Freitag, 19. April 2024

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Britische Politikkultur
"Nicht nur für Deutsche schwer zu verstehen"

Vieles, was im britischen Parlament gerade geschieht, wirkt auf Kontinentaleuropäer skurril. Der britische Journalist und Publizist Peter Bild sagte im Dlf, dass die Demokratie in seinem Land trotzdem funktioniere.

Peter Bild im Gespräch mit Jörg Biesler | 24.09.2019
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Eng, laut und unübersichtlich: Sitzung im britischen Parlament (Imago | Xinhua)
Die britische Politikkultur bestehe vor allem aus Konventionen, erklärte Bild. Zu finden seien sie nicht in einer Verfassung, in Gesetzen oder einer Geschäftsordnung, sondern im Handbuch "Erskine May- Parliamentary Practice", das 1844 veröffentlicht wurde. "Danach wird mehr oder weniger gehandelt. Es ist nicht nur für Deutsche schwer zu verstehen!". Das demokratische System in Großbritannien funktioniere mit diesen seltsam anmutenden Ritualen trotzdem gut, so der Journalist. Allerdings nur "solange man es nicht übertreibt. Und das ist eben die Sünde von Boris Johnson!"
Johnson ist zu weit gegangen
Es sei wirklich ein Problem, stellte Bild fest, "dass wir als Premierminister einen Wiederholungslügner haben". Der Supreme Court habe heute festgestellt, dass das Parlament nicht ohne einen guten Grund suspendiert werden durfte. Gegen diesen Grundsatz habe der Regierungschef aber verstoßen. Zur ungeschriebenen aber trotzdem fest verankerten politischen Kultur Großbritanniens gehöre es, so der Journalist, "dass Politiker nicht zu weit gehen".
Ausgang ungewiss
Wenn Johnson jetzt zurücktrete, wäre das ein Zeichen dafür, dass die Demokratie noch lebendig sei, kommentierte Peter Bild. "Aber was danach geschieht, ist im Augenblick völlig offen. Und ob unser System wirklich so demokratisch ist wie manche vermuten - das kann man auch bezweifeln." Großbritannien befinde sich auch ohne niedergeschriebene Verfassung in einer handfesten Verfassungskrise: "Wie wir da rauskommen, ist ungewiss."
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