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Brille mit Lidschlag-Sensor
Blinzeln statt klicken

Ein kurzes Blinzeln genügt und die Nachttischlampe oder der Ventilator wird eingeschaltet - noch steckt diese Technik in den Kinderschuhen. Das könnte sich bald ändern: Forscher haben eine revolutionäre Brille mit Lidschlag-Sensor entwickelt, die weit genauer arbeitet als ihre Vorgänger. Vor allem stark gelähmte Menschen könnten davon profitieren.

Von Frank Grotelüschen | 31.07.2017
    Ein Mann trägt eine Brille mit einem Sensor und blinzelt. Im Hintergrund sieht man einen Computerbildschirm, der einen Graphen zeigt.
    Vor allem stark gelähmte Menschen könnten von der neuen Sensor-Brille mit Blinzel-Effekt profitieren. (Deutschlandradio / Frank Grotelüschen )
    Stephen Hawking, der bekannteste Physiker unserer Zeit. Er ist fast vollständig gelähmt und kann nur per Sprachcomputer kommunizieren, den er mit bewusstem Blinzeln ansteuert, registriert von einem Infrarotsensor. Auch andere Techniken können die Lidbewegung erfassen, etwa mithilfe von Elektroden. Doch sie haben einen Nachteil.
    "Sie liefern nur schwache Signale mit einer Spannung von ein bis zwei Millivolt. Deshalb funktionieren diese Sensoren nicht besonders zuverlässig, sie sind anfällig gegenüber Störungen von außen", sagt Zhong Lin Wang, Materialforscher am Georgia Tech in Atlanta, USA. Gemeinsam mit Wissenschaftlern aus China hat er einen neuartigen Sensor entwickelt, basierend auf dem sogenannten tribolektrischen Effekt.
    "Wir nutzen zwei Materialien, die sich bei Reibung unterschiedlich stark aufladen - das eine mehr, das andere weniger. Diese beiden Materialien ordnen wir so an, dass sie einen gewissen Abstand voneinander einhalten. Verändert sich dieser Abstand durch eine Bewegung, kann sich eine elektrische Spannung zwischen den Materialien aufbauen. Als Bewegung nutzen wir das Muskelzucken beim Blinzeln. Das reicht für ein deutliches Spannungssignal."
    Eine winzige Bewegung genügt
    Die winzige Muskelbewegung beim Augenzwinkern genügt, um dem Sensor eine Spannung von 750 Millivolt zu entlocken - fast 1.000-mal mehr als bei anderen Techniken.
    "Unser Prototyp ist an einem Brillengestell befestigt, an den Brillenbügeln - und zwar so, dass er auf Höhe der Schläfe auf der Haut aufliegt. Blinzelt man nun mit den Augen, wird der Sensor durch die Muskelbewegung aktiviert und sendet ein Signal."
    Doch wie bewährt sich diese Zwinkerbrille unter praxisnahen Bedingungen? Um das zu beantworten, ließen sich Wang und seine Leute diverse Demonstrationsexperimente einfallen.
    "Bei einem dieser Experimente konnten wir eine Schreibtischlampe per Lidschlag ein- und ausschalten. Dasselbe klappte auch mit einem kleinen Ventilator. Bei einem anderen Experiment stellten wir eine Art Tastatur auf dem Computerbildschirm dar. Über diese Tastatur lief ein Cursor, und wenn der beim gewünschten Buchstaben angelangt war, ließ sich dieser per Augenblinzeln auswählen. Also ein einfaches Tipp-Programm."
    Auf die Art des Zwinkerns kommt es an
    Der weltberühmte Physiker Stephen Hawking spricht zu einem Publikum in Hong Kong per Hologramm von seinem Büro in Cambridge, England aus.
    Stark gelähmte Menschen wie der Physiker Stephen Hawking könnten von dem neuen Zwinker-Sensor profitieren. (AFP - Anthony Wallace)
    Wie aber lässt sich ein bewusstes Augenzwinkern von einem unwillkürlichen Blinzeln unterscheiden? Nun, beim bewussten Plinkern zuckt die Muskulatur stärker als beim unbewussten Lidschlag. Die Fachleute müssen also nur die Schwelle einstellen, ab der der Sensor anspricht. Zhong Lin Wang kann sich vorstellen, die neue Technik zum Ansteuern von tragbaren Elektronikgeräten zu verwenden. Und:
    "Der Sensor könnte ein zusätzliches Kontrollelement sein für Piloten und auch für andere Berufsgruppen, die hochkomplexe Steuerungsaufgaben erledigen müssen."
    Hoffnung für stark bewegungseingeschränkte Menschen
    Und schließlich könnten auch Menschen profitieren, die aufgrund einer massiven Lähmung einen Computer nur über Umwege bedienen können - Leute also wie Stephen Hawking.
    "Unser Sensor dürfte deutlich empfindlicher und zuverlässiger sein als das, was Hawking im Moment nutzt. Sein System ist teuer, da steckt eine aufwendige Elektronik dahinter. Das braucht unser Sensor nicht, er ist also viel billiger – auch wenn das für Hawking nicht so wichtig sein dürfte, schließlich ist er ein reicher Mann."
    Innerhalb von zwei Jahren, schätzt Wang, könnten die ersten Produkte auf Basis seines neuen Lidschlag-Sensors auf dem Markt sein.