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Briefe an Beethoven
"Lieber Ludwig, Sie können sich kaum vorstellen, wie verfügbar Musik geworden ist"

Musik könne heute zu allem gebraucht werden, schreibt der Komponist Manos Tsangaris in seinem Brief an Ludwig von Beethoven: zum Verkauf von Waren oder zur Stimulanz von Empfindungen. Sie sei selbst zur Ware geworden, abgelöst vom Prozess ihrer Entstehung, vervielfältigt und massenweise verkauft.

Von Manos Tsangaris |
    Komponist: Manos Tsangaris, Donaueschinger Musiktage, 2014
    Die Klarheit und Modernität von Beethovens Werk seien einmalig, wie auch deren Konsequenz und ihr Lebendiges - ist Manos Tsangaris überzeugt (@SWR / Inge Zimmermann)
    Hochverehrter, lieber Ludwig van Beethoven,
    Eigentlich wollte ich mich lieber fernhalten von Ihren Feierlichkeiten zum 250. Geburtstag und mich nicht mit auf die Jagd nach Ihnen begeben
    Dann allerdings kam mir eine Aufführung dazwischen. In Taiwan hörte ich meine Frau, die Pianistin Pi-hsien Chen mit zwei Studierenden der National Taiwan University of the Arts (so etwas gibt es inzwischen) Ihr Klaviertrio op.70 Nummer 1 musizieren.
    Innerlich hören
    Ich glaube, Sie drehen sich immer "einmal im Himmel um", wenn dieses Werk hier unten das "Geistertrio" genannt wird. Jedenfalls durfte ich die Proben begleiten, dynamische Balancen prüfen, und habe das Werk deshalb einige Male gehört. Es ist fantastisch!!
    Und da kam mir ein Gedanke, es überfiel mich eine Idee regelrecht. Das ist immer das Gefährlichste, wenn Ideen auftauchen oder herabfallen. Sie verpflichten einen, sie versklaven einen buchstäblich.
    In mir überlagerten sich plötzlich die Schriftlichkeit ihrer Kompositionen (ohne die es diese nicht gäbe) und die Schriftlichkeit ihrer Kommunikation in den letzten Lebensjahren. All die schriftlichen Kompositionen und Kommunikationen.
    Als Kinder haben wir uns natürlich immer gefragt, wie ein Mensch so eindringliche Musik schreiben kann, dem das Hörvermögen abhandengekommen ist. Ja, er hört innerlich, das hatten wir wohl verstanden.
    Und wenn er Konversationshefte vollschreibt mit Konversationspartnern, dann hört er auch innerlich. Welche Stimme hört er, wenn er schreibt? Welche, wenn er liest?
    Kompositionen werden hinausgeschossen ins Land
    Und so kam ich auf den Gedanken aus diesen Fragen ein kleines eigenes Stück zu machen.
    Geschriebene, komponierte Musik mit projizierten, "stummen" Texten.
    Größtenteils beschäftigen sich diese Texte mit der Frage, was wir wann und unter welchen Umständen hören und vernehmen können - vor allem wenn wir etwas lesen. Und wir hören Klaviermusik dabei.
    Und lesen Wörter.
    Jetzt lese ich diesen Brief an Sie in ein Mikrofon und einen technischen Apparat hinein, den Sie, hochverehrter Herr Beethoven zur Zeit der Erfindung des PianoForte noch nicht kennen konnten. Der Apparat nutzt elektrische Schwingungen, um Luftschwingungen zu übersetzen, er heißt Radio-Apparat.
    Menschen sitzen an Schallquellen, wo auch immer, im ganzen Land verteilt und lauschen.
    Übrigens lauschen sie in diesen Apparaten auch ausgesprochen gerne Ihrer Musik, ihren Kompositionen.
    Diese Kompositionen können sich ja gar nicht wehren. Sie werden hinausgeschossen ins Land und sind frei von all den Schwierigkeiten, die Sie, Herr Beethoven, noch gehabt haben müssen: Musiker, die indisponiert waren oder erst gar nicht aufkreuzten, verstimmte Instrumente, Räume, die akustisch unbrauchbar waren, schlechte Bezahlung und so weiter.
    Musik ist zur Ware geworden
    Andererseits, war das alles wohl weniger "geisterhaft" als heute. Die Klänge mussten noch von Menschen gemacht werden, um wie menschengemachte Klänge zu klingen. Heute kann alles simuliert werden. Alles funktioniert, wenn gewünscht, immer als ob.
    Als ob da ein Orchester spielte.
    Als ob ich direkt neben Ihnen säße und spräche.
    Als ob ihre Musik nur für mich alleine erklänge.
    Also mache ich einmal stopp. Mitten im Klaviertrio op.70 Nr. 1 schalte ich das Ding aus. Geisterhaft ist dieser Umgang mit Komposition. Aber praktisch.
    Ja, das können Sie sich wahrscheinlich kaum vorstellen, wie verfügbar alles geworden ist. Welche Rolle die Musik in dieser Verfügbarkeit spielt angesichts und vermittels ihres Gefühls- und Empfindungswertes. Sie kann zu so gut wie allem gebraucht werden.
    Sie kann zum Verkauf von Waren, zur Stimulanz kriegerischer oder zärtlicher Empfindungen eingesetzt werden, vor allem aber wird sie auch selbst zur Ware.
    Sie ist abgelöst vom Prozess ihrer Entstehung und wird vervielfältigt und verkauft und massenweise ausgeschüttet. Und noch massiger - noch mehr davon, und immer mehr.
    Ihnen zu Ehren ein winzig kleines Stück schreiben
    Also fiel mir damals in dem Moment in Taiwan bei der Probe Ihres Klaviertrios ein, Ihnen zu Ehren ein kleines, im Vergleich zu Ihrem ungeheuren kompositorischen Werk, winzig kleines Stück zu schreiben, das sich nicht in die Massenware pressen lässt - oder einspeisen, streamen, up- und downloaden lässt.
    Und zwar nicht, weil es so besonders toll wäre dieses kleine Stück, oder weil ich generell aus ideologischen Gründen oder so etwas gegen Technologie hätte, das sei ferne, sondern weil die Situation der Aufführung selbst, ähnlich wie zu Ihrer Zeit, wieder eine wesentliche Rolle spielt, die den Menschen, die Hörbetrachterin in die Mitte des Geschehens zwischen dem Werk und dem Menschen rückt, eine eigene und einmalige Sphäre, wo der Kontext der Entstehung von Musik, sagen wir Musik im erweiterten Sinne, zu etwas wird, das auch gesehen werden muss, während man hört, das eine bestimmte, auch körperliche Situation des Menschen mit voraussetzt und einschließt.
    Die Anwesenheit der jeweiligen Hörbetrachterin spielt eine zentrale Rolle. Und sei es nur, dass die Textprojektion wie in ihren Konversationsheften gelesen werden muss, dass die Stimme des Sprechenden, Schweigenden, in der Schrift sprechenden Menschen gehört werden kann. Und das Schöne daran ist, dass diese Text-Projektion, genannt: KraftPunkt oder PowerPoint, den Klang des Klaviers nicht stört. Sie ist stumm. So stumm wie ihre Konversationshefte etwa.
    Ein Mann in weißem Hemd, kurzem weiß-grauen Haar und Bart lächelt in die Kamer. Er ist im Halbporträt vor einer bunt bemalten Wand zu sehen.
    Briefe an Beethoven - „Lieber Ludwig, ich sah Dein Violinkonzert in Farben“
    Beethovens Violinkonzert als Fest der Sinne wahrzunehmen – das habe sein Leben geprägt, schreibt der Liedermacher Konstantin Wecker in seinem Brief an den berühmten Komponisten.
    Für die Voraussetzungen, die Sie, lieber Herr Beethoven geschaffen haben in Ihrem Werk bin ich - und viele andere Schöpfende, Hörende, mitschöpfende und mithörende Menschen über alle Maßen dankbar. Die Klarheit und Modernität, der scharfe Schnitt der Montage, die Präzision der Empfindung und des Denkens, die sich nirgends trennen lassen, die Zeichenhaftigkeit, die Konsequenz und das Lebendige Ihres Werks sind einmalig.
    Für all das sind wir Ihnen aufs Innigste zu Dank verpflichtet.
    Und für das Persönliche und das Dingliche darin.
    Nun, ich hoffe, Sie nicht zu sehr gestört zu haben mit meinen paar Gedanken und meiner kleinen Komposition, wünsche Ihnen einen friedlichen und inspirierenden Aufenthalt, wo immer Sie auch sind, und verbleibe in aufrichtigster Verehrung Ihr
    Manos Tsangaris