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Britische EU-Mitarbeiter
Kämpfen für eine gemeinsame Zukunft

Das Referendum hat vielen jungen Briten, die für die EU arbeiten, einen Strich durch die Rechnung gemacht. Christopher Ruff, Assistent eines schottischen EU-Abgeordneten, ist einer von ihnen. Ihm werden wichtige Posten künftig nicht mehr offen stehen. Aber dass sein Land dennoch eine Zukunft mit der EU haben wird, steht für ihn außer Zweifel.

Von Frederik Rother | 14.07.2016
    EU-Flagge und Großbritannien-Flagge wehen im Wind
    Noch ist die Zukunft Großbritanniens mit der EU ungewiss - aber dafür, dass sie gut wird, will ein junger EU-Mitarbeiter kämpfen (LEON NEAL / AFP)
    Die Cafeteria des Europäischen Parlaments – hier ist die EU so spürbar wie an kaum einem anderen Ort. Besucher, Abgeordnete und die zahlreichen Büromitarbeiter aus allen Mitgliedsländern sitzen hier. Und an den Bistro-Tischen sind ihre Sprachen zu hören: Englisch, Französisch, aber auch Deutsch und Polnisch.
    Englisch wird hier vermutlich bald etwas weniger gesprochen werden, wenn Großbritanniens neue Premierministerin Theresa May ihr Land aus der EU führt. Christopher Ruff erinnert sich gut an jenen Freitag vor fast drei Wochen, als der Austritt besiegelt wurde:
    "Ja, die Stimmung war wie auf einer Beerdigung, ehrlich gesagt. Wir kamen hier rein und alle wollten mit uns sprechen, die wollten mit uns mitleiden. Wie wir, die konnten es nicht glauben, wie das passiert ist."
    Job-Perspektiven für die Briten in der EU schwinden
    Ruff ist einer von vielen Hundert Briten, die für das Parlament arbeiten. Er hat European Studies studiert und ist seit einigen Monaten Assistent des schottischen Labour-Politikers David Martin, der mit seinem Team für einen Verbleib Großbritanniens in der EU gekämpft hat. Für Martin, der seit gut 30 Jahren im Europäischen Parlament sitzt, könnte bald eine Ära zu Ende gehen. Für den 27-jährigen Ruff – dessen Vertrag mit Martins Mandat zusammenhängt – hat seine Zeit in Brüssel hingegen kaum begonnen:
    "Ich will auf jeden Fall noch ein paar Jahre in Brüssel bleiben. Aber zum Beispiel gibt es jetzt Jobs, die geschlossen für mich sind, zum Beispiel in der Kommission zu arbeiten."
    Denn: Sobald Großbritannien kein EU-Mitglied mehr ist, schwinden auch die Job-Perspektiven für die Briten – gewichtige politische Posten werden sie in Brüssel kaum mehr bekommen. In den Tagen nach dem Referendum war Christopher Ruff entsprechend wütend und dachte sich:
    "Wie kann ich noch mal nach England gehen, wenn ich auf den Straßen diese Leute, die für Brexit gewählt haben, sehe…"
    Das Referendum macht vielen jungen Briten, die für die EU arbeiten, einen Strich durch die Rechnung. Dennoch hat er gemerkt: Mit seiner Wut kommt er nicht weiter:
    "…man kann nicht die Hälfte eines Landes hassen, das geht nicht."
    In der 13. Etage des riesigen Parlamentsgebäudes hat David Martin – Ruff’s Chef – sein Büro. Martin ist Polit-Profi, er hat über Jahrzehnte EU-Handels- und Außenpolitik gemacht und kennt den Betrieb gut. Doch das Votum seiner Landsleute hat auch ihn überrascht – er hat mit "Remain" gerechnet.
    Seitdem hat sich für ihn vor allem eins verändert: die Stimmung. Unsicherheit ist auf den Fluren zu spüren und keiner weiß, wie es weitergeht. Martins politische Arbeit hat das bisher nicht beeinflusst, wie er meint. Er wird nicht ausgegrenzt und begreift sich noch immer als vollwertiges Mitglied des Parlaments:
    Alles bleibt beim Alten - bis Artikel 50 greift
    "Wir bekommen immer noch unser Gehalt und Großbritannien zahlt immer noch in den EU-Haushalt ein. Ich glaube, es ist nach wie vor unsere Aufgabe, hierher zu kommen und unsere Wahlkreise zu repräsentieren."
    Das ändert sich für ihn nicht, solange Artikel 50 der EU-Verfassung, der den Austritt formell regelt, von den Briten nicht in Anspruch genommen wird. Martin glaubt, dass die britischen Abgeordneten gebraucht werden, um die Details des Austritts mit zu verhandeln und für Großbritannien das beste Ergebnis rauszuholen. Zumal am Ende auch alles durch das Europäische Parlament müsse, so der Schotte.
    Martin wirkt gelassen, obwohl seine EU-Karriere bald zu Ende sein könnte. Allerdings sieht er auch Probleme: Bisher ist nicht klar, wie er sich zukünftig bei wichtigen Abstimmungen verhalten wird, die die EU betreffen. Und die Unsicherheit unter seinen jungen Mitarbeitern beschäftigt ihn:
    "Sie glauben an das, was sie machen. Manche haben sogar ihr ganzes Leben dafür gearbeitet. Viele glauben jetzt, dass ihr Einsatz umsonst war, dass sie ihre Zeit verschwendet haben. Das ist traurig."
    "Es gibt immer noch eine Zukunft für mein Land in Europa"
    Christopher Ruff sieht es nicht ganz so pessimistisch. Die letzten Monate waren zwar anstrengend, er und seine Kollegen haben auf den Straßen Großbritanniens Wahlkampf gemacht, und der Brexit ist immer noch das Thema unter den jungen Mitarbeitern. Aber nach dem ersten Schock schaut Ruff nach vorne.
    "Jetzt bin ich positiver, nach einer Beerdigung braucht man ja eine Woche, oder zwei Wochen, aber danach denkt man anders. Und jetzt bin ich positiv-optimistisch, es gibt immer noch eine Zukunft für mein Land in Europa, und dafür will ich kämpfen."
    Eine positive Entwicklung gibt es schon: Die britischen Medien interessieren sich viel mehr für die Politik in Brüssel und die Menschen dahinter, als vor dem Referendum.