis, sagt einmal Augustinus: ich liebe Dich - ich will, daß Du seiest, was Du bist."

    Hannah Arendt hat dieses Augustinus-Zitat durch ihr ganzes Leben begleitet. Und auch Heidegger hat so daran Gefallen gefunden, daß er es im Briefwechsel gleich mehrfach wiederholt, und, weil es so schön ist, es zweieinhalb Jahre später an Elisabeth Blochmann umadressiert. Auch eine Art von Treue - die zu einem Zitat.

    Im Frühjahr 1926 mutet Hannah Arendt sich den Schmerz der - vorerst allerdings nur räumlichen - Trennung zu: seinetwegen. Bei Karl Jaspers in Heidelberg promoviert sie - über den Liebesbegriff bei Augustin: eine unter Schmerzen geglückte Sublimation. Im Winter 1932/33, kurz vor dem Beginn von Heideggers Rektorat, erreicht Hannah Arendt der vorerst letzte Brief. Er ist eine Antwort auf Gerüchte, die die Jüdin Hannah Arendt beunruhigen mußten. Äußerst schroff fällt nun die Abrechnung aus: "Liebe Hannah! Die Gerüchte, die Dich beunruhigen, sind Verleumdungen. (...) Zur Klärung, wie ich mich zu Juden verhalte, einfach die folgenden Tatsachen: Ich bin dieses Wintersemester beurlaubt. (...) Wer trotzdem kommt und dringend promovieren muß und es auch kann, ist ein Jude. Wer monatlich zu mir kommen kann, (...) ist wieder ein Jude. Wer mir (...) eine umfangreiche Arbeit zur dringenden Durchsicht schickte, ist ein Jude. Die zwei Stipendiaten der Notgemeinschaft, die ich in den letzten 3 Semestern durchsetzte, sind Juden. Wer durch mich ein Stipendium nach Rom erhält, ist ein Jude. - Wer das 'enragierten Antisemitismus' nennen will, mag es tun. Im übrigen bin ich heute in Universitätsfragen genau so Antisemit wie vor zehn Jahren und in Marburg. (...) Das hat mit persönlichen Beziehungen zu Juden (... )gar nichts zu tun."

    Diese Sicht der Dinge wird Karl Jaspers noch nach dem Krieg bestätigen, wenn er Heidegger bescheinigt, daß er vor 1933 kein Antisemit gewesen sei. Der ärgerliche, litaneiartige Refrain auf die Juden spricht indes eine nur zu deutliche Sprache. Schon 1929 hatte Heidegger sich mit Heftigkeit gegen die "Verjudung" der deutschen Universität ausgesprochen. Und das hatte natürlich auch mit den "persönlichen" Beziehungen zu tun, ja den allerpersönlichsten: Der politische Sündenfall Heideggers ist zugleich Liebesverrat - der Verrat an der Liebe zu einer Jüdin.

    Danach herrscht die ganzen Tausend Jahre und drei darüber hinaus völlige Funkstille. Erste briefliche Wiederanknüpfungsversuche 1948 von der Seite Hannah Arendts führen im Februar 1950, 25 Jahre nach der Zeit der ersten Liebe, zu einer Wiederbegegnung. Heidegger wagt sie in seinem ersten Brief nur noch zu siezen, kommt aber gleich höchstpersönlich in ihr Freiburger Hotel. Und flugs steht seine junge alte Liebe wieder im vollen Flor, auch wenn sie nun bei der glücklich verheirateten Hannah Arendt keine Aussicht auf leidenschaftliche Erfüllung mehr hat. Er bedichtet das Wiederfinden des "Mädchens aus der Fremde". Doch was ist von Heideggers politischen Bekenntnissen zu halten? Denn die macht er jetzt, im Widerspruch zur Legende von seinem totalen Schweigen, seiner "zweiten Schuld". An Jaspers schreibt er im März 1950: "Lieber Jaspers! Ich bin seit 1933 nicht deshalb nicht mehr in Ihr Haus gekommen, weil dort eine jüdische Frau wohnte, sondern weil ich mich einfach schämte."

    Für Heidegger ist inzwischen auch gegenüber seiner Frau Elfride die Zeit des wahreren Seins gekommen. Irgendwann einmal hat er ihr seine außereheliche Liebe gestanden, so daß bei der Wiederbegegnung im Februar 1950 keine Geheimniskrämerei mehr nötig ist. Doch nun wird es um so schwieriger zwischen den beiden Frauen. Am Anfang scheint alles gutzugehen. Auch von Frau zu Frau werden Briefe gewechselt. Aber dann macht sich die Vergangenheit wieder geltend - und die Gegenwart einer wiederaufflackernden Beziehung. In außerordentlich harschen Worten bescheinigt Hannah Arendt in ihren Briefen an die Freundin Hilde Fränkel und ihren Mann Elfride ein Syndrom von Eifersucht und Antisemitismus - sie war schon vor Heidegger Nationalsozialistin gewesen und ist es innerlich wohl geblieben. Seitdem muß Elfride Heidegger wiederholt als Sündenbock dienen. Wie sehr Heidegger an seine Frau gebunden war, mochte Hannah Arendt nicht gerne gelten lassen.

    Nichtsdestoweniger sind die Gründe nicht ganz klar, warum es 1952 erneut zu einer langjährigen Unterbrechung des direkten persönlichen Kontaktes kommt. Nur sporadisch gehen die Briefe hin und her. Die Eifersucht hat wohl die ausschlaggebende Rolle gespielt. Aber es kommen auch atmosphärische Unstimmigkeiten mit Heidegger selber hinzu: Hannah Arendt geht philosophisch inzwischen ihre eigenen Wege - durchaus andere, als Heidegger sie geht und bei ihr wahrhaben will. Heideggers verkappt theologischem Dualismus von "Eigentlichkeit" und "Verfallenheit" stellt sie den "amor mundi", die Liebe zur Welt entgegen. Auf Heideggers Philosophie des "Seins zum Tode", der Mortaltität, antwortet sie mit einer Philosophie der "Natalität", der "Gebürtlichkeit", des "Seins von Geburt". Psychologisch gesprochen: Die kindlose, gescheiterte, wiederangeknüpfte Geschichte einer Liebe wird mit der Geburt von Hannah Arendts Natalitätsphilosophie kompensiert.

    Hannah Arendts Entwicklung zur anerkannten politischen Philosophin mit existentiellem Hintergrund war für Heidegger aber wohl noch aus anderen Gründen schwer akzeptabel. Der erste hängt mit einem oft übersehenen Aspekt von Hannah Arendts Totalitarismus-Deutung zusammen. Im Zeichen des Kalten Krieges mochte die paritätische Analyse von Nationalsozialismus und Sowjetdiktatur als Formen totaler Herrschaft generell dem Westen willkommen sein - für Nationalsozialisten, deren bevorzugte Ideologie neben dem Antisemitismus, verbunden mit ihm, immer der Antibolschewismus gewesen war, mußte die Gleichsetzung um so skandalisierender wirken.

    Der andere Grund war wohl in der Emanzipation der Frau, der Philosophin zu suchen, die Heidegger, ganz Meisterdenker, als Schülerin, als Echo, als Nach-Denkerin, als Vermittlerin wie einst als Muse, die ihm die Raserei der schöpferischen Arbeit schenkte, zu sehen gewohnt war.

    Der direkte persönliche Kontakt wird nach fünfzehnjähriger Unterbrechung erst 1967 wiederaufgenommen. Der Herbst der Beziehung beginnt. Ohne weiteren Bruch kann sich nun konsolidieren, was vorher labil geblieben war. Jetzt werden auch die Ehepartner integriert.

    Über ihren letzten Besuch in Freiburg schreibt Hannah Arendt an ihre Freundin Mary McCarthy; es geht nun doch wieder um das "Sein zum Tode": " Ich war in Freiburg und kam sehr deprimiert nach Hause. Heidegger ist nun plötzlich wirklich sehr alt, sehr verändert gegenüber dem letzten Jahr, sehr taub und zurückgezogen, unnahbar, wie ich ihn nie zuvor gesehen habe."

    Hannah Arendt stirbt am 4. Dezember 1975, Martin Heidegger knapp sechs Monate später. Seine Frau Elfride hat beide um jene siebzehn Jahre, die Hannah Arendt jünger als Martin Heidegger war, überlebt.