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Brüchiger Frieden

Osttimor wählt einen neuen Präsidenten – zum zweiten Mal seit Erlangung der Unabhängigkeit vor zehn Jahren. Amtsinhaber und Friedensnobelpreisträger José Ramos-Horta geht als Favorit ins Rennen. Den Wahlsieger erwartet viel Arbeit - doch erstmals macht sich verhaltener Optimismus breit.

Von Jochen Faget |
    Langsam wird es besser in dem kleinen Städtchen Maubara: Camilo Ribeiro, früher war er arbeitslos, hat jetzt einen Job in der Schreinerei Maubara. Seit drei Jahren zimmert er Schränke und Bambusmöbel, verdient dabei sogar rund 300 Euro, was viel ist in Osttimor. Der Mann Ende 40 ist begeistert:

    2009, als das Projekt ‚Mós bele’, auf Deutsch ‚Wir schaffen das’ begonnen hat, habe sich einiges verändert in dem 10.000-Einwohner-Ort. Und Camilo Ribeiros Erfahrung in traditionellen Holzarbeiten helfe ihm jetzt, die schönen Regale zu zimmern; denn in der Schreinerei wird nach alten timoresischen Vorlagen gearbeitet. Die Regale kommen in das kleine Hotel, das weiter oben am Waldrand entsteht. Denn Maubara soll eine Art Tourismuszentrum werden, ein entwicklungspolitisches Aushängeschild im ansonsten eher vernachlässigten Westen Osttimors. Der portugiesische Projektleiter João Carvalho will auf Vorhandenes aufbauen, modernisieren, neue Märkte und noch mehr Arbeitsplätze schaffen:

    "Dieses Projekt ist für Maubara und seine Bewohner. Unser Ziel ist, die Menschen dieser Region so auszubilden, dass sie mit jedem auf der Welt konkurrieren können."

    Die neue Uferpromenade ist fast fertig, sanft rollen die Wellen auf den feinen, grauen Sand. Am Ende der Bucht ragen Palmen in den strahlend blauen Himmel. Vor dem alten Fort stehen schon Souvenirläden, sie verkaufen Kunsthandwerk aus Maubara. An der Tauchschule wird noch gebaut, die Tankstelle auf der anderen Straßenseite ist fast fertig, das neue Gemeindezentrum nebenan mit Bibliothek und Computerraum seit einem Jahr geöffnet. Auch die Obsthandlung Maubara funktioniert bereits. Sie verkauft Obst und Gemüse aus der Region, beliefert inzwischen sogar Hotels und Supermärkte in der Hauptstadt Dili mit örtlichen Produkten. Leonel Carvalho, der zuständige Distrikt-Verwalter ist von dem timoresisch-portugiesischen Gemeinschaftsprojekt begeistert:

    "Was hier aufgebaut wird, ist sagenhaft. Ich begleite das Projekt von Anfang an, unterstütze es, weil es vorbildlich für die Regionalentwicklung ist. Es hilft den Bürgern hier und ist vorbildlich für das ganze Land. Maubara wird ein Ort werden, auf den ganz Osttimor stolz sein kann."

    Stolz auf ihren Heimatort sind sogar die Kinder in den weiß-braunen Schuluniformen, die jeden Morgen vor Unterrichtsbeginn die Nationalhymne singen. Das Projekt hat schräg gegenüber eine Vorschule gebaut. Die Grund- und Hauptschule sei inzwischen akzeptabel ausgerüstet, freut sich Lehrer António Nunes, ein kleiner Sportplatz steht als nächstes auf dem Plan. Am wichtigsten sei jedoch, dass das Projekt ‚Mós Bele’ den Jugendlichen die Chance biete, gute Arbeitsplätze in Maubara zu finden und nicht abwandern zu müssen.

    Eigentlich gut, freut sich auch der Friedensnobelpreisträger und Staatspräsident José Ramos-Horta. Wenn da nicht noch so viel zu tun wäre in Osttimor:

    "Die Hauptherausforderung bleiben die Humanresourcen. Generell sind unsere Bürger zu schlecht ausgebildet. Dann gibt es Ernährungsprobleme, viele Kinder sind unterernährt. Wir haben nach wie vor große Hygieneprobleme. Malaria, Dengue und Tuberkulose sind nicht unter Kontrolle. Noch immer herrscht extreme Armut überall im Land, wenn sich die Lage auch verbessert hat. Und Analphabetismus ist noch immer weit verbreitet."

    Timor Lorosae, Osttimor, gehört noch immer zu den ärmsten Ländern der Welt, ist nach Afghanistan das zweitärmste Land Asiens. Und es hat eine fast unendliche Leidensgeschichte: Jahrhundertelang haben die portugiesischen Kolonialherren den ihnen gehörenden Ostteil der kleinen Sundainsel Timor nördlich von Australien sträflich vernachlässigt. Als das Land 1975 unabhängig werden sollte, wurde es von Indonesien besetzt. Die Timoresen begannen einen jahrzehntelangen Widerstandskampf, den sie von den unwegsamen Bergen im Landesinneren aus führten, die Indonesier reagierten mit einem Völkermord, dem rund 200.000 Timoresen zum Opfer fielen.

    2002, vor zehn Jahren, wurde Ost-Timor dann endlich unabhängig, seinen Frieden fand es trotzdem nicht. 2006 kam es zum Bürgerkrieg, den erst eine UNO-Sicherheitstruppe beenden konnte. Die soll zum Jahresschluss zwar abziehen, doch der Frieden sei noch nicht gesichert, meint Staatspräsident

    "Der Frieden ist noch brüchig, die Bevölkerung ist tief traumatisiert durch die indonesischen Besatzung und die Armut. Darum müssen die politisch Verantwortlichen mit der Situation besonders vorsichtig umgehen."

    Vor allem, weil 2012 Wahljahr ist – ein Superwahljahr: Am 17. März wählen die Osttimoresen ihr Staatsoberhaupt, neben Präsident Ramos-Horta sind weitere zwölf Kandidaten angetreten. Sollte keiner die absolute Mehrheit erreichen, findet im April eine Stichwahl statt. Im Sommer muss sich der charismatische Ministerpräsident und Ex-Widerstandskämpfer Xanana Gusmão Parlamentswahlen stellen. Friedensnobelpreisträger Ramos-Horta fordert Stabilität, damit Osttimor seine Position im südostasiatischen Raum auch politisch festigen kann:

    "2012 wird entscheidend für uns sein. Zunächst müssen die Wahlen geordnet verlaufen. Wenn wir zuerst einen Präsidenten haben, der international bekannt ist und respektiert wird, wenn der ebenfalls respektierte Xanana Gusmão eine Regierungsmehrheit bekommt, werden wir auch unser wichtiges Ziel erreichen, als elftes Mitglied in die ASEAN aufgenommen zu werden."

    Die anderen Probleme ließen sich dann leichter lösen, mit Hilfe der EU Südostasiens. Geld sei dabei nicht unbedingt ein Problem, denn Osttimor verfügt über Erdölfelder in der Timorsee, hat derzeit gut fünf Milliarden Euro in einem eigenen Fond auf der hohen Kante.

    Verhaltener Optimismus herrscht darum inzwischen auch in der Hauptstadt Dili. Es wird wieder gebaut, die Ruinen aus der Besatzungszeit verschwinden. Die Ladenauslagen im Colmera-Viertel sind wieder voll. Immer mehr chinesische Geschäftsleute, schon immer der Motor der timoresischen Wirtschaft, kehren zurück. Valério Garcia, ein Familienvater Ende 30, sieht das Superwahljahr 2012 eher gelassen:

    "Die Zukunft muss ja besser werden! Wir sind jetzt seit zehn Jahren unabhängig, unsere Politiker haben ihre Lektionen aus der turbulenten Vergangenheit gelernt. Die Zukunft Osttimors wird eine bessere sein!"

    Valério hat Wirtschaft studiert, sich auf Tourismus spezialisiert. Noch arbeite er zwar für ein Rechtsanwaltsbüro. Doch irgendwann, wenn sich die Lage Osttimors weiter verbessert habe, will er als Fremdenführer arbeiten. Bis dahin dürften aber noch ein paar Jahre vergehen, sagt er und verschwindet in einem der Geschäfte.