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Brille mit künstlichem Horizont

Technik. - Weit über die Hälfte aller Freizeitkapitäne leidet mehr oder weniger regelmäßig an Seekrankheit und selbst die erfahrendsten Seebären sind nicht gegen Übelkeit und Schlimmeres gefeit. Auf der Wassersportmesse Interboot in Friedrichshafen verspricht ein Aussteller aus der Schweiz jetzt Abhilfe: Eine Brille soll Durchblick ohne Übelkeit bringen.

    Auf den ersten Blick sieht die Erfindung aus wie eine ganz normale Sehhilfe. "Der Unterschied zur normalen Brille liegt in einem doppelwandigen Glas, in dessen flüssigkeitsgefülltem Hohlraum feine Balken schwimmen", erklärt ihr Erfinder, der Schweizer Marco Bachmann. Wie in einer Wasserwaage zeigt der schwimmende Balken selbst bei schwerem Seegang an, wo eigentlich der Horizont liegen müsste, und soll so der Seekrankheit ein Ende bereiten. Denn das Übel kommt dann zustande, wenn die Informationen der Augen und aus den Gleichgewichtsorganen im Ohr widersprüchlich zueinander sind. Der Konflikt beruht auf der unterschiedlichen Art der Wahrnehmung von rasch aufeinanderfolgenden Bewegungen. Während das Auge seine Eindrücke nahezu sofort an das Gehirn weitergibt, reagiert das wie eine Wasserwaage arbeitende Innenohr erheblich träger auf eine Bewegungsänderung. Auf die unterschiedlichen gemeldeten Bewegungsrichtungen reagiert das zentrale Nervensystem dann mit Irritation, die sich oft auf einschlägige Weise bemerkbar macht.

    Die Trägheitsdifferenz zwischen Auge und Ohr überbrückt die neue Brille, indem sie ihrem Träger einen künstlichen Horizont liefert, erklärt Bachmann: "Die schwimmenden Balken suggerieren dem Benutzer, das sich die Umgebung nicht bewegt." Dadurch dominiere nicht mehr die rasche Bewegung des Bootes und der Wellen, sondern vielmehr die wesentlich langsamere Bewegung der Balken. Auf diese Weise würden, so ist der Erfinder überzeugt, die schnellen Informationen des Auges und die langsameren Messungen des Innenohrs wieder koordiniert und die Seekrankheit bleibe aus. "Unsere Tests ergaben bei den Benutzern eine Erfolgsquote von 80 Prozent", berichtet der Schweizer.

    Allerdings sind nicht alle Binnen-Seebären von der Funktionsweise der Wunderbrille überzeugt. So fehle unter Deck, wo sich in aller Regel die Seekrankheit noch verstärke, die Sicht auf den Horizont, der ja durch die Schwimmbalken der Brille betont werden soll, meint der Hamburger Wassersport-Fachjournalist Christoph Schuhmann. Die Auflösung: Unter Deck meldet nur das Gleichgewichtsorgan die äußere Bewegung, während das Auge keine Diskrepanz zwischen Boot und Körper erkennt. Bei dieser widersprüchlichen Meldung an das Gehirn hilft die Brille nicht, denn sie kann nur den optischen Eindruck etwas korrigieren, nicht aber die träge Empfindung des Innenohres.

    [Quelle: Thomas Wagner]