Burkhard Müller-Ullrich: Das idyllisch zwischen Mainufer und Weinbergen gelegene Museum im Kulturspeicher in Würzburg besteht seit gut zehn Jahren und zeigt jetzt eine Ausstellung mit dem banalen Untertitel "Eine Bestandsaufnahme". Dabei geht es allerdings um eine heikle Sache. Und zwar die Vergangenheit von Würzburg selbst. Genauer: die Kunstpolitik während der Nazi-Zeit. Als beim Bau der Berliner U-Bahn vor zweieinhalb Jahren verschollene Skulpturen aus der einstigen Nazi-Ausstellung über "Entartete Kunst" ans Licht kamen, befanden sich darunter auch Werke einer Würzburger Künstlerin. Das war der Ausgangspunkt für eine gründliche Recherche, deren Ergebnis in der Kulturspeicher-Ausstellung jetzt so aussieht: im Erdgeschoss nazikonforme Kunst, im Obergeschoss das, was als entartet galt.
- Bettina Keß ist die Kuratorin dieser Schau. An sie die Frage: Wieso beschäftigt man sich eigentlich erst jetzt, 68 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, in Würzburg damit, was damals gelaufen ist?
Bettina Keß: Ich glaube, das war ein längerer Prozess. Würzburg hat sich sehr stark mit der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg 1945, genau am 16. März, auseinandergesetzt und man hat sich mit sehr vielen anderen Aspekten der NS-Zeit in Würzburg auseinandergesetzt. Aber die eigene Geschichte der eigenen städtischen Kunstsammlung ist sehr spät erst in die Diskussion gekommen. Man hat immer vermutet, es gibt da irgendwas, weil man wusste, dass die Sammlung 1941 gegründet ist. Aber das war eigentlich eine recht späte Entwicklung, und vor zwei Jahren hat dann die Stadt Würzburg ein geschichtspolitisches Projekt gegründet, den Dialog "Erinnerungskultur", der genau das machen wollte, nämlich solche Fehlstellen in der städtischen Geschichte und in der Aufarbeitung der eigenen Geschichte auszuleuchten.
Müller-Ullrich: Was bedeutet das eigentlich, dass 1941 in so einer Stadt eine städtische Galerie gegründet wurde, also im Krieg? Würzburg hatte in der Zeit des Nationalsozialismus ja einen ziemlichen Aufschwung erlebt - 1934 wurde es Großstadt, also mehr als 100.000 Einwohner – und spielte für die Nazis eine gewisse Rolle.
Keß: Ja. Es war natürlich ein Element in dem Versuch, Würzburg zu etablieren. Würzburg war ja die Hauptstadt des Gau Main-Franken, und der Gau Main-Franken war immer etwas im Schatten des Gau Franken gestanden. Er war zwar flächenmäßig nicht sehr klein, aber bevölkerungsmäßig, und war immer in der Bedeutung hinter dem Gau Franken mit der Gauhauptstadt Nürnberg und natürlich dem Gauleiter Streicher, dem sehr unrühmlich bekannten Streicher. Man hat also eine main-fränkische Kultur sehr stark propagiert und so kam es auch, dass man für die Kultur in der Stadt Würzburg auch sehr viel Geld in der Zeit ausgegeben hat.
Müller-Ullrich: Wie viel?
Keß: Wir wissen von den Ankäufen auf den großen deutschen Kunstausstellungen. Das waren in den Jahren… Man hat schon vorher begonnen, Kunst zu kaufen, und in den acht Jahren oder den acht Ausstellungen der großen deutschen Kunstausstellungen hat die Stadt Würzburg ungefähr 160.000 Reichsmark aufgewandt. Also wenn man sich überlegt: Der damalige KDF-Wagen, der hätte 1000 Reichsmark kosten sollen, wäre er denn ausgeliefert worden. Also der Gegenwert von 160 mittleren Autos sozusagen, das war für die damalige Zeit eine sehr, sehr große Summe.
Müller-Ullrich: Über dieses Geld verfügte der damalige Direktor Heiner Diekreiter, also der Chef der städtischen Galerie. Was war das für ein Mann?
Keß: Heiner Diekreiter war eine sehr durchsetzungsfähige Person. Er war zum einen selbst Künstler, er war Kunstlehrer. Und er war so was wie ein, heute würde man sagen, kulturschaffender Kulturpolitiker, der sehr, sehr früh eigentlich eine städtische Kunstsammlung gefordert hatte, also schon seit den 20er-Jahren. Und er war so konservativ von seiner Kunstauffassung, dass er sich in der Zeit des Nationalsozialismus eigentlich überhaupt nicht hat verstellen müssen. Er lehnte Abstraktion schon in den 20er-Jahren vehement ab und hat das auch bis zu seinem Tod 1966 als Galerieleiter dann auch weiterhin so abgelehnt.
Müller-Ullrich: Und er blieb im Amt, also das ging bruchlos weiter.
Keß: Ja, nicht ganz ohne Bruch. Wie alle anderen Beamten und städtischen Angestellten im NS-Regime wurden die Personen natürlich erst mal entlassen und mussten das Entnazifizierungsverfahren durchlaufen. Aber nach ein paar Jahren ist er dann wieder eingestellt worden von der Stadt Würzburg und ist mehr oder minder unangefochten bis 1966, bis er starb, in diesem Amt geblieben.
Müller-Ullrich: Er hatte natürlich auch diesen Begriff "Entartete Kunst" anzuwenden. Wo läuft denn da eigentlich die Grenzlinie?
Keß: Ja, das ist sehr, sehr schwierig. Die ist absolut willkürlich. Wenn wir uns die beiden großen Ausstellungen anschauen: "Entartete Kunst", diese Schmäh-Ausstellung, die Feme-Ausstellung 1937 in München. Und die folgenden Ausstellungen, die im ganzen Reich gezeigt wurden. Und die große deutsche Kunstausstellung, da konnte es schon mal sein, dass ein und dieselbe Person in beiden Ausstellungen gezeigt wurde, also Werke einer Person in beiden Ausstellungen zu sehen waren. Es haben auch ganz viele Leute entschieden, was als "entartet" galt. Also das ist vollkommen willkürlich aus unserer Sicht heute.
Müller-Ullrich: Und umgekehrt kann man auch nicht daraus schließen, dass alles, was nicht entartete Kunst war, was also dem damaligen NS-Geschmack entsprach, wirklich nur Kitsch und Junk ist?
Keß: In der Tat sind da die Qualitätsunterschiede und nach heutigen Auffassungen ist auch die Brisanz der Kunstwerke sehr, sehr unterschiedlich. Also man hat da von wirklich drittklassigen Arbeiten bis durchaus klassisch traditionell durchaus hochwertigen Arbeiten alles dabei und man hat natürlich auch von der absolut offenen Propaganda bis zum harmlosen Blümchenbild alles dabei.
Müller-Ullrich: Unter den Dingen, die Sie jetzt ausstellen, sind ja tatsächlich ein paar Funde. Wollen Sie da auch zur Rehabilitierung von jemandem beitragen?
Keß: Also das ist sicher nicht das Ziel des Ganzen. Es ist erst mal Bestandsaufnahme, zu schauen, was ist eigentlich da, also relativ nüchtern und wirklich historisch und kunsthistorisch genau zu schauen, was haben wir da eigentlich. Und das Thema Rehabilitation ist sicher nicht das Thema, aber das Thema Einordnung. Die eine oder andere Person wird sicher auch anders eingeordnet werden, als sie bisher in der Öffentlichkeit vielleicht bekannt war.
Müller-Ullrich: Vielen Dank für diese Erläuterungen zu Ihrer Ausstellung, Bettina Keß. Die Ausstellung heißt "Tradition und Propaganda" und ist im Museum im Kulturspeicher Würzburg zu sehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
- Bettina Keß ist die Kuratorin dieser Schau. An sie die Frage: Wieso beschäftigt man sich eigentlich erst jetzt, 68 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, in Würzburg damit, was damals gelaufen ist?
Bettina Keß: Ich glaube, das war ein längerer Prozess. Würzburg hat sich sehr stark mit der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg 1945, genau am 16. März, auseinandergesetzt und man hat sich mit sehr vielen anderen Aspekten der NS-Zeit in Würzburg auseinandergesetzt. Aber die eigene Geschichte der eigenen städtischen Kunstsammlung ist sehr spät erst in die Diskussion gekommen. Man hat immer vermutet, es gibt da irgendwas, weil man wusste, dass die Sammlung 1941 gegründet ist. Aber das war eigentlich eine recht späte Entwicklung, und vor zwei Jahren hat dann die Stadt Würzburg ein geschichtspolitisches Projekt gegründet, den Dialog "Erinnerungskultur", der genau das machen wollte, nämlich solche Fehlstellen in der städtischen Geschichte und in der Aufarbeitung der eigenen Geschichte auszuleuchten.
Müller-Ullrich: Was bedeutet das eigentlich, dass 1941 in so einer Stadt eine städtische Galerie gegründet wurde, also im Krieg? Würzburg hatte in der Zeit des Nationalsozialismus ja einen ziemlichen Aufschwung erlebt - 1934 wurde es Großstadt, also mehr als 100.000 Einwohner – und spielte für die Nazis eine gewisse Rolle.
Keß: Ja. Es war natürlich ein Element in dem Versuch, Würzburg zu etablieren. Würzburg war ja die Hauptstadt des Gau Main-Franken, und der Gau Main-Franken war immer etwas im Schatten des Gau Franken gestanden. Er war zwar flächenmäßig nicht sehr klein, aber bevölkerungsmäßig, und war immer in der Bedeutung hinter dem Gau Franken mit der Gauhauptstadt Nürnberg und natürlich dem Gauleiter Streicher, dem sehr unrühmlich bekannten Streicher. Man hat also eine main-fränkische Kultur sehr stark propagiert und so kam es auch, dass man für die Kultur in der Stadt Würzburg auch sehr viel Geld in der Zeit ausgegeben hat.
Müller-Ullrich: Wie viel?
Keß: Wir wissen von den Ankäufen auf den großen deutschen Kunstausstellungen. Das waren in den Jahren… Man hat schon vorher begonnen, Kunst zu kaufen, und in den acht Jahren oder den acht Ausstellungen der großen deutschen Kunstausstellungen hat die Stadt Würzburg ungefähr 160.000 Reichsmark aufgewandt. Also wenn man sich überlegt: Der damalige KDF-Wagen, der hätte 1000 Reichsmark kosten sollen, wäre er denn ausgeliefert worden. Also der Gegenwert von 160 mittleren Autos sozusagen, das war für die damalige Zeit eine sehr, sehr große Summe.
Müller-Ullrich: Über dieses Geld verfügte der damalige Direktor Heiner Diekreiter, also der Chef der städtischen Galerie. Was war das für ein Mann?
Keß: Heiner Diekreiter war eine sehr durchsetzungsfähige Person. Er war zum einen selbst Künstler, er war Kunstlehrer. Und er war so was wie ein, heute würde man sagen, kulturschaffender Kulturpolitiker, der sehr, sehr früh eigentlich eine städtische Kunstsammlung gefordert hatte, also schon seit den 20er-Jahren. Und er war so konservativ von seiner Kunstauffassung, dass er sich in der Zeit des Nationalsozialismus eigentlich überhaupt nicht hat verstellen müssen. Er lehnte Abstraktion schon in den 20er-Jahren vehement ab und hat das auch bis zu seinem Tod 1966 als Galerieleiter dann auch weiterhin so abgelehnt.
Müller-Ullrich: Und er blieb im Amt, also das ging bruchlos weiter.
Keß: Ja, nicht ganz ohne Bruch. Wie alle anderen Beamten und städtischen Angestellten im NS-Regime wurden die Personen natürlich erst mal entlassen und mussten das Entnazifizierungsverfahren durchlaufen. Aber nach ein paar Jahren ist er dann wieder eingestellt worden von der Stadt Würzburg und ist mehr oder minder unangefochten bis 1966, bis er starb, in diesem Amt geblieben.
Müller-Ullrich: Er hatte natürlich auch diesen Begriff "Entartete Kunst" anzuwenden. Wo läuft denn da eigentlich die Grenzlinie?
Keß: Ja, das ist sehr, sehr schwierig. Die ist absolut willkürlich. Wenn wir uns die beiden großen Ausstellungen anschauen: "Entartete Kunst", diese Schmäh-Ausstellung, die Feme-Ausstellung 1937 in München. Und die folgenden Ausstellungen, die im ganzen Reich gezeigt wurden. Und die große deutsche Kunstausstellung, da konnte es schon mal sein, dass ein und dieselbe Person in beiden Ausstellungen gezeigt wurde, also Werke einer Person in beiden Ausstellungen zu sehen waren. Es haben auch ganz viele Leute entschieden, was als "entartet" galt. Also das ist vollkommen willkürlich aus unserer Sicht heute.
Müller-Ullrich: Und umgekehrt kann man auch nicht daraus schließen, dass alles, was nicht entartete Kunst war, was also dem damaligen NS-Geschmack entsprach, wirklich nur Kitsch und Junk ist?
Keß: In der Tat sind da die Qualitätsunterschiede und nach heutigen Auffassungen ist auch die Brisanz der Kunstwerke sehr, sehr unterschiedlich. Also man hat da von wirklich drittklassigen Arbeiten bis durchaus klassisch traditionell durchaus hochwertigen Arbeiten alles dabei und man hat natürlich auch von der absolut offenen Propaganda bis zum harmlosen Blümchenbild alles dabei.
Müller-Ullrich: Unter den Dingen, die Sie jetzt ausstellen, sind ja tatsächlich ein paar Funde. Wollen Sie da auch zur Rehabilitierung von jemandem beitragen?
Keß: Also das ist sicher nicht das Ziel des Ganzen. Es ist erst mal Bestandsaufnahme, zu schauen, was ist eigentlich da, also relativ nüchtern und wirklich historisch und kunsthistorisch genau zu schauen, was haben wir da eigentlich. Und das Thema Rehabilitation ist sicher nicht das Thema, aber das Thema Einordnung. Die eine oder andere Person wird sicher auch anders eingeordnet werden, als sie bisher in der Öffentlichkeit vielleicht bekannt war.
Müller-Ullrich: Vielen Dank für diese Erläuterungen zu Ihrer Ausstellung, Bettina Keß. Die Ausstellung heißt "Tradition und Propaganda" und ist im Museum im Kulturspeicher Würzburg zu sehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.