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Briefträger gesucht

In Dänemark hat die Arbeitslosenquote mit drei Prozent einen historischen Tiefstand erreicht. In fast allen Branchen werden Mitarbeiter händeringend gesucht. So auch bei der Post, die allein im vergangenen Jahr mehr als 100 deutsche Briefträger einstellte. Marc-Christoph Wagner war mit einem von ihnen in Kopenhagen unterwegs.

    "Ich kann mir das Geld für den Fitnessklub sparen."

    "Wie viele Treppen läufst Du hier am Tag?"

    "Oh, die habe ich noch nicht gezählt, aber auf der Tour sind das 62 Aufgänge, jeweils bis in den dritten Stock."

    Alexander Müller ist guter Dinge. Seit Februar des vergangenen Jahres arbeitet der 27-Jährige als Briefträger in Dänemark. Die Arbeitsabläufe, sagt er, sind identisch mit denen in Deutschland. Nur hätten die Dänen den Briefschlitz in der Wohnungstür und keine Sammelpostkästen im Treppenhaus.

    "Daran merkt man auch, dass in Dänemark eine hohe Beschäftigungsquote herrscht - ist nie einer zu Hause, egal, wo man ist, im Block oder in einer Siedlung mit einzelnen Häusern."

    In Deutschland, genauer gesagt in Bad Segeberg, war Alexander Müller Angestellter bei der Post. Die aber wollte Mitarbeiter loswerden und bot jedermann, der kündigte, eine Abfindung an. Dass die Lage auf dem Arbeitsmarkt schon wenige dutzend Kilometer weiter nördlich so ganz anders ist, kam Alexander Müller gelegen. In Dänemark, vor allem im Großraum Kopenhagen, werden Briefträger händeringend gesucht. Nach einem vierwöchigen Sprachkurs und einer zweiwöchigen Einführung konnte der deutsche Briefträger direkt loslegen.

    "Also, die Arbeitsbedingungen sind im Vergleich zu Deutschland eher paradiesisch. Man hat eigentlich keinen Arbeitsstress, kein Zeitdruck, zu viel Post. Also, man kommt zur Arbeit, macht seine Arbeit und fährt nach Hause, und der Tag geht weiter. Und in Deutschland war es wirklich so viel, dass selbst ich als gut trainierter 27-Jähriger wirklich fix und alle war. Da hieß es morgens um halb sieben anfangen, an vielen Tagen um halb fünf, fünf nach Hause kommen, ja, und der Tag war eigentlich zu Ende."

    "Und hier?"

    Und hier bin ich, ja, wirklich allerspätestens um zwei zu Hause, ja, und lege mich eine Stunde schlafen bei Bedarf und habe immer noch von um drei bis um elf mein Privatleben."

    Rund 2500 Euro verdient Alexander im Monat, netto hat er etwa 100 Euro mehr als in Deutschland, allerdings sind die Lebenshaltungskosten in Dänemark höher. Inzwischen ist auch Alexanders Freundin nach Dänemark gezogen. Wenige Tage nur dauerte es, bis auch sie eine Vollzeitanstellung als Verkäuferin fand, noch ehe die Aufenthaltserlaubnis genehmigt war. Existenzängste Fehlanzeige.

    "Ja, also ich finde, in Deutschland hat man sehr viel mehr Sorgen als hier in Dänemark. In Dänemark fühlt man sich insgesamt viel geborgener, keine Angst vor Arbeitslosigkeit, freundliche Menschen, wo auch immer man hinkommt - ja, gut, ich will nichts gegen Deutschland sagen, aber von der ganzen Gesellschaftsstimmung her ist das hier wirklich anders. Hier ist alles im Aufbruch, und in Deutschland war es zwar auch irgendwie okay, aber man hat halt viele Sorgen mit sich rumgeschleppt. Also, was weiß ich, oh Gott, was ist, wenn der Mindestlohn und das Postmonopol fällt und ich als junger Kerl und arbeitslos oder Teilzeitarbeiter, was mache ich?"

    Alexanders Vorgesetzter, Postmeister Per Christensen, wird alles dafür tun, damit sich Alexander auch weiterhin wohl fühlt. 110 Mitarbeiter hat die dänische Post allein im vergangenen Jahr aus Deutschland geholt, Ende des Jahres sollen es insgesamt 200 Deutsche sein, die Beschäftigung im nördlichen Nachbarland finden:

    "In Dänemark fehlt es an Krankenschwestern, Ärzten, in fast allen Branchen fehlen Hände. Vor diesem Hintergrund sind unsere deutschen Briefträger eine wahre Erfolgsgeschichte. Und die dänischen Mitarbeiter freuen sich über die neuen Kollegen aus Deutschland, die mit anpacken."