Freitag, 19. April 2024

Archiv


Brot und Spiele in Berkeley

Bingo und Imbissbuden haben beide nicht den besten Ruf. Beim Bingo spielen Speisen eines Imbisswagens zu verzehren, scheint eine denkbar schlechte Idee zu sein. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall - zumindest in Berkeley, Kalifornien. Hier hat ein 29-jähriger Hobbykoch Wagemutige eingeladen - zum Bingo-Brunch in Berkeley.

Von Anne Raith | 25.10.2011
    "Hi, I'm Michael, nice to meet you."
    Die lange Tafel in der auf zwei Seiten offenen Fabrikhalle ist gedeckt. Rings herum warten acht Köche auf ihren Einsatz. Sie alle sind normalerweise so etwas wie fahrende Händler, die ihre japanischen Reiskuchen oder mexikanischen Tacos vormittags auf Märkten anbieten - oder zur Mittagszeit in den geschäftigen Bürovierteln der Region oder abends hungrigen Nachtschwärmern.

    Mit traditionellen Imbisswagen haben ihre food carts allerdings wenig zu tun - den Hobbygastronomen geht es um die Freude am Experimentieren, um die Lust an der Zubereitung, den Austausch mit den Kunden. Hinter jedem food cart steckt eine eigene Geschichte, sagt Organisator Michael Davidson, der selbst als GrilledCheezGuy in und um Berkeley unterwegs ist:

    "Ich mache das jetzt seit zwei Jahren und bin ziemlich bekannt. Die Leute müssen manchmal 30 Minuten für eines meiner gegrillten Käsesandwiches anstehen. Also hab ich mir gedacht: Wenn wir eine Reihe von food carts zusammenbringen, können die Leute alles probieren, sie müssen nicht Schlange stehen, können mit den Verkäufern reden. Es ist einfach persönlicher."

    Damit die 30 Gäste auch wirklich mit den Köchen und miteinander ins Gespräch kommen, wird an diesem Sonntag in Berkeley Bingo gespielt. Allein zu versuchen, die Regeln zu verstehen, schweißt zusammen. Michael Davidson schlappt Richtung Lostrommel:

    "You're first number is B9, B9 would be the top left corner."
    Die Kombination aus Buchstabe und Zahl zeigt den Gästen auf ihrem Bingozettel, welchen food cart sie ansteuern, mit welchem Gang sie ihren Brunch beginnen sollen. Eine Handvoll von ihnen landet in der ersten Runde gemeinsam bei Linda Lo.

    In der Pfanne vor der jungen Frau brutzeln selbstgemachte Mochi, klebrige japanische Reiskuchen. Zumindest als Dessert sind sie in Linda Los Heimat Tradition:

    "Ich war vor drei Jahren in Japan, dort wurden in jeder U-Bahn-Station süße Mochi verkauft. An einem Tag hab ich bestimmt 20 bis 25 probiert. Zurück zu Hause wollte ich meine eigenen Mochi kreieren, aber mit anderen Füllungen. Erst dieses Jahr habe ich den mit Frühstücksspeck umwickelten Mochi erfunden."

    Auch Julia Lazar hat in den vergangenen Jahren viel experimentiert. Die gebürtige Österreicherin serviert wenige Meter weiter Kombucha, ein gäriges Getränk auf Teebasis:
    "Ich habe Kombucha zum ersten Mal in den 1980er-Jahren probiert, als der Trend aus Tibet kam und ich konnte überhaupt nicht glauben, wie gut das schmeckt. Und ich wusste, dass ich es selber machen kann - und das habe ich getan!"

    Im Moment werkelt sie noch zu Hause, bis sie die Lizenz für ihre Mikrobrauerei in der Tasche hat.

    "This is jasmine and orange blossom."

    Zwei Sorten gibt es heute: Jasmin und Orangenblüte oder Granatapfel Limone. Peter Perez rollt verzückt mit den Augen. Erst der Bacon-Mochi und nun das. Er ist hin und weg. Wie sein Freund, Peter Repetti:

    Perez: "Ich bin eigentlich nicht der Typ, der unbedingt Kombucha trinken würde. Aber dieser hier ist so gut."

    Repetti: "Den würde ich auf jeden Fall kaufen."

    Perez: "Ja, den würde ich kaufen!"

    Alfonso Dominguez sind exotische Rezepte und sonstiges Chichi fremd. Er lehnt lässig an seinem gelben Fahrrad. Seit drei Monaten kurvt der Mexikaner mit dem ElTacoBike durch das nahe gelegene Oakland - von morgens bis abends. Vom ersten Frühstücksburrito bis zum letzten nächtlichen Taco:

    "Dieses Fahrrad ist in Mexiko gefertigt worden. Wir sind ja so etwas wie Pioniere auf dem Gebiet. Vorne hat es zwei und hinten ein Rad. Hier vorne in den Schalen sind die Zutaten, dann habe ich hier noch eine Spüle und hinten einen kleinen Tisch, an dem man essen kann, mit Serviettenspender und Mülleimer. Es ist also alles dran."

    Er greift nach einem runden Brötchen, die nächste Bingozahl hat neue Gäste angespült. Sein Beitrag zum Brunch ist: pragmatisch.

    "This is like hangover food. It's supposed to wake your sensories back up."

    Kateressen nennt er sein mexikanisches Sandwich mit Rührei, Zwiebeln, Tomaten und Chili. Das mache wieder munter, nach einer durchzechten Nacht, erzählt er heute mehr als einmal. Die Herausforderung dieses Brunches ist nicht, ins Gespräch zu kommen, sondern nach einer von Dominguez' Tortas noch ein Pflaumentörtchen und eine Portion Brotpudding zu verdrücken. Und den Überblick zu behalten.

    Denn die Sache mit dem Bingo ist irgendwie ein bisschen außer Kontrolle geraten: Bingo, wohin das Auge blickt. Michael Davidson kommt mit dem verteilen der Gewinne kaum hinterher. Peter Perez und Peter Repetti tauschen verschwörerische Blicke aus:

    Perez: "Diese Bingo-Geschichte ist von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen. Und wir waren auf katholischen Schulen, da wurde oft Bingo gespielt."

    Repetti: "Wir sind also so etwas wie Experten und wussten: Da ist ein Problem."

    Denn wenn die Zahlen und Buchstaben, die nacheinander ausgerufen werden, auf fast allen Zetteln gleich sind, musste es - nach Expertenmeinung - zwangsläufig zum Massenbingo kommen. Aber irgendwie war das an diesem leicht chaotischen Vormittag ohnehin Nebensache, schließlich wurde das Gruppenziel erreicht. Sagen selbst Peter Perez und Peter Repetti:
    Repetti: "Es hat Spaß gemacht. Eine gute Idee."

    Perez: "Ja, eine süße Idee!"