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Britta Haßelmann, Grüne
"Für Ungleichheit gibt es keine Rechtfertigung"

Der Kompromiss zur Lohngerechtigkeit von Männern und Frauen ist nach Ansicht der Grünen unzureichend. Die Pläne seien nur ein kleiner Schritt, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin Britta Haßelmann im Deutschlandfunk. Sie kritisierte vor allem die Regelung mit der Betriebsgröße.

07.10.2016
    Britta Haßelmann (Bündnis 90/Die Grünen) spricht am Rednerpult im Bundestag
    Britta Haßelmann (Bündnis 90/Die Grünen) (dpa / Monika Skolimowska)
    "Diesen Frauen gibt man das Signal: Ihr könnt einfach nach wie vor euch mit dieser Ungleichheit, dieser ungleichen Entlohnung bei gleichwertiger Arbeit abfinden. Und dafür gibt es keine Rechtfertigung", sagte Haßelmann. Das Thema sei noch lange nicht vom Tisch. Angesichts von Kritik aus den Reihen der Union zeigte sich die Grünen-Abgeordnete zudem skeptisch, ob die Pläne eine Mehrheit im Bundestag finden wird.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Britta Haßelmann von Bündnis 90/Die Grünen, sie ist dort erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion. Guten Morgen auch Ihnen, Frau Haßelmann!
    Britta Haßelmann: Guten Morgen, Herr Heckmann.
    Heckmann: Die Koalition einigt sich auf ein Entgelt-Gleichheitsgesetz, wie gerade gehört. Wie sehr ärgern Sie sich eigentlich, dass Union und SPD Ihnen wieder mal ein Thema weggenommen haben?
    Haßelmann: Ich ärgere mich darüber überhaupt nicht, denn wir sehen ja schon am ganzen Hin und Her, dass da jetzt wieder einmal viel Klein-Klein verabredet wurde. Das Thema ist sozusagen vor drei Jahren im Koalitionsvertrag vereinbart worden. Seit zehn Monaten liegt dieser Gesetzentwurf im Kanzleramt fest. Jetzt gibt es eine Verabredung nach langem Hin und Her. Da ist die Freude gedämpft, denn Sie haben ja in Ihrem Bericht darauf hingewiesen: Eine Regelung ist in Aussicht gestellt für Frauen in Betrieben ab 200 Mitarbeitern. Was ist mit den vielen Frauen in kleinen Betrieben? Wir wissen, dass viele Frauen gerade in kleineren Betrieben unterhalb von 200 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen arbeiten. Wenn Entgeltgleichheit, dann muss sie doch für alle Frauen gelten können und nicht erst ab einer Betriebsgröße von 200. Daran sehen Sie, dass das Thema längst nicht vom Tisch ist.
    "Es ist ein kleiner Schritt"
    Heckmann: Pardon, wenn ich da einhake. Man könnte ja auch sagen, man fängt mal klein an, und jetzt geht es erst mal um die Betriebe ab 200 Beschäftigten. Unternehmen ab 500 Beschäftigte, die müssen sogar auf gleiche Bezahlung hinarbeiten und darüber öffentlich auch berichten. Das ist doch besser als nichts, ein Einstieg.
    Haßelmann: Na klar ist es besser als nichts. Es ist ein kleiner Schritt. Dennoch muss man sich mit der Frage befassen, was ist mit den vielen Frauen, die in Betrieben arbeiten unterhalb von 200 Mitarbeitern. Denen gibt man das Signal: Sorry, das ist uns alles zu viel gewesen, ihr könnt einfach nach wie vor euch mit dieser Ungleichheit, dieser ungleichen Entlohnung bei gleichwertiger Arbeit abfinden. Und dafür gibt es keine Rechtfertigung. Frauen verdienen im Schnitt für gleichwertige Arbeit 22 Prozent weniger als Männer. Mit dem Grundsatz, dies ändern zu wollen und diese Ungleichheit nicht mehr anerkennen zu wollen, ist man gestartet und gelandet ist man jetzt da, wo wir gerade beschreiben.
    Außerdem ist vollkommen unklar, das zeigen die Reaktionen der Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU ja heute Morgen schon, ob das jetzt wirklich so auf den Weg gebracht ist. Da ist viel Klein-Klein. Natürlich ist es ein Schrittchen hin zu Entgeltgleichheit, aber gleichzeitig das Signal, Frauen müssen sich damit leider noch ein bisschen begnügen, wenn sie in einem Betrieb unterhalb von 200 Beschäftigten arbeiten.
    Heckmann: Aber ein Schrittchen, Frau Haßelmann, um da einzuhaken, den Sie unter Rot-Grün nie hingekriegt haben.
    Haßelmann: Klar. Wir hatten - und das war ja natürlich auch im Rückblick - im Hinblick auf die ganzen Selbstverpflichtungen mit der Wirtschaft in den verschiedenen Bereichen. Das hat nicht funktioniert, das kann man ganz selbstkritisch sagen. Deshalb haben wir uns immer dafür eingesetzt, dass es ein Entgelt-Gleichheitsgesetz gibt, dass es Vereinbarungen gibt mit Betrieben, und zwar nicht erst ab 200 Beschäftigten, dass wir die Tarifparteien dafür binnen fünf Jahren auffordern, alle Tarifverträge und Vertragsbeziehungen auf Diskriminierung hin zu untersuchen. Ich glaube, das wäre richtig und sinnvoll. Wir können jetzt einfach nur mal wieder abwarten, wie lange dieser Kompromiss, den man im Koalitionsausschuss gefunden hat, ob er sich denn dann wirklich im Gesetz umsetzt. Die ersten Stellungnahmen aus der Union verheißen da nichts Gutes. Wer weiß, wie lange dieser Gesetzentwurf jetzt dann wieder feststeckt, bevor er überhaupt das Parlament erreicht. Das kenn wir ja aus vielen anderen Fragen auch.
    Haßelmann: Entgeltgleichheit ist ein Attraktivitätsmerkmal für Betriebe
    Heckmann: Ihr Hauptkritikpunkt, Frau Haßelmann, ist angekommen. Ihnen reicht das nicht. Sie sind dafür, dass dieses Gesetz für alle Unternehmen gelten soll. Das ist aber mit erheblicher Bürokratie für die Unternehmen verbunden, oder wäre es. Wollen Sie die Konjunktur in Deutschland mit so etwas komplett abwürgen?
    Haßelmann: Nein, natürlich nicht. Wir wollen die Betriebe auch unterstützen darin, dass sie demnächst - wir wissen alle, wir kennen das Thema Fachkräftemangel - dass sie auch bereit sind und in der Lage sind, Frauen und Männer anzusprechen und sie gerne bei sich arbeiten lassen. Wir kennen doch genügend Beispiele, positive Beispiele, der Berliner Wasserbetrieb, der schon seit Jahren Entgeltgleichheit praktiziert. Fachkräfte zu finden scheint für die kein Problem zu sein, weil es attraktiv ist und hier attraktive Bedingungen angeboten werden für Frauen wie für Männer. Und ich glaube, dass wir hier die Wirtschaft und die Betriebe unterstützen können auf dem Weg zu sagen, das ist auch ein Attraktivitätsmerkmal, wenn klar ist, dass sie gleichwertige Arbeit auch gleichwertig entlohnen und hier keine Diskriminierung vorliegt.
    Heckmann: Wir laufen hier auf die Nachrichten zu, haben nur noch ungefähr 30 Sekunden Zeit, Frau Haßelmann. Trotzdem die Frage: Unterm Strich, was sagen Sie insgesamt zu den Beschlüssen des Koalitionsausschusses gestern?
    Haßelmann: Insgesamt wirklich viel Klein-Klein, im Vertagen nach wie vor ganz groß. Wenn ich an das Thema Begrenzung des Unterhaltsvorschusses denke: Große Ankündigung, dass das aufgehoben werden muss; leider nichts passiert. Oder wenn ich sehe, wie mutlos man im Hinblick auf den Majestätsbeleidigungs-Paragrafen war. Im nächsten Jahr will man mal darüber nachdenken, ob er abgeschafft wird. Das ist ein Relikt aus einer anderen Zeit und gehört dringend abgeschafft. Das wäre eine ganz kleine Maßnahme, der entsprechende Gesetzentwurf liegt schon vor. Ich verstehe nicht, warum man sich da auf das nächste Jahr vertagen muss.
    Heckmann: Die erste Parlamentarische Geschäftsführerin von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Britta Haßelmann war das live hier im Deutschlandfunk. Frau Haßelmann, danke für das Gespräch und Ihnen einen schönen Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.