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Britische Museen und der Brexit
Umsonst und unbezahlbar

Spektakuläre Neubauten, spannende Schauen von London bis Dundee und ganz viel Fotografie: Die britische Museumslandschaft zeigt sich derzeit so innovativ, international und offen wie selten zuvor. 2018 ist ein Boomjahr für die Kunstszene – trotz des kommenden Brexits.

Von Louise Brown | 06.08.2018
    Alteingesessen und belebt: Der Innenhof des Victoria and Albert Museum in London - Menschen sitzen vor historischer Fassade auf dem Rasen
    Alteingesessen und belebt: Der Innenhof des Victoria and Albert Museum in London (Deutschlandradio/Louise Brown)
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    Jamie Oliver: "Whether it's the fashion, the music, the art - it's all going on!"
    Progressiv, weltoffen und selbstbewusst - so zeigt sich das Land mit Blick auf seine reiche Museumslandschaft. Allein 2018 sorgen mehrere Eröffnungen und Erweiterungen für Aufsehen.
    Sehenswertes nicht nur in London
    Zu den Must-Sees gehört der Ausbau der Royal Academy of Arts, seit Mitte des 19. Jahrhunderts in Piccadilly in London beheimatet. Nach Plänen des Star-Architekten David Chipperfield wurden die dazugehörigen Gebäude Burlington House und Burlington Gardens - beide aus dem 19. Jahrhundert - mit einem minimalistischen Brückenbau aus Beton verbunden. Die großen Fenster der Brücke lenken den Blick auf einen neuen Garten, in dem Skulpturen ausgestellt werden sollen.
    Im Oktober eröffnet in South Kensington das neue Zentrum für Fotografie im Victoria and Albert Museum, das die weltgrößte Sammlung von Kunstgewerbe und Design beherbergt. 500.000 Bilder hat das Museum seit 1852 gesammelt. Neben Fotos präsentiert das Photography Centre ab Herbst 2018 seine wichtigsten Schätze aus einer Sammlung von 6.000 historischen Kameras.
    Noch mehr Fotos: Im Szenestadtteil Whitechapel werkeln die Bauarbeiter am Umbau eines achtstöckigen Bankengebäudes, in das Fotografiska London einziehen wird. Die Filiale des schwedischen Museums soll das größte Haus für Fotografie in London werden, mit sieben Ausstellungsräumen, einem Kino und Gastronomie, das bis ein Uhr morgens geöffnet haben wird. Ein schnörkelloser, stylischer Ort aus Beton und Glas, der mehr sein will als ein instagram-taugliches Objekt, wie das Fotografiska mit Ausstellungen zur Flüchtlingspolitik und Inklusion am Hauptsitz in Stockholm bewiesen hat.
    Nicht nur London führt die Liste der Neueröffnungen an: Im September eröffnet der erste Ableger des V&A außerhalb der Hauptstadt, in Schottland, das V&A Museum of Design Dundee. Der stolze Bau, entworfen vom japanischen Architekten Kengo Kuma, erinnert an ein futuristisches Schiffswrack am Ufer des Flusses Tay. Das Museum erzählt die Geschichte des schottischen Designs.
    Natürlich könnte man öffentliche Gelder für andere Zwecke ausgeben als für Kunsthallen - für Bibliotheken etwa, die dem Sparprogramm der konservativen Regierung zum Opfer gefallen sind. Und doch sind Museen in Großbritannien keine elitären, verstaubten Orte, sondern beliebte Ziele für Familienausflüge, Tinder-Verabredungen, Mittagspausen und Instagram-Hintergrund zugleich. Wer an einem freien Tag durch ein Museum in London streift, trifft dort Alt und Jung. Im Innenhof des V&A spielen Kinder in einer Wasserinstallation - in Deutschland hätten Sicherheitskräfte sie längst verscheucht.
    In Großbritannien sind Museen sind Mainstream, und das liegt zum einen daran, dass Besucher nichts bezahlen müssen. Seit 2001 verlangen öffentlich finanzierte Häuser für ihre Dauersammlungen keinen Eintritt mehr. Die Besucherzahlen stiegen um 20 Prozent.
    Keine trockenen, akademischen Schauen
    Auch das besondere Finanzierungsmodell der Museen würde zum Besucherplus beigetragen, so Anna Larkin, Kunstredakteurin bei der Zeitschrift "The Ex-Berliner" und langjährige Mitarbeiterin an britischen Kunsteinrichtungen:
    "Um Zuschüsse vom Arts Council zu bekommen, der für die Verteilung der öffentlichen Gelder an die Kulturorganisationen zuständig ist, müssen Museen und Galerien detailliert Rechenschaft ablegen über ihr gesellschaftliches Engagement. Das wiederum hat zu Veränderungen in der Kulturwelt geführt: weg von trockenen, akademischen Ausstellungstexten und hin zu neuen Ausstellungsthemen."
    Und während Museen in Deutschland Bildungsorte sind, denen es weniger um Unterhaltung geht, schaffen britische Museen auch ohne Eintrittsgelder ein Bildungsangebot, das obendrein unterhaltsam ist.

    So hat das renommierte V&A, das jährlich fast vier Millionen Besucher anzieht, sein Publikum mit Ausstellungen über Pink Floyd oder David Bowie begeistert. Das British Museum zeigt in diesem Herbst neben den beliebten ägyptischen Mumien eine Schau zum Thema Dissens und Subversion, kuratiert von Satiriker und Fernsehliebling Ian Hislop. Sieben Millionen Besucher zählt das British Museum jedes Jahr. Londons Museumszene zieht an - auch nach dem Brexit.
    Martin Barnes, Kurator des Fotografiezentrums am Victoria and Albert Museum, sitzt vor seiner Bücherwand im Büro
    Martin Barnes, Kurator des Fotografiezentrums am Victoria and Albert Museum (Deutschlandradio/Louise Brown)
    "Museen sind kulturelle Botschafter"
    Jan Broman, Gründer von Fotografiska: "Der Brexit bereitet mir tatsächlich keine Sorgen. London ist London. Die Stadt wird weiterhin eines der wichtigsten Touristenziele bleiben, weil London seine Geschichte hat. Es ist die größte Touristenstadt in Europa. Und die Londoner werden auch in Zukunft Zeit an Orten wie dem unseren verbringen."
    Die Statistik gibt Broman Recht: Laut Kulturministerium wächst der Kreativsektor zweimal so schnell wie die restliche britische Wirtschaft. Großbritannien verdankt seine Wirtschaftsmacht nicht nur der Finanz-, sondern auch der Kreativbranche. Und die Museen haben einen wichtigen Anteil daran - auch nach dem Brexit, meint Martin Barnes, Kurator für Fotografie am V&A:
    "Museen sind schon immer kulturelle Botschafter gewesen. Das ist die zentrale Rolle, die Museen haben: die Menschen zu erreichen, die Welt zu deuten und Hintergründe zu bieten. Museen sind Orte des kulturellen Austauschs."
    Eine Spotify-Playlist mit den besten Songs zum Thema begleitet die Serie - im Deutschlandfunk-Account unter "DLF_BrexitMonday"