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Bronzebaum bei Kindern besonders beliebt

Gerade war Halbzeit bei der 13. documenta in Kassel. Und diese ist nicht nur eine riesige Ausstellung für Kunstbeflissene, sondern auch ein Ausflugsziel für die gesamte Familie samt Kinder.

Von Jessica Sturmberg |
    Es ist so richtig Sommer in Kassel, blauer Himmel, in der barocken Parkanlage am Schloss, in der Karlsaue, spenden hohe Bäume angenehm kühlen Schatten.

    Wer am Rand des Parks einen der wenigen kostenlosen Parkplätze bekommen hat, beginnt seinen Kulturspaziergang genau hier. Und kann sich schon nach wenigen Metern aus der deutschen Hochsommeridylle direkt in indische und arabische Hafenwelten hineinbegeben.

    In einem Pavillon hat die Künstlergruppe CAMP Filmsequenzen von Seeleuten aufbereitet, ein kapitalismuskritisches Filmtagebuch ihres harten und für die meisten Besucher wohl völlig fremden und teils wüsten Alltags auf dem Wasser.

    Draußen wieder der Charme der gepflegten Parkanlage mit den Wassergräben in streng-geometrischer Anordnung. Nicht weit davon sind die Niederungen der Fulda, inklusive einer der vielen älteren documenta-Hinterlassenschaften, der Spitzhacke von Claes Oldenburg. Kassel ist reich an solchen Kunsterbschaften.

    Aktuell lädt der "Doing-Nothing-Garden" des Pekinger Künstlers Song Dong im weitläufigen Vorgarten des Schlosses zum Verweilen oder Diskutieren ein.

    Dass es sich bei dem grasbewachsenen Hang eigentlich um einen Müllhügel handelt, erkennt man erst bei genauem Hinsehen oder der Lektüre des documenta-Begleitbuches.

    Schon am frühen Mittag packen Familien im Park ihre Picknickkörbe aus um ein bisschen Pause zu machen, im Begleitband nachzuschlagen oder das Treiben zu genießen und die Kinder frei laufen zu lassen.

    "Wir sind durch den ganzen Park geradelt. Man hat einen riesigen Radius. Man hat viel mehr Möglichkeiten, Dinge zu entdecken, als zu Fuß."

    Erzählt ein frohgelauntes Pärchen, das die Kunstwerke im Park mit Leihrädern erarbeitet hat.

    "- "50 Cent die halbe Stunde, für den ganzen Tag kostet es zehn Euro. Zwei Stunden, die wir hatten, oder eineinhalb."
    - "Sie können überall anhalten, jederzeit gucken. Sie können sich Zeit nehmen, sie können unterbrechen, so wie sie Lust haben. Und wenn sie fertig sind, bringen sie das Fahrrad an die Basisstation zurück.""

    Populär, weil kurios, der nahezu echt anmutende Bronzebaum mit einem großen Granitstein in der Baumkrone. Für Kinder eines der beliebtesten Objekte, weil es in der Natur steht, gleichermaßen die Fantasie anregt und Fragen aufwirft.

    Über Treppen geht es hinauf Richtung documenta-Halle und Fridericianum, dem Hauptgebäude. Kinder sind bei der documenta willkommen, eingeladen, die Kunst auf ihre Weise zu entdecken.

    "Das ist hier das Studio D13, das ist das Kinder- und Jugendprogramm. Und das Konzept ist, dass wir dir Künstler oder documenta-Teilnehmer aufgefordert haben, uns irgendetwas herzugeben für das Kinder- und Jugendprogramm. Man sieht hier Regale und in jeder Kiste steckt irgendwas, was ein Künstler hergegeben hat. Also, das kann sein ein Objekt, eine Handlungsanweisung, ein Satz, ein Gedanke, ein Lied. Und sie sehen, die Kinder sind jetzt gerade dabei, die Kisten zu entdecken und zu schauen, was sie wollen, wo es sie hinzieht und wir werden uns dann ein paar Kisten aussuchen und die Mehrheit wird entscheiden, wohin die Reise geht. Also es ist ganz ergebnisoffen."

    Erklärt Kunstwissenschaftlerin Sarah Hossein, eine von zwölf Kunstvermittlern im Kinder- und Jugendprogramm der documenta.
    Studio D13 ist ein lichtdurchflutetes, großes Atelier, so groß wie eine Turnhalle. Gleich hinter dem Fridericianum. Jedes Wochenende stehen die Türen im Studio D13 offen, in der Woche nur für angemeldete Gruppen.
    Zwei Mal am Tag wird den Kindern das dreistündige Programm für einen Beitrag von zehn Euro angeboten. Es richtet sich an sechs- bis 16-Jährige, manchmal sind auch schon Jüngere dabei.

    "Auf den ersten Blick denkt man sich: Das haut nicht hin. Aber das hat dann doch auch wieder einen schönen Effekt, weil sich dann alle aneinander anpassen und man dann doch zusammen ein Programm macht. Hallo, da kommen noch zwei Kinder?"


    "Ja, ich hätte noch zwei."

    Christiane Gar bringt ihren siebenjährigen Sohn Falk und dessen Freundin Ela schon zum zweiten Mal hierher.

    "Also in der vergangenen Woche, das war sehr interessant. Da hatten sie einen speziellen Künstler, den sie sich angeguckt haben im Fridericianum. Die haben was über das Land erfahren, wo der Künstler herkam, über den Künstler selber, warum er was macht. Und dann haben die selber versucht, umzusetzen. Und ich glaube, das ist immer noch so eine ganz innere Erfahrung, etwas zum Ausdruck zu bringen."

    Für Christiane Gar ist es schon die vierte documenta. Sie freut sich nicht nur, dass sie nun ein paar Stunden Zeit für die Kunst hat, sondern auch, dass ihr Sohn sich derweil auch mit Kunst beschäftigt.

    "In der Orangerie gibt es so einen Raum, wo man durch Berührung von so Metallknubbeln Töne erzeugen kann, es müssen fünf Leute berühren und sich dann berühren und dann entstehen unterschiedliche Töne. Für Kinder ist das der Spaß schlechthin. Für die ist überhaupt nicht die Frage, ob das Kunst ist: Klar ist das Kunst."

    Das Infrage-Stellen gehört aber gewiss auch immer dazu. Etwa beim linken Erdgeschossflügel des Fridericianums, in dem nur eine Vitrine steht. Darin: ein Entschuldigungsschreiben des Künstlers Kai Althoff, warum er nichts zur documenta beitragen kann. Der riesige Raum bleibt leer und luftig, Wind aus einer Windmaschine, sonst nichts.

    "-Frau: "Das sind doch die Lufträume"
    - Mann: "Jajaja"
    - Anderer Mann: "Das ist Kunst, ne?"
    - "Normale Klimaanlage ist dann Kunst. Toll!"
    - (Geht durcheinander) Frau: "Wenn man sich überlegt, was das Ganze kostet hier!"
    - Mann parallel: "Die Verarschung wird immer unverschämter hier."
    - Frau: "Der Eintritt, wie viel das ist. Da packt man sich ..."
    - Mann: "Kunst war immer ein raffiniertes, das Volk verarschende Wirtschaftsunternehmen."
    - Frage: "Aber warum bezahlen sie denn dann?
    - Mann: "Weil ich mal wissen will, wie verarscht mir hier das werden.""

    Und dann lachen sie doch ein bisschen über sich selbst, in einer Mischung aus Selbstironie und echter Empörung. Aber auch der Vater von Anna und Moira aus Frankfurt hat seine Mühe, das seinen Kindern zu erklären:

    "Wir haben noch nicht so viel gesehen, nur weiße Räume."

    Vater: "Wir sind gerade erst am Anfang, wir sind uns am orientieren. Ich habe versucht, was zu sagen, aber letztendlich laufen die rum und gucken. Man kann sowieso nicht alles aufnehmen, das muss ansprechen. Und dann hoffe ich, dass es für die Kinder auch interessant ist. Die zwei sind Neun und Zehn, die Kleine ist Eineinhalb und dann haben wir noch einen Großen, der ist 18, der läuft hier selbstständig rum."

    Bis hoch oben zum Kulturbahnhof wird die Familie an diesem Tag wahrscheinlich nicht laufen. Der Weg ist mit drei Kindern im Schlepptau doch zu weit. Lohnenswert ist er vor allem für diejenigen, die sich in der Kunst gerne mit sehr drängenden politischen Themen wie dem Syrien-Konflikt auseinandersetzen.

    Handykamera kontra scharfe Waffen – es ist unter anderem harte Kost, die in den abgedunkelten Räumen ausgestellt wird. Ganz im Kontrast zur wärmenden Sonne in der Karlsaue, in der der Spaziergang begann und auch wieder enden soll. Und wo übrigens noch ein Kontrast ganz anderer Art zu finden ist: die äußerlich rein technisch angelegte und doch hochpolitische Videoinstallation des Finnen Mika Taanila in einem Seitenflügel der Orangerie. Es geht um den Atomkraftwerksbau in der südwestfinnischen Stadt Eurajoki. Ohne Kommentare, reduziert auf eine hochauflösende Dokumentation. Und doch mit einem "Kalten-Schauer-Effekt".