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Bröckelnde Kanalisation

Es bröckelt, leckt und tropft - unsere Wasser- und Abwassersysteme sind in die Jahre gekommen. Die Folge: Den Städten und Gemeinden horrende hohe Kosten für die Instandhaltung. Was bedeutet das für die Verbraucher?

Von Michael Watzke |
    Trinkwasser ist in Deutschland so sauber wie in kaum einem anderen Land der Erde. Die Abwasser-Technik ist nirgendwo auf der Welt so weit fortgeschritten wie hier. Etwa in Hamburg, der Stadt mit der ersten Kanalisation der Welt. Seit der großen Cholera-Epidemie von 1860 gibt es hier ein Abwasser-System. Es gilt bis heute als vorbildlich, weil die Stadt Hamburg viel Geld in ihre Siele und Rohre steckt, sagt Michael Beckereit, Geschäftsführer von "Hamburg Wasser":

    "Wir investieren größenordnungsmäßig 140 Millionen Euro pro Jahr. Und wir tun das im Wesentlichen im Rohrnetz, um die Leitungen nicht überaltern zu lassen. Denn wir haben ein durchschnittliches Alter von 40 bis 50 Jahren von Trinkwasser- und Abwasser-Leitungen. Und wenn man die nicht saniert, dann werden die immer älter, und dann hat man irgendwann den Punkt, wo die entsprechenden Probleme auftreten."

    Das ist vor allem Abwasser, das mit zu viel Energie gepumpt werden muss. Und Trinkwasser-Schwund. In Hamburg etwa versickern 4 Prozent des sauberen Wassers im Boden. Das ist wenig im Vergleich mit anderen europäischer Metropolen. In Paris sind es 22 Prozent. Der deutsche Durchschnitt liegt bei 8 Prozent Trinkwasser-Schwund. Er entsteht vor allem durch zu alte und undichte Rohre:

    "Drucksprünge und Druckstöße sind tödlich und führen zu Rohrbrüchen. Die muss man vermeiden, und das geht nur durch Investitionen in die Einzelrohre."

    Dieser Investitionsbedarf wird bald stark ansteigen, sagen Klimaforscher. Denn der Klimawandel sorgt in Deutschland immer häufiger für Starkregen-Ereignisse. Dafür sind die Kanalnetze und Kläranlagen vieler Kommunen nicht ausgelegt, sagt eine aktuelle Klimawandel-Studie der Bayerischen Landesbank. Jörg Widemann, Nachhaltigkeits-Experte der BayernLB, geht davon aus, dass auf die deutschen Kommunen zusätzliche Investitionen in Milliardenhöhe zukommen.

    "Das muss in die Planung mit einfließen. Bis dato ist das noch nicht erfolgt. Und das ist insbesondere für die Abwasser-Wirtschaft interessant, weil solche Infrastruktur-Projekte in der Regel Investitionszyklen von mehreren Jahrzehnten haben. Und das ist eine Größenkategorie, wo der Klimawandel voll zum Tragen kommen wird. Das sind Themen, wo wir, glaube ich, diesen Impuls geben müssen, wo das Thema noch nicht so angekommen ist."

    Das bestätigt auch Gottlieb Hupfer. Er ist Abwasser-Anlagen-Unternehmer und im Verband der deutschen Maschinen- und Anlagenbauer, VDMA. Er drängt die Kommunen zu verstärkten Investitionen:

    "Die Anlagen sind häufig in der 60er-, 70er-Jahren errichtet worden. Jetzt erreichen sie ihre Altersgrenze. Sie müssen renoviert und modernisiert werden. Das kostet Geld, und da wird in den letzten Jahren zu wenig investiert. Der Bedarf wird steigen. Es ist wie bei den Brücken auf den Autobahnen. Die fangen jetzt auch schon an zu bröckeln, und die stammen aus einer ähnlichen Zeit."

    Doch der Vergleich mit den Autobahn-Brücken hinkt. Für die sind nämlich Bund und Länder zuständig. Die Kanalisation jedoch ist Sache der Kommunen. Und jede Gemeinde hat andere Probleme. Im Osten herrschen vielfach Überkapazitäten, weil die Bevölkerung schrumpft. Im Westen laufen viele Kläranlagen und Wasserrohre an der oberen Belastungsgrenze. Durch immer mehr Starkregenfälle und Hochwasser verschärft sich die Situation. In Hamburg geht man deshalb neue Wege. Es kann nicht die Lösung sein, immer größere Rohre zu bauen, sagt Michael Beckereit von "Hamburg Wasser":

    "Das kann man sich auf die Dauer nicht leisten. Also haben wir ein Projekt gemeinsam mit der Stadt gestartet. Das heißt "Regen, Klima, Infrastruktur", bei dem wir versuchen, das Regenwasser in der Fläche zu behalten, sprich: vermehrt Versickerung zu betreiben, die Bevölkerung und die Hausbesitzer dazu aufzufordern, dass sie ihre Regenrohre von der Kanalisation abkoppeln und das Wasser versickern lassen oder in Gewässer einleiten."

    Und trotzdem – die Kommunen werden viel zusätzliches Geld brauchen. Geld, das die meisten nicht haben.