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"Brot und Spiele"

Das WM-Fieber treibt viele Blüten. Deutschland leistet sich zur WM das aufwändigste und teuerste Kulturprogramm, das es je gab. Davon sind etliche Veranstaltungen im engeren Sinne Tanz, Theater und Performance-Kunst. Und so ziemlich jedes deutsche Stadttheater hat in dieser Saison ein Fußball-Stück im Programm. Eine richtige Uraufführung gab es am Schauspiel Düsseldorf: Zehn richtige Fußballszenen von zehn prominenten deutschen Autoren.

Von Dorothea Marcus |
    Was haben Theater und Fußball nicht alles gemeinsam, auch wenn vor einem halben Jahr noch ein Wirtschaftsforscher die viel besser besuchten Fußballstadien gegenüber den hochsubventionierten deutschen Theaterbühnen ausspielen wollte. Beide haben Zuschauer, eine Live-Situation, die Halbzeitpause, und von den erzeugten Emotionen ganz zu schweigen - und außerdem denke man nur an die wuchtige Tragödie von antiken Ausmaßen, in der Oliver Kahn gegen Jens Lehmann ausgespielt wurde.

    Am Düsseldorfer Schauspielhaus, ausgestattet mit Mini-Stadionlampen und einer rudimentären Tribüne, kommen die Torwarttitanen ebenfalls vor: Jens Lehmann lässt sich mit Oliver Kahn-Maske bei der puppigen Prostituierten Ronalda mit Tornetzstrümpfen auf seine größte Prüfung vorbereiten: seine Vereinigung mit Deutschland. Bälle anfassen, Klosenamen, Freistöße. Albert Ostermeier lässt in "Eins mit der Eins" keinen zotigen Kalauer aus. Auch Feridun Zaimoglu spult sein übliches Sketchprogramm der landesüblichen deutsch-türkischen Vorurteile ab, wenn die beiden Nationalmannschaften nach dem Freundschaftsspiel bei der Pressekonferenz aneinander geraten:
    Es ist schon amüsant, wenn aufbrausende schnauzbärtige Schwarzhaarige mit ihren Gebetsketten schlackern und Verschwörungstheorien verbreiten, während sprachlich etwas minderbemittelte bayrisch-polnische Jungfußballstars ihrem latenten Rassismus frönen, quasi ein Abbild des weltweit herrschenden Kulturkampfs. Oder wenn Moritz Rinke "Gotto" Rehagel, "Kaiser" Franz und den übereifrigen Lothar mit blondierten Gefährtinnen übereinander lästern lässt. Oder wenn bei Rebekka Kricheldorf die schwer beschäftigten Huren der WM, aus Russland eingeflogen, als geklonte Transvestiten mit Pelzmänteln und Goldstiefelchen über die von den Gemeinden gestifteten sexuellen Verrichtungsboxen philosophieren: auch das Animalische wird in Deutschland eben gerne verbeamtet, während die Angstlust am Fremden fürchterliche Blüten treibt.

    Garniert mit flotter Musik von Tom Oswald, einem Chorensemble und einer flotten WM-Band hat der Düsseldorfer Hausregisseur Burkhard C. Kosminski aus den zehn Szenen eine unterhaltsam-seichte Sketch- und Nummernrevue gemacht. Doch da Fußball bekanntlich nicht nur gut als Theater-, sondern noch viel besser als Weltmetapher taugt, ist man irgendwie enttäuscht von der bodenständigen Heiterkeit des Abends, in der man sich in erster Linie über Deutschland lustig macht. Franz Xaver Kroetz erklärt in "Keiner flog übers Stadion" gleich die ganze Bundesrepublik zur Anstalt, die am Saugnapf des Fernsehens hängt und den armen Sebastian Deisler als Gummipuppe in ihrer Mitte aufgenommen hat. Wenn der Regisseur die Szene nicht bis zur Unverständlichkeit versketcht hätte, würde man hier möglicherweise eine Ahnung bekommen vom Zusammenhang zwischen Scheitern und Erfolg und vom Fußballrausch, der die Sinne öffnet und gleich wieder verklebt. Andere Szenen haben durchaus poetisches Potential: Marius von Mayenburg lässt drei alte Männer vom Fußball träumen, Fritz Kater beleuchtet, wie nah beieinander im Fußball Euphorie und abgrundtiefe Trauer liegen, Herbert Achternbusch lässt einen einsamen alten Mann über seinen Tod bei der WM reflektieren - mit einem Fußball soll seine Asche die Isar hinabtreiben. Doch vom Regisseur werden sie gnadenlos in seinen Kabarettreigen gezwungen.

    Natürlich ist es schwer, aus zehn völlig heterogenen Szenen einen runden Abend herzustellen, an dem über die Weltmetapher Fußball auf dem Theater nachgedacht wird - aber das Ergebnis ist bei allem betriebenen Aufwand doch etwas dürftig und lotet die Seelenextreme und Theaterdramen, die dem Fußball innewohnen, bei weitem nicht aus. Oder ist es vielleicht gerade deshalb repräsentativ?