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Brillant ambivalent inszeniert

In Richard Wagners "Parsifal" lernt Parsifal die siechende Gralsgemeinschaft kennen, zerstört das Reich des Zauberers Klingsor und ermöglicht bei den Gralsrittern so einen Neuanfang. Dieses Werk zu deuten bedarf höchster Regiekunst. Claus Guth hat es in Barcelona versucht - und es ist geglückt.

Von Jörn Florian Fuchs |
    Claus Guth machte es einem zuletzt eher leicht. Recht deutlich ging es zur Sache, Missbrauch, Dekadenz oder mentale Instabilitäten, dies waren Leitmotive seiner Inszenierungen. Wer da an was oder wem litt, erschloss sich dem aufmerksamen Rezipienten zumeist. Deutlich anders nun sein "Parsifal".

    Man kann diese komplexe, gelegentlich auch etwas zu komplizierte Arbeit nicht simpel nachbuchstabieren, eigentlich müsste man einen Erlebnisbericht verfassen oder sich, besser noch, rückwirkend ins Hirn schauen lassen. Denn die Inszenierung tut einem manches an: sie stellt Fallen, schlägt Haken, führt auf Irrwege. Hohe Aufmerksamkeit erfordert auch das sich ständig drehende Bühnenbild von Christian Schmidt, ein Konglomerat aus Wohn- und Schlafräumen, Salons, Treppen. Alles wirkt irgendwie abgenutzt, beschädigt, verletzt. Es sind Un-Orte, in denen verlorene Subjekte hausen (die Kostüme verweisen, ein wenig, aufs Fin de Siècle).

    Bereits während des Vorspiels sieht man in diffusem Licht eine Szene häuslicher Gewalt, der Konflikt zwischen Vater und Sohn endet mit zerbrochenem Geschirr und einer zugeschlagenen Tür. Diese Nicht- beziehungsweise Anti-Beziehung läuft nun wie ein roter Faden durch, wobei im ersten Aufzug etwas ganz Ungeheures geschieht: Titurel vollzieht die Gralszeremonie und benötigt dafür das reale Blut seines leibhaftigen Sohnes. Guth zeigt hier eine kannibalistische Aktion, der (zum Glück) jedes Grandguignoleske fehlt. Die solcherart ernährten Gralsritter sind allesamt geistig verwirrt, sie lauschen Teilen von Wagners lichter Traummusik via Grammofon und dirigieren mit. Am Ende wird das Blutopferprinzip durch einen Führerkult gebrochen. Parsifal erscheint im Militärlook, die genesene, nun vollends uniforme, auch uniformierte Menge jubelt ihm zu, sie hat ihren Vater gefunden.
    Vorher jedoch reist Parsifal in seine Kindheit zurück beziehungsweise erlebt sie erst wirklich - inklusive Adoleszenz-Erfahrungen. Oft sieht man das Video eines durchs Gras, später durch Stadtlandschaften laufenden Kindes über die ganze Bühnenbreite flimmern.

    Bei Claus Guth wird Parsifal mehrfach zum Beobachter zweiter Ordnung, er scheint zunächst etwa nicht nur die Gralszeremonie, sondern zugleich deren Inszenierung zu verfolgen. Die Begegnung mit den Blumenmädchen - es sind recht adrette Bardamen - verläuft eher konventionell, seine Zurückweisung Kundrys ebenso, später scheint die Initiative wiederum von Parsifal auszugehen, doch Kundry weigert sich. Den gefallenen Gralsritter Klingsor zwingt Parsifal mit einer leichten Handbewegung in die Knie, überhaupt tauchen etliche "energetische" Gesten auf.

    Um das Problem von Gral und Speer als metaphysischen Objekten macht die Inszenierung erstaunlicherweise keinen Bogen. Im Gegenteil. Der Gral steht zwar außerhalb seiner Dienstpflichten in einem Glaskasten, einmal im Amte, ist er jedoch weder Fetisch noch Attrappe, sondern offenbar mit wirklichen Kräften belegt. Am Ende werden Gral und Lanze vereint, wobei sich unter ihrem Segen der besagte Führerkult herausbildet – die Erlösung bleibt dem Erlöser versagt. Amfortas und der wieder zu Kräften gekommene Klingsor setzen sich abseits der Gralstruppen auf eine Bank und harren ihrer ungewissen Zukunft.

    Zur trotz der Überfülle an Ideen szenisch sehr konzentrierten Aufführung passte das Dirigat Michael Boders vorzüglich, er setzte auf langsame, aber nicht schwerfällige Tempi. Das Orchester des Liceu - vor allem das tiefe Blech - musste sich an Wagners Klangwelt noch gewöhnen, erst zum dritten Aufzug gab es einen deutlichen Qualitätssprung nach oben. Die von José Luis Basso einstudierten Chöre machten ihre Sache ordentlich. Anja Kampes Kundry überzeugte ebenso bei den lyrischen wie den expressiveren Stellen, Hans-Peter König interpretierte einen soliden Gurnemanz. Klaus Florian Vogt stemmte die Riesenpartie des Parsifal erneut mühelos mit organisch fließendem Schmelz. Alan Held schließlich stattete Amfortas mit differenziertesten Leidenstönen aus.

    Das Publikum reagierte teils verstört, teils enthusiastisch – beides durchaus nachvollziehbar.

    Informationen auf Englisch und Katalanisch:
    Gran Teatre del Liceu