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Britischer Botschafter Sebastian Wood
"Einwanderung ist eine sehr empfindliche Frage in Großbritannien"

Für Großbritannien kommt die Teilnahme an einem europäischen Umverteilungsprogramm für Flüchtlinge nicht in Frage. Denn dann würden sich vermutlich noch mehr Leute auf den Weg machen, sagte der britische Botschafter in Deutschland, Sir Sebastian Wood, im Deutschlandfunk. Aus britischer Sicht sei es vorrangig, die EU-Außengrenzen dicht zu machen. Außerdem sollten die Hilfen in den Krisenregionen verstärkt werden.

14.02.2016
    Sir Sebastian Wood, neuer britischer Botschafter in Deutschland
    Sir Sebastian Wood, neuer britischer Botschafter in Deutschland (picture alliance/dpa/Jörg Carstensen)
    Stephan Detjen: Herr Botschafter, am kommenden Donnerstag treffen sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union in Brüssel. Zwei Themen stehen dann auf der Agenda und jedes für sich würde wahrscheinlich schon eine lange Verhandlungsnacht füllen. Die Flüchtlingspolitik zum einen und zum anderen die künftige Rolle Ihres Landes, Großbritanniens, in der Europäischen Union. Für wen werden das am Donnerstag alles Schicksalsstunden in Brüssel sein? Für David Cameron, für Angela Merkel, für die Briten oder für ganz Europa?
    Sir Sebastian Wood: Ja, das ist eine gute Frage. Es ist möglich, dass wir nächste Woche einen Deal über die Zukunft von Großbritannien in Europa erreichen werden. Es ist auch möglich, dass wir keinen Deal erreichen. Beides ist möglich. Der Premierminister Cameron hat schon gesagt, dass die Reformvorschläge von Donald Tusk eine gute Basis sind für einen Deal. Es gibt immer noch technische Schwierigkeiten, wir verhandeln immer noch darüber in Brüssel. Und der Premierminister hat mehrmals gesagt, dass der Inhalt wichtiger als die Zeit ist. Wenn wir nächste Woche einen Deal erreichen können, dann wäre es möglich, zum Beispiel die Volksabstimmung in Großbritannien vor der Sommerpause abzuhalten.
    Detjen: Da kommen wir gleich noch darauf zu sprechen, auch auf die Details dessen, was da an Vorschlägen – Sie haben das erwähnt – von Kommissionspräsident Tusk und David Cameron auf den Tisch gelegt wurde. Aber wenn wir uns noch einmal den Weg dahin anschauen, da stehen noch eine ganze Reihe Vorgespräche, auch Gipfeltreffen von ranghohen europäischen Politikern auf der Agenda. Einen Vorgeschmack haben Sie am Ende letzter Woche bekommen, da waren Sie mit Ihrem Premierminister, David Cameron, in Hamburg bei der traditionellen Matthiaemahlzeit. Da gab es davor ein Gespräch des Premierministers mit der Bundeskanzlerin. Sie haben die beiden gesehen, als sie aus dem Gespräch im kleinsten Kreis herauskamen. Wie sahen sie denn aus? Zuversichtlich oder pessimistisch?


    Wood: Der Premierminister hat schon gesagt, dass wenn wir einen guten Deal erreichen können, dass er zuversichtlich ist, dass es möglich wäre, den Verbleib von Großbritannien in der EU sicherzustellen, aber die Verhandlungen sindin dieser Hinsicht äußerst wichtig. Die Umfragen in Großbritannien zeigen seit Monaten jetzt, dass es immer noch eine ganz große Gruppe von Wählern gibt, die sozusagen in der Mitte der Meinungen sind. Sie sind keine überzeugten Befürworter der EU – diese Gruppe wird die Meinung nicht ändern. Sie sind keine EU-Gegner und auch diese Gruppe wird die Meinung nicht ändern. Aber es gibt immer noch ungefähr 30 Prozent der Wähler, die sich noch nicht entschieden haben. Und für sie sind die Themen, die Donald Tusk erwähnt hat im Reformpaket, sehr wichtig.
    David Cameron und Donald Dusk (24.09.2015)
    David Cameron und Donald Tusk. (dpa / picture-alliance / Laurent Dubrule)
    Detjen: Da geht es, wenn man sich dieses Paket anschaut, da geht es um Grundlagen der Union, um mehr Einfluss der Parlamente. Da geht es um die Kürzung von Sozialleistungen für EU-Inländer, die insbesondere in Großbritannien arbeiten. Da geht es um die Zielvorstellungen, die Visionen des künftigen Europas. Reicht das denn, wenn dieses Paket so eine Mehrheit findet bei dem EU-Gipfel, wenn es einigungsfähig ist, um diese 30 Prozent, um die schwankenden Briten zu überzeugen, in der EU zu bleiben?
    "Großbritannien lehnt eine weitere politische Integration nicht ab"
    Wood: Das wissen wir natürlich noch nicht. Die letzte Entscheidung ist die der Wähler. Aber die gegenwärtigen Umfragen zeigen, dass für die Wähler diese Fragen sehr wichtig sind. Es gibt eigentlich vier Bereiche. Erstens, es handelt sich um die künftige Wettbewerbsfähigkeit der EU, wo Donald Tusk vorgeschlagen hat, dass wir den Binnenmarkt weiter ergänzen und vertiefen sollten – was wir in Großbritannien für sehr, sehr wichtig empfinden, auch dass wir die Bürokratie und überflüssige Vorschriften regelmäßig abbauen sollten und dass wir Handels- und Investitionsabkommen nach vorne treiben sollten. Wenn wir kein gutes Wachstum in Europa haben, dann ist es schlecht für alle Mitgliedsstaaten. Zweitens, handelt es sich um die künftigen Beziehungen zwischen Eurostaaten und Nicht-Eurostaaten. Und hier ist es sehr wichtig zu betonen, dass Großbritannien die weitere politische Integration der Eurozone nicht ablehnt. Das können wir unterstützen, weil ein erfolgreicher Euro auch in unserem Interesse ist. Aber es ist wichtig, dass es auch parallele Formen gibt, Prinzipien und Regelungen. Wobei es klar ist, dass die Interessen der Nicht-Eurostaaten auch verteidigt werden.
    Detjen: Aber wenn ich hier einhaken darf: Das betrifft ja jetzt einen ganz zentralen Punkt, eine Änderung, eine Interpretation der zentralen Klausel, die seit der Gründung der Gemeinschaft 1957 die Integration eigentlich immer vorangetrieben hat, nämlich, das gemeinsame Ziel einer – wie es da heißt – "ever closer Union", einer immer engeren Gemeinschaft. Das wurde auch in Deutschland als das Ziel einer immer weiter voranschreitenden, gemeinschaftlichen Integration ausgelegt. Wenn dieser Vorschlag - den Tusk ja mit dem britischen Premierminister ausgearbeitet hat - wenn der zum, wie Sie sagen, "Deal" wird, wenn der zum Konsens wird, dann wird diese Klausel sozusagen herunter interpretiert zu einem Lippenbekenntnis, das faktisch nach dem Gusto aller Mitgliedsstaaten ausgelegt werden kann: Die einen können sich weiter integrieren, die anderen können das nicht. Aber es ist kein gemeinschaftliches Ziel mehr.
    Wood: Ja, hier muss ich ein bisschen über die Geschichte von Großbritannien sprechen, weil wir alle von unserer Geographie und unsere Geschichte geprägt sind. Und in Großbritannien – wie Sie wissen – leben wir auf einer Insel, und deshalb ist die Geschichte ganz anders als hier auf dem Festland Europas. Und seit 900 Jahren hat niemand diese Insel erobert, dank des Ärmelkanals. Wir hatten keine französische Revolution, wir hatten keine fürchterlichen Bürgerkriege, wie den 30-jährigen Krieg. Und unsere wichtigen Institutionen, unser Parlament, unsere Gerichte, haben sich seit 900 Jahren nach und nach entwickelt. Und obwohl es ab und zu Skandale gibt und Probleme gibt, wie in allen Ländern, vertrauen die Briten diesen Institutionen und für sie es es sehr, sehr schwierig zu verstehen, wie diese von Gremien in Brüssel oder Straßburg überwunden werden können. Und deshalb gibt es eigentlich – das muss ich ganz ehrlich sagen – keine politische Unterstützung in Großbritannien für die Idee, dass wir weitere Souveränität an Brüssel abgeben.
    Detjen: Aber dieses Verständnis Großbritanniens, dieses Inselverständnis, diese Sonderrolle, hat ja auch in den bisherigen Verträgen, in der Rolle, die Großbritannien zurzeit in der Europäischen Union spielt, schon vielfach Ausdruck gefunden durch Sonderklauseln für Großbritannien, die Großbritannien ein anderes Integrationstempo erlauben. Großbritannien gehört zu denen, die nicht Mitglied der Eurozone sind. Was jetzt passieren würde wäre ja, dass es sozusagen zwei gleichwertige Ziele für alle gibt. Für die einen Fortschreiten der Integration, für die anderen, und zwar nicht nur für Großbritannien, aber vielleicht unter Führung Großbritanniens, weniger Integration, jedenfalls eine alternative parallele Version. Welche wäre das?
    "Wir brauchen eine Volksabstimmung"
    Wood: Ja, es gibt immer noch in Großbritannien den Verdacht, dass wenn unsere Partner auf dem Festland in der Eurozone sich weiter integrieren, dass wir auch dazu gezwungen werden. Und das hat zu einem mulmigen Gefühl in Großbritannien geführt. Und deshalb brauchen wir jetzt diese Volksabstimmung, um es klar zu stellen, dass wir nicht dazu gezwungen werden. Wenn wir das sicherstellen können, dann wird das ganze Gefühl über unsere Gemeinschaft der EU viel gelassener sein. Nach unserer Ansicht in Großbritannien, sollte die EU mehr als eine Währungszone sein. Es sollte natürlich Platz geben für Länder wie Deutschland, die sich weiter integrieren wollen, aber es sollte auch Platz geben für Länder wie Großbritannien, die keine weitere politische Integration wollen. Wir haben den größten Binnenmarkt der Welt, wir haben eine Wertegemeinschaft, wir treiben eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik oder Sicherheits- und Verteidigungspolitik – das finden wir alles sehr, sehr wichtig und das ganze Konzept für uns ist viel größer als eine Währungszone. Wir wollen nicht blockieren, dass unsere Partner sich weiter integrieren und dass es eine integriertere Eurozone gibt. Aber für uns ist das nicht die richtige Antwort.
    Detjen: Bisher gab es immer wieder verschiedene Leitbegriffe, die die Diskussion über Europa geprägt haben. Das eine war ein "Europa der zwei Geschwindigkeiten", also unterschiedlicher Staaten, die sich im unterschiedlichem Tempo, aber auf ein gemeinsames, gleiches Ziel, nämlich das Ziel der immer engeren, der "ever closer Union" zubewegen. Welche Vision könnte am Ende des Jahres 2017 Europa prägen? Die Vision, die Wolfgang Schäuble schon 1994 skizziert hat mit der Idee eines Kerneuropas, das dann möglicherweise aus den Eurostaaten besteht und einem größeren Weichbild anderer Staaten, die mit anderen Zielen, nicht nur anderen Geschwindigkeiten, sich darum bewegen?
    Wood: Ja, Sie wissen schon, dass die Briten eher ein bisschen pragmatisch sind. Ob wir eine Vision haben oder nicht, das weiß ich eigentlich nicht, aber wir glauben, dass die EU ein flexibles Netzwerk sein sollte. Wenn es ein starrer Block ist, dann kann das früher oder später zu Problemen führen, wenn die Politik zu gespannt wird. Und es ist immer besser, nach unserer Ansicht, flexibel zu sein, weil Europa sehr vielfältig ist, und das ist auch die Stärke von Europa. Wir finden es sehr gut, dass in den Vorschlägen von Donald Tusk gesagt wurde, dass dieser Begriff der immer engeren Union, dass das nicht bedeutet, dass jeder Mitgliedsstaat der Europäischen Union nach weiterer politische Integration streben muss. Und wenn wir das nicht sagen könne, dann wäre es vielleicht besser für Großbritannien auszutreten, weil das können die Wähler in Großbritannien eigentlich nicht akzeptieren.
    Detjen: Welche Rolle kann, welche Rolle sollte Europa, ein gemeinsames Europa auf der Bühne der internationalen Politik, der Außenpolitik spielen? Während wir sprechen, findet in München noch die Sicherheitskonferenz statt. Da hat es eine Syrienkonferenz gegeben. Europa fällt eigentlich auf diesen internationalen Konfliktfeldern als gemeinschaftlicher Akteur weitgehend aus.
    "Sehr aktiv in Außen- und Sicherheitspolitik"
    Wood: Für uns ist es sehr wichtig nach einer aktiven und einflussreichen gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu streben. Es ist immer ganz schwierig, weil es 28 Mitgliedsstaaten gibt, aber in meiner Erfahrung – ich bin im März schon seit 30 Jahren britischer Diplomat – ist Großbritannien immer ein sehr, sehr aktiver Mitgliedsstaat im Bereich von Außen- und Sicherheitspolitik, weil wir glauben, dass das wirtschaftliche Gewicht der EU sehr groß ist. Und wenn wir das Gewicht nutzen können, dann können wir viel auf der internationalen Bühne erreichen.
    Detjen: Was bedeutet das für die militärische Zusammenarbeit? Wenn es um militärische Entscheidungen ging – sei es im Irak, in Libyen, in Syrien –, dann hat doch auch in Europa jeder zunächst einmal auf eigene Rechnung gehandelt. Die Partei der deutschen Bundeskanzlerin, die CDU, strebt eine gemeinsame europäische Armee an. Wäre so etwas mit Großbritannien zu machen?
    Wood: Für uns wäre das natürlich sehr schwierig, weil es um die Souveränität von jedem Mitgliedstaat geht. Und für uns ist es auch sehr wichtig, das Bündnis zu unterstützen, was uns in Europa Frieden und Sicherheit ermöglicht hat seit dem Zweiten Weltkrieg, nämlich die NATO, und hier ist die Rolle der Vereinigten Staaten unverzichtbar, würde ich sagen. Aber wir glauben, dass es auch sehr wichtig ist, eine engere militärische Zusammenarbeit mit unseren europäischen Partnern zu haben. Und wir haben vor Kurzem eine wichtige militärische Strategie veröffentlicht und darin steht, dass Deutschland ein besonders wichtiger militärischer Partner für Großbritannien sein sollte.
    Detjen: Eines der zentralen Themen in dem Vorschlag, den Kommissionspräsident Tusk mit dem britischen Premier Cameron vorgelegt hat, betrifft soziale Fragen, die Freizügigkeit von Arbeitnehmern, Sozialleistungen für, nennen wir es europäische Wanderarbeiter, sollen gekürzt, reduziert werden können. Insbesondere die osteuropäischen Partnerstaaten – viele Polen arbeiten in Großbritannien – werfen Großbritannien vor, damit die Axt an das Prinzip der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu legen.
    Wood: Nein, überhaupt nicht. Das ist ein Missverständnis über die Haltung von Großbritannien auf diese Frage. Wir lehnen das Prinzip von Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht ab – und das hat der Premierminister Cameron schon sehr klar gesagt. Der Druck in Großbritannien ist sehr groß, weil die Bevölkerung bei uns sehr, sehr schnell wächst. Die Geburtenrate in Großbritannien ist viel höher als hier in Deutschland zum Beispiel. Ich habe meinen kleinen Beitrag dazu geleistet: Wir haben vier Kinder. Aber ja, bei uns ist die Bevölkerung während der letzten fünf Jahre um 2,3 Millionen gewachsen und während der letzten 15 Jahre um mehr als elf Prozent gewachsen. Das ist sehr, sehr schnell. Ungefähr die Hälfte davon ist Geburtsrate, die andere Hälfte ist Nettoeinwanderung. Und deshalb ist diese Frage vom Druck auf Öffentliche Dienste, die Frage von Sozialleistungen und Einwanderung eine sehr, sehr empfindliche Frage in Großbritannien für alle Politiker. Und deshalb ist es besonders wichtig bei den Verhandlungen in Brüssel, dass wir uns auf eine gute Lösung einigen können. Sonst wäre es viel schwieriger in Großbritannien für David Cameron, die Volksabstimmung für einen Verbleib von Großbritannien in der EU zu gewinnen.
    Flüchtlinge entern einen Lkw, der von Frankreich über den Eurotunnel nach Großbritannien will.
    Flüchtlinge entern einen Lkw, der von Frankreich über den Eurotunnel nach Großbritannien will. (PHILIPPE HUGUEN / AFP)
    Detjen: Das Deutschlandfunk-Interview der Woche, an diesem Sonntag mit Sir Sebastian Wood, dem britischen Botschafter in Berlin. Und das Thema, über das wir jetzt gesprochen haben, Herr Botschafter, leitet im Grunde schon über zu dem anderen großen Thema dieses bevorstehenden EU-Gipfels, der Flüchtlingspolitik. Angela Merkel wird da einmal mehr die Solidarität Europas einfordern, die sie nicht bekommen hat. Und wenn man die letzten Äußerungen, etwa auch des französischen Premierministers anhört, der sagt: 'Frankreich wird Kontingentlösungen, wie Angela Merkel sie sich wünscht, wie sie sie vorschlägt, nicht mitmachen', dann sieht das nicht so aus, als würde da Angela Merkel viel Unterstützung bekommen. Wie sieht es mit der britischen Haltung aus?
    Wood: Ja, wir wissen natürlich, dass es eine riesige Krise ist. Weil wir den Ärmelkanal haben, weil wir auf einer Insel leben, betrifft uns diese Krise ein bisschen anders als hier das Festland Europas. Wir glauben, dass es wichtig ist, unseren Beitrag dort zu leisten, wo es am sinnvollsten ist, in der Region vor Ort. Und deshalb sind wir der zweitgrößte Geldgeber der Welt in der Region. Wir haben schon versprochen, dass wir mehr als 2,3 Milliarden Pfund geben werden in der Region. Letzte Woche haben Premierminister Cameron und Angela Merkel gemeinsam eine sehr, sehr wichtige Konferenz abgehalten über Syrien. Und wir sind ganz zufrieden mit den Ergebnissen der Konferenz, die Beteiligten haben versprochen, elf Milliarden Dollar zu geben. Und was ist das Ziel? Das Ziel ist es, zu ermöglichen, dass die Flüchtlinge, die vertriebenen Leute, die in Lagern in der Türkei wohnen, im Libanon, in Jordanien, dass sie eine Möglichkeit haben, dort zu arbeiten, dass es Schulplätze für die Kinder gibt und zu vermeiden, dass sie sich auf diese sehr, sehr gefährliche und illegale Reise nach Europa machen.
    Detjen: Der Druck der Flüchtlingsbewegung wird erkennbar in den nächsten Jahren nicht nachlassen. Also, mit dem tatsächlichen Flüchtlingsstrom, Herr Botschafter, sollen dann die Länder fertig werden in Europa, die nicht das Glück einer Insellage haben?
    "Außengrenze stärken"
    Wood: Wir glauben, dass es auch wichtig ist, die Außengrenze von Europa zu verstärken. Wir sind bereit, unseren Partner in der Schengenzone zu helfen, die Außengrenzen dichter zu machen. Wenn wir selbst an einem Umverteilungsprogramm teilnehmen würden, gäbe es nach unserer Ansicht das Risiko, dass sich noch mehr Leute auf den Weg nach Europa machen, weil die Anziehungskraft von Großbritannien, wie hier auf Deutschland, ganz groß ist.
    Detjen: Das heißt, das ist ja auch das, was die Kritiker Angela Merkels hier in Deutschland fordern. Faktisch läuft es darauf hinaus, die Idee eines Europas der offenen Grenzen, der offenen Binnengrenzen jedenfalls, aufzugeben. Liegt Angela da falsch, so wie es der französische Premierminister ganz offen sagt?
    Wood: Als britischer Diplomat ist es nicht meine Rolle, die Politik von Angela Merkel zu kritisieren. Wie ich schon erwähnt habe, ist die Lage anders. Weil wir auf einer Insel leben, betrifft diese Krise uns anders als hier auf dem Festland, wo es viel schwieriger ist, fast unmöglich ist vielleicht, die Grenzen völlig dicht zu machen oder zu kontrollieren, und deshalb sind die Herausforderungen hier anders.
    Detjen: Aber darf ich Sie noch einmal konfrontieren. Die Bundeskanzlerin hat im Sommer, als sie die Grenzen für die aus Ungarn Richtung Deutschland strömenden Flüchtlinge geöffnet hat, gesagt: 'Das ist ein moralischer Imperativ.' David Cameron hat gesagt: 'Großbritannien nimmt über die nächsten fünf Jahre 20.000 Flüchtlinge auf' – das sind 4.000 pro Jahr. Mancher deutsche Bürgermeister wäre froh, wenn er es mit solchen Zahlen zu tun hätte. Was ist die Moral Großbritanniens in dieser Angelegenheit?
    Wood: Für uns ist es moralisch richtig, so viel wie möglich zu tun, wie wir es leisten können, vor Ort in der Region und deshalb haben wir ganz viel Geld gegeben. Wir glauben, dass es auch nützlich wäre, wenn die Entwicklungshilfe der Europäischen Union mehr darauf fokussiert wird, die Länder in der Nähe der EU, die vielleicht instabil werden können, zu stabilisieren. Das wäre auch sehr nützlich.
    Detjen: Kann es dann auf einem Gipfel, auf den Angela Merkel mit der Forderung kommt, es müsse eine solidarische Lastenteilung bei der Aufnahme von Flüchtlingen geben, unter den Voraussetzungen, die Sie gerade geschildert haben, überhaupt einen Kompromiss geben?
    Wood: Für uns ist es sehr wichtig, dass die EU die Partnerschaft mit der Türkei verstärkt. An diesem Punkt sind wir, glaube ich, der gleichen Meinung wie Angela Merkel, wie die deutsche Regierung. Und wir glauben, dass es auch sehr wichtig ist, dass die Außengrenze der Schengenzone besser kontrolliert wird. Und wir sind immer dazu bereit, unsere bilaterale Hilfe dazu zu leisten. Und ich hoffe, dass die Verhandlungen in Brüssel so erfolgreich wie möglich sein werden.
    Detjen: Sir Sebastian, am Ende eine persönliche Frage. Sie sind erst seit ein paar Monaten britischer Botschafter hier in Berlin. Im Oktober sind sie aus China, aus Peking, das war ihr vorheriger Posten, in Berlin angekommen. Das Beste ist nach fünf Jahren Smog in Peking wahrscheinlich die Berliner Luft, oder?
    "Berlin ist die coolste Stadt der Welt"
    Wood: Ja, hier kann man atmen, das ist sehr wichtig. Mir fehlen einige Sachen des Lebens in China. Das Land ist besonders dynamisch und die jungen Leute sind, die Leute hier in Europa scheinen mir ein bisschen zynisch zu sein. Wenn man in China ist, findet man eine Art von Optimismus, was ganz erfrischend ist, würde ich sagen. Aber das kulturelle Leben hier in Europa ist mir vertraut. Als ich nach Deutschland kam hatte ich das Gefühl, dass ich wieder zu Hause bin. Und das Leben hier in Berlin finde ich besonders toll, wie viele Briten heute. Wie ich verstehe, kommen Zehntausende von jungen Leuten auch aus London, weil London so teuer geworden ist und Berlin jetzt die coolste Stadt der Welt geworden ist.
    Detjen: Wobei es erstaunlich ist, Herr Botschafter, wenn man Ihren Lebenslauf liest, mit vielen Stationen in Asien – Peking, Honkong, Macao –, dann sucht man vergeblich die Stationen in Berlin, in Bonn oder in britischen Konsulaten in Deutschland, bei denen Sie Ihr hervorragendes Deutsch erworben haben könnten. Die gab es nicht. Die Verbindung nach Deutschland geht in frühere Jugendjahre zurück.
    Wood: Ja, ich habe an der Schule Deutsch gelernt, als Schulkind. Und es gibt verschiedene Verbindungen. Mein Name ist Sebastian – Bach war der Lieblingskomponist meines Vaters und deshalb hat er mich nach Johann Sebastian Bach benannt. Und ich habe an der Universität auch Philosophie studiert und die Werke von Immanuel Kant haben mich sehr, sehr beeindruckt. Für mich ist die Kultur hier irgendwie vertraut und ich freue mich sehr, dass ich jetzt diese Möglichkeit habe, in Deutschland zu arbeiten.
    Detjen: Und ich danke Ihnen sehr, dass Sie dieses Gespräch auf Deutsch mit uns geführt haben, Herr Botschafter. Vielen Dank.
    Wood: Vielen Dank, auch für die Einladung.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Anmerkung der Redaktion: Wir haben in dem Einführungstext eine Formulierung geändert, weil sie eine Aussage des Botschafters nicht korrekt wiedergegeben hat. Außerdem haben wir eine Bildunterschrift geändert, in der es einen sinnenstellenden Tippfehler gab.