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Britische Musikerin Nilüfer Yanya
Miss Universe of music?

Eigenwillig und eigenständig bohrt sich die musikalische Stimme der britischen Sängerin und Gitarristin Nilüfer Yanya in die Gehörgänge. Mit "Miss Universe" hat sie ein interessantes Debüt zwischen britischem Indie-Rock, Pop und Soul veröffentlicht.

Von Anja Buchmann | 25.07.2021
    Eine Frau mit langen blonden Locken sitzt auf einer Treppenstufe
    Debüt mit vom Jazz beeinflussten Titeln über Popsongs bis hin zu Rock-Stücken: Nilüfer Yanya (Hollie Fernando)
    Musik: "Paralyzed"
    Nilüfer Yanya ist freundlich, aber zurückhaltend - eben keine Frau der großen Worte. Warum auch Aussagen in endlose Satzkaskaden kleiden, wenn es sparsamer geht. Die Sache mit dem Singen zum Beispiel: Inzwischen hat sie sich daran gewöhnt, aber anfangs fand sie es befremdlich. Denn beim Singen gibt sie mehr von sich preis als beim Spielen eines Instruments.
    Nilüfer Yanya : "Ich habe vorher Klavier gespielt, bin damit auch aufgetreten, das war kein Problem für mich, auch mit der Gitarre. Aber Singen, das ist eben dein eigenes Instrument, das bist du selbst."
    Onkel Joe mit eigenem Studio
    Nilüfer Yanya wuchs in einer kreativen Familie auf, ihre Eltern sind beide Künstler und arbeiten als Maler und Fotograf bzw. Textildesignerin. Musikalischen Input, Hinweise und Bestätigung für ihr Gitarrenspiel und ihre Songs bekam Yanya vor allem von ihrem Onkel Joe, einem Musiker mit Studio in Cornwall. Dort verbrachte seine Nichte oft Zeit, machte mit ihm Musik - und hat dort schließlich auch Stücke für ihr Debüt aufgenommen.
    "Er war eine sehr ermutigende Person, die sich auch Zeit für mich genommen hat. Als ich Gitarre gelernt habe, hat er mir einiges dazu gezeigt. Und als ich zu schreiben begonnen habe, hat er Demos mit mir aufgenommen in seinem Studio. Da er Produzent ist, klang das schon sehr gut. Danach haben wir auch zusammen geschrieben, haben viel im Studio gearbeitet – er hat einfach viel gemacht in seinem Leben, und von so einem Menschen zu lernen, den du noch dazu sehr gut kennst, ist wunderbar."
    Musik: "Keep on calling"
    "Keep on calling", von Nilüfer Yanyas erster EP aus dem Jahr 2017. Popmusik im weitesten Sinne ist Teil ihres Lebens, seit sie denken kann. Sie hörte Musikerinnen wie Nina Simone und Amy Winehouse, Surf-Punk-Combos, so unterschiedliche Bands wie The Cure, The Strokes oder die Pixies. Aus einigen ihrer frühen Songs klingt zudem ein wenig King Krule oder eine entspanntere Version einer Kate Tempest.
    Musik: "Golden Cage"
    Mit Zwölf bekam Nilüfer Yanya nach einigen Jahren Klavierspiels endlich eine Gitarre. Besonders die E-Gitarren hatten es ihr schon immer angetan. Einer ihrer ersten Lehrer war niemand geringeres als der Gitarrist der englischen Alternative-Band The Invisible: Dave Okumu, der sie an einer Schule in London unterrichtete. Sie fügte ihrem persönlichen Musikmix noch etwas Jazz hinzu - was auch beim gerade gehörten Titel "Golden Cage" auffiel. Denn Jazz ist in Yanyas Londoner Jugend und auch heute noch alles andere als altmodisch - ganz anders als beim jugendlichen Musikgeschmack in Deutschland.
    "Es gibt einen großen Einfluss von Jazzmusik in London. Auch als Jugendliche, mit 16, 17, 18 haben alle Jazz gehört, das war immer gegenwärtig. Und meine Freundin Jazzi Bobbi spielt Saxofon, also habe ich sie zum Beispiel beim Titel "Melt" aufs Album genommen - es ist spannend, was sie daraus gemacht hat."
    Das Phänomen des intensiven Gemeinschaftsgefühls
    "Melt" ist ein Titel, der sich mit dem Phänomen des großen, intensiven Gemeinschaftsgefühls beschäftigt - das in Clubs, bei Konzerten und Festivals entstehen kann und häufig mit der Einnahme diverser Drogen verbunden ist.
    "Es geht darum zu beobachten, wie Menschen langsam abdrehen. Sie wollen dabei sein, intensiv leben, irgendwas erfahren und nutzen Alkohol und Drogen dafür. Also quasi als Mittel, um sich mit anderen verbunden zu fühlen. Denn ansonsten fühlen wir uns oft allein und getrennt von den anderen."
    Was die Musikerin nun aber nicht zur Abstinenzlerin macht...
    "Ich trinke auch manchmal, ich bin da definitiv schuldig. Es geht halt darum, dass wir denken, wir brauchen das regelrecht."
    Musik: "Melt"
    "Ich hatte immer Songs für eine Band im Kopf"
    "Manche Songs müssen einfach für sich stehen. Es ist witzig, als ich jünger war, hatte ich immer Songs für eine Band im Kopf. Und als ich dann begonnen habe aufzutreten, merkte ich, dass nicht alle Songs diese Band-Struktur brauchen. Ich habe dann meine eigenen Weg entwickelt, Gitarre zu spielen, weil ich damals noch keine Band hatte. Jetzt habe ich die Möglichkeit, mit Band zu arbeiten und Songs größer klingen zu lassen, wenn ich das möchte."
    Aber auch als sie ihre Songs noch ohne Band aufgenommen hat, schaffte Nilüfer Yanya bereits Abwechslung in ihren Arrangements, legte Gitarrenstimmen und Gesangslinien übereinander, um die Musik voller klingen zu lassen. So etwa bei "Small crimes", das sie mit einem kleinen, das Griffbrett hoch rutschenden Gitarrenriff beginnt, später eine Rhythmusgitarre hinzufügt und ein dezentes Stimmenbett in den Hintergrund legt.
    Musik: "Small Crimes / Angels"
    "Miss Universe" betitelt Nilüfer Yanya ihr Album, das im Februar 2019 erschienen ist. Ein Titel der, so sagt sie, nichts mit der Musik zu tun habe und zu dem sich jeder und jede ihre eigenen Gedanken machen könne. Eine Besonderheit findet sich mit vier kurzen Interludes, die zwischen den Titeln gesetzt sind: eine fiktive Hotline-Stimme eines ebenso fiktiven Unternehmens für Wellness und Gesundheit, mit der sie die moderne Konsumwut und den Drang zur Perfektionierung von Körper und Geist kritisiert.
    Eine Frau sitzt auf einem Stuhl vor einer roten Wand.
    Ihr Album ,Miss Universe’ wurde von Dave Okumu produziert (Molly Daniels)
    "Wir sorgen uns um deine Gesundheit, ja, das sagt die Stimme in einem Interlude… Für mich ist das so etwas wie die Stimme, die wir in der Gesellschaft hören, die mir sagt, was ich machen soll, die mich beeinflusst und bedrängt. Eine Stimme, die mich ablenkt von dem, was wirklich wichtig ist."
    Musik: "Wway health / Baby Blue"
    Sie ist vielschichtig, die Musik auf Yanyas Debut - von Jazz beeinflussten Titeln über regelrechte Popsongs bis zu energetischen Rockstücken. Letztere könnten durchaus einen größeren Platz einnehmen, denn gerade da zeigt die junge Musikerin, was sie kann.
    "Es ist schon eine größere musikalische Bandbreite auf dem Album. Das war aber gar nicht beabsichtigt. Ich habe mich immer nur auf eine Sache konzentriert beim Komponieren – aber es war so, als ob die Stücke in die jeweilige Richtung gehen wollten."
    Musik: "In your head"
    Yanyas Gitarrenspiel auf ihrer Fender Stratocaster ist wiedererkennbar. Es gibt kräftig verzerrte Passagen, wie beim gerade gehörten "In your head", es gibt melodiöse Mini-Motive und sehr häufig ein perkussives Spiel, bei dem sie die Saiten leicht dämpft, sodass die Anschläge gegenüber den eigentlichen Tönen mehr in den Vordergrund treten. So auch – im Wechsel mit verzerrten Passagen - beim Song "Heavyweight champion of the year".
    "Heavyweight champion of the year" ist mein Lieblingssong auf dem Album. Ich glaube, es ist auch mein bester. Es ist interessant, ich weiß selbst nicht genau, worum es geht - aber es bringt etwas in mir zum Schwingen. Auch wenn ich es live spiele. Und manchmal habe ich das Gefühl, dass viele Menschen dieses Stück besonders verstehen oder darauf anspringen. Das Video spielt in LA, es war das erste Video, das wir gemacht haben, das den Song quasi interpretiert hat. Ich sehe mich selbst auf der Bühne - und es ist nicht klar, was mein richtiges "Ich" ist, als ob es nicht existiert."
    Musik: "Heavyweight Champion Of The Year"
    Auch Nilüfer Yanyas Gesang ist besonders: Eine Stimme, die sanfte Töne genauso beherrscht, wie expressiven Rock-Gesang, mit einer guten Amplitude zwischen tieferen Tönen und hohen Passagen, einem organischen Wechsel zwischen Brust- und Kopfstimme.
    Leben im Flüchtlingscamp
    Neben ihrer musikalischen Tätigkeit ist die Künstlerin politisch aktiv - obwohl sie diesen Begriff eigentlich nicht mag: "Artists in transit" ist eine Initiative, die sie gemeinsam mit ihrer Schwester gegründet hat: Sie lebten einige Zeit in griechischen Flüchtlingscamps, verteilten Essen, halfen bei der Organisation und initiierten sportliche und spielerische Beschäftigungen.
    Ein weiteres Statement: Nilüfer Yanya trat 2017 nach dem Terroranschlag in der Manchester Arena als Vorband von Broken Social Scene auf.
    "Ich mag es nicht, wenn die Politik sich Dinge aneignet, die einfach getan werden müssen, so wie bei "artists in transit" - wir sind nicht politisch, wir sind einfach Menschen. Und als wir Broken Social Scene supportet haben, in der Manchester Show - da ging es auch nur darum, man selbst zu sein. Klar, ich sehe, dass das mit Politik verbunden ist, auch die Organisation "artists in transit" mit dem Thema Immigration und Flüchtlinge ist letztlich politisch. Aber ich mag einfach nicht, wie die Politik solche Dinge für sich besetzt.
    Musik: "The Florist"
    Die junge Musikerin Nilüfer Yanya überzeugt auf vielen Ebenen: Ihr Gitarrenspiel, ihr Gesang, auch ihre kompositorischen Ideen – man erkennt bereits eine persönliche Handschrift, einen eigenen Klang. Sie müsste sich nur - bei aller Freude am stilistischen Experimentieren - entscheiden, welchen musikalischen Weg sie weiter geht. Und vor allem ihren roheren, direkteren Songs mehr Raum geben. Einen Konzerttermin von Nilüfer Yanya in Deutschland gibt es noch, bevor sie auf Tour in den USA unterwegs sein wird: Am 30. Mai auf dem Immergut-Festival in Neustreelitz.
    Musik: "Baby Luv"