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Brodelnde Macht unter dem Eis

Geologie. - Feuer und Eis – von diesen zwei Elementen wird Island beherrscht, denn das Eiland liegt mitten auf dem mittelozeanischen Rücken, auf dem sich Vulkan an Vulkan reiht. Viele davon ruhen unter mehreren hundert Metern Gletschereis. Welche Folgen das haben kann, erörtern Experten auf der Atlantikinsel.

Von Monika Seynsche | 20.06.2006
    "Das erste, was Sie bemerken würden, wenn Sie an einem Fluss in einiger Distanz zum Vulkan stehen, wäre ein leichter Schwefelgeruch des Wassers. Und dann würden Sie sehen, dass der Wasserspiegel steigt und zwar immer schneller und schneller bis das ganze Tal überflutet ist und die Brücken fortgerissen werden."

    Der richtige Zeitpunkt, um sich aus dem Staub zu machen, denn was Garry Clarke von der kanadischen Universität von British Columbia beschreibt, ist ein Jökulhlaup – ein Gletscherlauf, bei dem vom Gletscher aufgestaute Wassermassen plötzlich den Staudamm aus Eis durchbrechen und talwärts stürzen. Die Wassermengen können von einem Fluss stammen, der vom Gletscher aufgestaut wurde, oder sie entstehen, wenn Eis im Kontakt mit warmer Erdoberfläche langsam schmilzt. Aber die stärksten Jökulhaups werden durch den Ausbruch eisbedeckter Vulkane ausgelöst. Die Hitze der Eruption lässt innerhalb kürzester Zeit riesige Mengen Gletschereis schmelzen: bis zu 100.000 Kubikmeter Wasser pro Sekunde bahnen sich ihren Weg aus dem Gletscher heraus und fließen damit etwa 50 mal so schnell wie der Rhein kurz vor seiner Mündung. Auf Island kommen solche Jökulhlaups regelmäßig vor. Welche Gefahren von ihnen ausgehen, untersucht Magnús Gudmundsson von der Universität von Island in Reykjavik.

    "Einer der gefährlichsten Vulkane Islands ist Katla im Süden der Insel, denn in der direkten Umgebung leben Menschen, so dass wir nach den ersten Anzeichen für einen Jökulhlaup höchstens zwei, drei Stunden Zeit haben, bis die Wassermassen kommen. Außerdem neigt Katla zu starken Eruptionen, bei denen sehr große Mengen Eis schmelzen. Dadurch bekommen wir diese katastrophalen Flutwellen, die vermutlich die größten sind, die es gegenwärtig auf der Erde gibt."

    Deswegen steht Katla seit sieben Jahren unter strengster Beobachtung. Aber es ist gar nicht so leicht, einen Vulkan im Auge zu behalten, der von einer mehrere hundert Meter dicken Eisschicht bedeckt ist. Mit Seismometern können Magnús Gudmundsson und seine Kollegen zwar jede Erschütterung des Bodens registrieren, aber das allein reicht noch nicht aus, um vorhersagen zu können, ob ein Vulkanausbruch kurz bevor steht und vor allem an welcher Stelle ein Jökulhlaup aus dem Eis brechen wird. Deshalb fliegen die Forscher zweimal im Jahr über den Gletscher, vermessen mit Radar und GPS-Geräten die Oberfläche und suchen nach verräterischen Senken im Eis. Dort könnte Wasser an der Unterseite des Gletschers geschmolzen sein, so dass das darüber liegende Eis nachgesackt ist.

    "Außerdem haben wir Messstationen in den Gletscherflüssen aufgestellt, die den Wasserstand sowie die Temperatur und die elektrische Leitfähigkeit des Wassers messen. Aus einem Anstieg der elektrischen Leitfähigkeit können wir auf erhöhte vulkanische Aktivität schließen."

    Und genau die hat zwischen 2001 und 2004 deutlich zugenommen. Der Vulkankrater hat sich aufgebläht und Bodenerschütterungen haben zugenommen. Seit einem Jahr herrscht Ruhe. Aber Magnús Gudmundsson ist auf der Hut. Denn das letzte Mal, dass ein isländischer Vulkan für Schlagzeilen sorgte, ist noch gar nicht so lange her. Im Herbst 1996 brach unter dem größten Gletscher des Landes, dem Vatnajökull, ein Vulkan aus und sorgte für einen gewaltigen Jökulhlaup, der weite Teile des Südostens Islands überflutete und Teile der Hauptverkehrsstraße der Insel wegriss. Die Region um den Vatnajökull ist unbesiedelt - ganz anders als das Gebiet um den von Gudmundsson und seinen Kollegen beobachteten Katla.

    "Sollten wir regelmäßige heftige Erdbeben alle zwei oder drei Minuten registrieren, zusammen mit Erschütterungen, die darauf hindeuten, dass Magma fließt und das Ganze eine halbe Stunde andauert, dann würden wir mit der Evakuierung beginnen."