Mittwoch, 24. April 2024

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Brittens "Death in Venice" in Bielefeld
Zwischen Liebe und Tod

Benjamin Britten ist wohl der einzige britische Komponist, der auf deutschen Opernbühnen wahrlich präsent ist. Nach den erfolgreichen Produktionen von "Peter Grimes" und "The Rape of Lucretia" hat das Stadttheater Bielefeld nun sein letztes Opernwerk im Programm: "Death in Venice" nach Thomas Manns Novelle "Der Tod in Venedig".

Von Martina Brandorff | 21.06.2016
    Der britische Komponist Benjamin Britten am 14. April 1953 in London
    Beliebter britischer Opernkomponist: Benjamin Britten (picture alliance / dpa / Central Press)
    Musik: "Death in Venice", Benjamin Britten
    "Natürlich treffen wir bei Benjamin Britten, der ja mit Peter Grimes liiert war, auf einen Komponisten, den das Thema "Homoerotik" in verschiedenen Werken sehr stark beschäftigt hat, also er hat es in "Peter Grimes" ja sehr unterdrückt, find ich, behandelt und hier wird es offener thematisiert, das ist mit Sicherheit der Fall."
    Es ist bereits die zweite Oper, die Nadja Loschky am Theater Bielefeld inszeniert: "Death in Venice" von Benjamin Britten. Das englischsprachige Werk nach Thomas Manns "Der Tod in Venedig" ist das letzte Werk des britischen Komponisten:
    "Ich finde das sehr wichtig, weil das im Geiste des Werkes sehr stark mitklingt, dieses permanente Bewusstsein des nahenden Todes und das hat uns auch in unserer Interpretation sehr stark interessiert."
    Musik: "Death in Venice", Benjamin Britten
    Drama zwischen Liebe und Tod
    Präsent ist der eigene Tod ist auch für den Protagonisten der Oper, Gustav von Aschenbach. Nach dem Tod seiner Frau befindet er sich in einer Schaffenskrise und beschließt, seine Heimatstadt für eine Weile zu verlassen. In der verklärten Lagunenstadt Venedig trifft er auf den jungen Polen Tadzio, der ihn mit seiner jugendlichen Schönheit verzaubert. Nach und nach entwickelt Aschenbach eine Obsession und befindet sich in einem Zwiespalt zwischen Lebensbejahung und Todessehnsucht.
    "Das sind zwei Kräfte, also einmal der Liebestrieb und dann der Todestrieb, die in einer Figur wirken. Also Eros wird tatsächlich benannt, also Aschenbach trifft diesen jungen Polen, bei uns ist er mit einem Tänzer besetzt, allgemein im Stück, und er bezeichnet ihn tatsächlich auch als "Eros", und dem haben wir eben dieses Gegenstück "Tannatos", das war für uns immer der Begriff, unter dem wir diesen Bariton, der in sieben kleinen bis großen, das zusammengefasst ist dann eben eine große Partie, auftaucht, und wir haben ihn unter dem Begriff "Tannatos" zusammengefasst, als eine Art Todesbote."
    Musik: "Death in Venice", Benjamin Britten
    Thomas Manns Vorlage entsprechend birgt der Sehnsuchtsort Venedig Mysterium und Desillusionierung zugleich. Doch selbst die Cholera schafft es nicht, den weltentrückten Aschenbach zur Abreise zu bewegen. Der junge Tadzio bleibt für ihn jedoch unerreichbar— auch auf der Opernbühne:
    "Da steht eine Figur auf einer Opernbühne und die singt nicht. In diesem Fall ist das ein Tänzer, der sich durch Bewegungen ausdrückt und allein dadurch ist es natürlich so, dass es zu keinem direkten Dialog kommt, zwischen dem Aschenbach und dem Tadzio, was ich ganz spannend finde, wenn man bedenkt, dass der eine von den beiden ein Mensch des Wortes, nämlich ein Schriftsteller ist, und das Gegenüber spricht nicht mit ihm."
    Musikalische Charakterisierungen
    "Ein ganz wichtiges Leitmotiv ist diese Klangfarbe vom Tadzio, von dem Jungen, immer wenn er erscheint, kommt dieses Vibraphon-Xylophongemisch, also mit Schlagzeug, mit vielen orientalischen Klängen, asiatischen exotischen Klängen, das ist sehr deutlich zu hören. Dadurch wird es vielleicht so ein bisschen unnahbar als Bild, so ein bisschen impressionistisch oder wie im Nebel, alles andere ist sehr diesseitig."
    Pawel Poplawaski ist der Dirigent der Inszenierung und erster Kapellmeister am Theater Bielefeld. Nach Mozarts Zauberflöte und Rossinis "La scala di seta" dirigiert er mit "Death in Venice" nun ein Werk des 20. Jahrhunderts. Stilistisch beschreitet Britten jedoch einen ganz eigenen Weg:
    "Britten ist ein Komponist, der als Komponist des 20. Jahrhunderts natürlich nicht an den modernen musikalischen Techniken vorbeigehen konnte, also er nimmt natürlich Aleatorik, Zwölftonmusik, alles in sich auf, ist aber im Grunde genommen, finde ich, ein klassischer Komponist, da er versucht, alles in eine Form zu bringen, die eigentlich schon 100 oder 200 Jahre vorher schon fast benutzt wurde, ganz klassische Motive, Leitmotivtechnik im Stil von Wagner, aber auch wirklich barocke Motive kommen drin vor, barocke Floskeln."
    Musik: "Death in Venice", Benjamin Britten
    Brittens komplexe, zugleich aber eingängige Melodien verflechten sich in schier unendlicher Zirkulation; doch nicht nur die Musik spiegelt Aschenbachs Zwangsneurose wider. Mit einer Drehbühne gelingt es Nadja Loschky, die kreisende Gedankenwelt des Schriftstellers nach außen zu tragen. Tadzio und der eigene Tod stehen dabei im Mittelpunkt— durch vereinheitlichte Kostüme und Masken wird die die Außenwelt Aschenbachs zur anonymen Masse.
    Mit sparsamen, aber wirkungsvollen Mitteln hat Nadja Loschky ein intensives Opernerlebnis geschaffen, in dessen Mittelpunkt die Frage nach dem wahren Sinn unseres Daseins steht. Der Realität muss letztendlich auch der Protagonist ins Auge blicken:
    "Der Tod ist von Anfang an im Raum, bei diesem Gustav von Aschenbach und letzten Endes greift er dann eben auch, also das was uns alle erwartet, das tritt hier am Ende auch ein und dementsprechend ist es kein lichter Opernschluss, wobei durchaus auch eine gewisse Form von Trost und Hoffnung da am Ende auch enthalten ist. Man hat dieses Aushauchen einer Seele, das ist hier sehr schön in Musik gefasst."