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Brüchig gewordener Traum

Dass zwischen dem Anspruch von allgemeingültigen Rechten für alle Menschen und einer Realität aus Abschiebung und Ungleichheit Welten liegen, zeigen 16 Künstler aus aller Welt in der Ausstellung "El Dorado" in Nürnberg. Sie entwerfen Denkbilder für das Auseinanderklaffen von großer völkerverbindender Idee und täglicher erbärmlicher Praxis.

Von Gabriele Mayer |
    Mit den Menschenrechtsverletzungen verhält es sich wie mit Bildern auf großen Plakatwänden: Man erkennt sie immer nur von der anderen Straßenseite aus, so die Autorin Juli Zeh. Böse sind stets die anderen. Die Suche nach dem Heil kann heillos sein, in Selbstgerechtigkeit und Gewalt ausarten. Vielleicht hilft, wenn die Verständigung über das scheinbar Selbstverständliche abbricht und die blutige ultima ratio, natürlich im Namen der Menschenrechte, weltweit das Regime übernimmt, nur noch die Kunst.

    In der Nürnberger Kunsthalle machen sich derzeit in einer bemerkenswerten Ausstellung 16 Künstlerinnen und Künstler aus unterschiedlichen Kulturen auf die Suche nach "El Dorado". Der Untertitel konkretisiert, worum es gehen soll: "Das Versprechen der Menschenrechte". Bedenklich stimmen kann freilich, dass sich das mythische Gold- und Glücksland einst als tückische Fata Morgana erwies, das die Menschen, die nach ihm suchten, in den Wahnsinn trieb. Sollte sich auch das Projekt der Menschenrechte am Ende als utopisch, als ort- und haltlos erweisen: eine Chimäre, die im Meer versinkt?

    Ganz so weit würde der Peruaner Jota Castro wohl nicht gehen, aber er zeigt in einer fragilen Installation, wie gefährdet der Wunsch nach einem menschenwürdigen Dasein ist. 3700 Papierboote liegen dicht gedrängt auf dem Steinboden der Kunsthalle, Symbole für die permanent vom Absaufen bedrohte Völkerwanderung ins längst brüchig gewordene Wirtschaftswunder-El Dorado, Denkbilder für das Auseinanderklaffen von großer völkerverbindender Idee und täglicher erbärmlicher Praxis.

    Die Kunst legt mit ihren Mitteln - der Montage, der Verfremdung und Verschiebung, der De- und Rekontextualisierung - Zeugnis ab vom Zustand der Menschheit. Die im Schatten sieht man nicht! Und die Dritte-Welt-Verlorenheit beginnt oft schon mitten in der Ersten. Tobias Zielony dokumentiert das in seiner ungemein lebendigen Foto-Installation "Trona", die vom Verfall einer deindustrialisierten kalifornischen Kleinstadt kündet und von einer zukunftslosen Jugend, die dort ihr Dasein im Wartesaal der Existenz verbringt. Bei Zielony gibt es beides: das öffentliche Elend, aber auch die Kraft und Schönheit der Körper, die nicht wissen, wo sie hinsollen, das rätselhafte Bild und den Text, der es kommentiert.

    Zum Mittel der Irritation durch eine Weiterung der Realität greifen auch andere Künstler. Im Zentrum der sorgfältig komponierten Ausstellung drängen Oliver Bobergs unheimliche Slum-Nachbauten die Situation von Millionen wie in einer bösen Puppenstube zusammen. Dionisio Gonzales variiert das vorhandene Fotomaterial durch eigene "Bauentwürfe". So entstehen Hybridwelten aus Armut und Fantastik.

    Der imaginäre Raum, der das Erinnern, Vergessen, auch das Verlangen umfasst, ist der Ort, an dem die meisten Künstler der Ausstellung ihren vertrackten Menschenrechtsdiskurs platzieren. So rutscht das Fremde in eine prekäre Heimat, wie bei Katrin Strobels "láutre coté". Oder Kriegsbilder werden, wie bei Martha Roslers pointensicherer Collage-Serie "Bringing the war home", beunruhigende Bestandteile von "heilen" Wohnzimmer-Interieurs.

    Kontraste machen Defizite spürbar, etwa bei Danica Dakics Video-Projektion "El Dorado, Giessbergstrasse". Da lässt sie vor einem exotischen Tapetenmuster aus dem 19. Jahrhundert jugendliche Flüchtlinge über Zukunftsvisionen und Lebensträume sprechen.

    Auch du in Arkadien? Mit ziemlicher Sicherheit nicht. Wenn die Wunde zu sehr klafft und die Menschenrechtsverletzung anders nicht mehr reparierbar scheint, bleibt am Ende nur die juristische Dokumentation der Zustände. Und wo auch die versagt, weil nur die Ohnmächtigen, nicht aber die Mächtigen ihren Richter finden, wird der ästhetische Aufschrei zum letzten Refugium, wie in Eva Grubingers düsterer Installation "The Trial of Henry Kissinger". Während die gewissenlose Macht sich hinter einem Friedensnobelpreis verbunkert, bringt die Künstlerin als Gegengewicht massive schwarze Blöcke in Stellung, die sich unterschwellig drohend zum Grundmuster des internationalen Strafgerichtshofs konfigurieren.