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Bröckelndes Denkmal

Technik. - Bereits acht Monate nach der Eröffnung des Berliner Holocaust-Denkmals im Mai 2005 hatten sich bei 13 der insgesamt 2711 Betonstelen Risse gebildet, bis heute sind bereits 400 Stelen betroffen. Der Hersteller sowie unabhängige Experten konnten bislang die Ursache nicht ausmachen.

Von Michael Engel | 09.08.2007
    Der Beton für das Holocaust-Denkmal in Berlin ist eine Spezialentwicklung. Der Baustoff enthält sehr wenig Wasser, dafür um so mehr feinkristalline Mineralstoffe. Auf diese Weise verdichtet sich der Beton beim Aushärten: Poren bleiben mikroskopisch klein - die Oberfläche erscheint dadurch glatt und glänzend. Solche extrem harten Betonmixturen, so Professor Ludger Lohaus, Leiter des Instituts für Baustoffe der Universität Hannover, neigen allerdings verstärkt zur Rissbildung:

    "Die Gefahr der Rissbildung steigt mit zunehmender Festigkeit und Dichtigkeit des Betons. Man braucht – für das Aussehen – einen sehr dichten Beton, in den nicht Wasser eindringt wie in einen Schwamm, sonst bekommen wir diese unschönen Kalkausblühungen. Das heißt, man hat einen sehr dichten Beton und der neigt etwas stärker zur Rissbildung als ein normaler Beton."

    Nicht der Frost, wie häufig vermutet, ist die treibende Kraft für die Rissbildung, sondern die Temperatur schlechthin, sagt der Experte. Außen warm – innen kalt: Unterschiedliche Temperaturen dehnen das Material unterschiedlich aus. So entstehen innere Spannungen, die zu meterlangen Rissen führen.

    "Wenn wir hier mehr als 2700 Stelen haben, dann sind das eigentlich 2700 verschiedene Bauwerke. Die sind ja alle etwas unterschiedlich geformt. Die sind alle unterschiedlich von der Sonne beschienen, die sind unterschiedlich abgeschattet, die haben alle unterschiedliche Beanspruchungszustände aus Temperatur, Feuchte, Gewitter, Regen, Frosteinwirkungen und so weiter. Wenn man jetzt für jede dieser Stelen eine eigene Berechnung sehr genau hätte durchführen wollen, dann wären diese Kosten immens groß gewesen."

    Auch normaler Beton, für den Haus- oder Brückenbau verwendet, neigt zur Rissbildung. In den meisten Fällen sind die Risse aber nicht sichtbar, weil Baubeton mit seinen groben Poren die haarfeinen Strukturen überdeckt. Anders ist die Situation, wenn der Beton eine glatte Oberfläche hat. Hier fallen selbst winzig kleine Risse mit bloßem Auge auf:

    "Bei einem normalen Betonbauwerk dürfen ganz normal Risse auftreten. Ein Riss bedeutet noch lange keinen Mangel an einem Betonbauwerk, so dass die Betonfachleute eigentlich immer von "gerissenen Bauweisen" ausgehen. Wenn solche Risse in Kunstobjekten auftreten, wo es um die Schönheit geht, dann sind sie problematisch, weil das optische Erscheinungsbild stark beeinträchtigt wird."

    Auch wenn die Risse durch einzelne Stelen vermutlich komplett hindurch gehen, sei die Stabilität nicht beeinträchtigt. Baumängel seitens der Herstellerfirma kann der Betonexperte nicht erkennen. Und diese Befunde decken sich auch mit der Untersuchung von Experten aus Berlin und Karlsruhe, die zwei der defekten Stelen genauer unter die Lupe nahmen. Die Risse jetzt aber mit Kunststoff zu verpressen, wie vom Hersteller angeboten, davon hält Professor Lohaus aus Hannover wenig.

    "Also ich würde die Risse erst dann instand setzen, wenn ich genau wüsste, woher sie gekommen sind. Wenn wir es nun mit immer wiederkehrenden Belastungssituationen aus Temperatur, Frost, Sonneneinstrahlung, Gewitter, Regen und so weiter zu tun haben, dann muss man halt erwarten, dass ähnliche Risse wieder auftauchen. Und dann ist es die Frage: Was bringt eine solche Sanierung?"