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Britische Liberaldemokraten
Watson: "Wie die FDP in Deutschland"

Den Absturz der Liberaldemokraten, Koalitionspartner der Konservativen in Großbritannien, verglich Sir Graham Watson, Europaabgeordneter der Liberalen, im DLF mit dem der FDP nach der Koalition mit der CDU. Eine Neuauflage des Bündnisses bezeichnete er als unmöglich.

08.05.2015
    Graham Watson, Vorsitzender der Liberalen-Fraktion im Europäischen Parlament (ALDE)
    Graham Watson vergleicht den Absturz der Liberaldemokraten mit dem der FDP in Deutschland. (imago stock & people)
    Ob der Sieg für Premierminister David Cameron verdient ist, sei schwer zu sagen, aber er habe viel für die Wirtschaft in Großbritannien geleistet. Die Bürger hätten ihn mit der Wirtschaftspolitik betraut. Zum Absturz der Liberaldemokraten von 57 auf rund zehn Sitze sagte Watson: "Wie meine FDP-Kollegen wissen, ist es oft so, dass der kleinere Koalitionspartner verliert." Es sei unmöglich, eine erneute Koalition einzugehen: "Wir haben so viel darunter gelitten, Mitglied der Regierung zu sein. Wir brauchen eine Periode in der Opposition." Cameron werde ohnehin lieber eine Koalition mit den nordirischen Unionists bilden, die würden nur Geld für Nordirland verlangen und seien viel einfacher als Partner für die Tories als die Liberaldemokraten.
    Die Wähler in Großbritannien hätten nationalistisch abgestimmt, sagte der Europa-Abgeordnete Graham Watson. Er fürchte, dass das nicht nur für das Vereinigte Königreich gefährlich sei, sondern auch für Europa. Die Europa-skeptische UKIP habe es nicht geschafft, ein vernünftiges Programm zu präsentieren, daher habe Cameron gewonnen. Die Konservativen hätten die gleichen Inhalte wie UKIP anders präsentiert.
    Schottland werde in einigen Jahren unabhängig, das sei abzusehen, Wales möglicherweise auch, dann werde England voraussichtlich aus der EU austreten, sagte Graham Watson. Die EU-Partner sollten Großbritannien nun jedoch nicht drohen, sondern die Debatte auf der Insel stattfinden lassen.

    Peter Kapern: Ob Großbritannien eine neue Regierung braucht, darüber kann man ja durchaus geteilter Meinung sein. Dass das Land aber neue Meinungsforscher braucht, das steht ja wohl völlig außer Frage. Die hatten nämlich wochenlang ein Kopf-an-Kopf-Rennen bei der gestrigen Unterhauswahl versprochen, ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der Labour-Partei mit ihrem Spitzenkandidaten Ed Miliband auf der einen Seite und den Konservativen und ihrem Premier David Cameron auf der anderen. Was sich dann aber nach der Schließung der Wahllokale zeigte, war alles andere als ein Kopf-an-Kopf-Rennen.
    Jetzt live am Telefon bei uns ist Sir Graham Watson, der langjährige Europaabgeordnete der britischen Liberaldemokraten und jetzt Präsident der liberalen europäischen Parteienfamilie. Guten Morgen, Mr. Watson.
    Graham Watson: Schönen guten Morgen.
    Kapern: Mr. Watson, ist David Cameron ein verdienter Wahlsieger?
    Watson: Verdient? - Schwierig zu sagen. Aber etwas stimmt: Er hat so viel wie möglich gemacht, um unsere Wirtschaft wieder in Gang zu setzen, und meine Mitbürger haben ihm damit zugetraut, diese Prozedur weiterzubringen. Schade, dass der Junior Koalitionpartner, meine eigene Party, die mitgemacht haben mit den Konservativen, eigentlich gelitten haben. Wir haben viele unserer Sitze verloren. Aber wie unsere FDP-Kollegen wissen, ist das oft so.
    "Die Leute haben nationalistisch abgestimmt"
    Kapern: Warum ist es denn so? Warum sind die Liberaldemokraten als Koalitionspartner einer, wie sie selbst sagen, erfolgreichen Koalition derart gravierend abgestraft worden? Anders kann man das ja gar nicht bezeichnen.
    Watson: Wie ich das lese ist folgendes: Großbritannien ist an die Urnen gegangen und die Leute haben nationalistisch abgestimmt. Das heißt, wie man in Frankreich sieht und auch in anderen Ländern, haben die ideologischen Parteien nicht dieselbe Kraft. In Schottland sieht man das klar mit den schottischen Nationalisten, die fast jeden Sitz in Schottland genommen haben. Man sieht das auch in Nordirland, wo die Nationalisten sie von Sinn Féin genommen haben. Man sieht das in Wales und in gewissem Maße ist es auch so, dass die konservative Partei die englische Nationalpartei geworden ist in den letzten Jahren, und die UKIP hat es nicht geschafft, ein vernünftiges Wahlprogramm zu präsentieren. Deshalb ist David Cameron der Gewinner der Nacht und wird nach aller Wahrscheinlichkeit unser nächster Premierminister.
    Kapern: Das heißt, wenn ich Sie richtig interpretiere, dann sind die Liberaldemokraten und dann offenbar auch Labour die Verlierer dieses Wahltages, weil sie keine nationalistische Klientel bedient haben, keine nationalistischen Töne angeschlagen haben, sondern was, liberale, rationale Argumente angeführt haben?
    Watson: Doch. Und ich würde noch was sagen: Ich fürchte, das was geschehen ist, ist eigentlich sehr gefährlich nicht nur für das Vereinigte Königreich, sondern auch für Europa, da man vorhersehen kann von dieser Wahl, dass Schottland in einigen Jahren ein unabhängiger Staat wird, vielleicht auch Wales - man kann das im Moment nicht sagen -, und dass England dafür auch stimmt, raus aus der Europäischen Union zu kommen. Ich werde alles machen was ich kann, um so was zu vermeiden, aber ich glaube, wenn man sieht, wie die Bürger im Moment denken, ist es vorhersehbar, dass man dafür stimmen könnte, nicht mehr Mitglied der Europäischen Union zu sein.
    Kapern: Aber es gibt ja eine Zahl bei diesen Wahlen, die widersprechen Ihrer These vom wachsenden Nationalismus und von den stärker werdenden zentrifugalen Kräften in Europa, nämlich das Desaster, das die United Kingdom Independence Party des skurrilen Nigel Farage erlitten hat. Kann man daraus nicht das Signal ablesen, dass der Rechtspopulismus seinen Höhepunkt in Europa schon überschritten hat?
    Watson: Vielleicht und ich hoffe es auch. Es stimmt, dass Nigel Farage ein gutes Ergebnis bekommen hat. Er hat viel mehr Stimmen bekommen als die Liberalen zum Beispiel, fast das doppelte. Aber es stimmt, sein Höhepunkt scheint in der Vergangenheit zu sein, und die Konservativen haben in ihrem Wahlkampf dieselben Argumente auf eine andere Weise präsentiert, aber dieselben Argumente vorgebracht, und sie haben deshalb nicht so viele Wähler an UKIP verloren, als es sonst gewesen wäre.
    "Die Ulster Unionists sind viel einfacher als Partner für die Tories"
    Kapern: Sie haben eben gesagt, Sie, möglicherweise auch alle Liberaldemokraten würden alles Mögliche tun, um den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union zu verhindern. Denken Sie denn, die Liberaldemokraten würden David Cameron trotzdem zu einer absoluten Mehrheit im Unterhaus verhelfen, wenn der denn überhaupt noch einen Koalitionspartner benötigt?
    Watson: Wenn er es will? - Ich glaube, es wäre für uns jetzt unmöglich, so was zu tun. Wir haben so viel daran gelitten, Mitglied der Regierung zu sein. Wir brauchen eine Periode in der Opposition. Und ich glaube, das Cameron es sowieso lieber haben wird mit den Ulster Unionists, mit der nordirländischen Partei, eine Koalition zu machen. Die verlangen viel weniger, die verlangen nur Geld für Nordirland, sind viel einfacher als Partner für die Tories als die Liberaldemokraten.
    Kapern: Halten wir fest: David Cameron wird, so sehen die Zahlen gerade aus, auch der nächste Premierminister auf der Insel sein. Er hat seinen Briten versprochen, bis Ende 2017 abstimmen zu können über den Verbleib in der Europäischen Union. Wie muss Europa, was sagt der langjährige Europaabgeordnete Graham Watson dazu, wie muss Europa mit dieser Ankündigung jetzt umgehen?
    Watson: Das ist für andere europäische Länder zu entscheiden. Aber ich würde sagen, am besten lasst die Briten ihre Debatte haben und sagen, liebe Briten, wir lieben euch, bitte bei uns bleiben. Aber wenn sie wirklich eine Ehescheidung machen wollen, dann gehen sie weg. Ich glaube, dies wird die beste Strategie sein, Großbritannien in der Europäischen Union zu behalten.
    Kapern: Das heißt, Sie würden den anderen EU-Mitgliedsstaaten empfehlen, jetzt zu schweigen, während die Briten auf diese Debatte zusteuern?
    Watson: Nicht genau zu schweigen, aber nicht zu sagen, das können sie nicht, wenn sie so was machen, dann hat es folgende Konsequenzen und so weiter. Ich glaube, das wird sowieso aus der Debatte kommen. Ich würde auch sagen an alle meine europäischen Mitbürger, die in Großbritannien wohnen und arbeiten und in Großbritannien ein Wahlrecht haben, auch aktiv in dieser Kampagne zu sein.
    Kapern: Sagt Sir Graham Watson, der Präsident der liberalen europäischen Parteienfamilie und langjähriger Europaabgeordneter der britischen Liberaldemokraten. Mr. Watson, danke, dass Sie heute Früh Zeit für uns hatten. Ich wünsche Ihnen einen guten Tag, trotz des enttäuschenden Ergebnisses für Ihre Partei.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.