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Brüchiger Frieden

In Mazedonien scheint vordergründig noch zu funktionieren, was früher den ganzen Balkan prägte: das friedliche Zusammenleben unterschiedlicher Volksgruppen. Doch der Frieden bleibt zerbrechlich. In den Bergen, die die natürliche Nordgrenze zum Kosovo bilden, wird seit einigen Wochen wieder geschossen. Jörg Paas berichtet.

27.11.2007
    Mitten im Gassengewirr der Altstadt von Skopje: vier Plastikstühle rund um einen gebrechlichen Holztisch. Ein Mazedonier und ein Bosnier spielen Schach, ein Türke und ein Albaner schauen zu. Multi-Kulti unter einem großen Sonnenschirm. Bosho, der Mazedonier, warnt:

    "Gleich wirst Du sehen: Wenn er verliert, geht er mit dem Messer auf mich los."

    Die anderen lachen. Sie wissen, dass Bosho es nicht ernst meint:

    "Die Politik sorgt für die Spannungen, nicht wir einfachen Leute. Du siehst doch: Wir trinken Kaffee zusammen, spielen Schach miteinander, wir helfen uns in guten und in schlechten Tagen."

    In Mazedonien scheint noch zu funktionieren, was früher den ganzen Balkan prägte: das friedliche Zusammenleben unterschiedlicher Volksgruppen. Aber ganz so einfach ist es doch nicht. Im Sommer 2001 stand die frühere jugoslawische Teilrepublik kurz vor einem Bürgerkrieg. Staatliche Truppen und bewaffnete Albaner lieferten sich schwere Gefechte. In letzter Minute gelang es den USA und der EU, den Konflikt zu schlichten.

    Im Abkommen von Ohrid wurden die Rechte der albanischen Minderheit, die etwa ein Viertel der Bevölkerung ausmacht, in der Verfassung gestärkt. Doch der Frieden bleibt zerbrechlich.

    In den Bergen, die die natürliche Nordgrenze zum Kosovo bilden, wird seit einigen Wochen wieder geschossen. Auf beiden Seiten gab es Tote. Und in Tanusevci, dem kleinen Grenzort, wo die Kämpfe 2001 begannen, ruft ein albanischer Politiker zur Loslösung von Mazedonien und zum Anschluss an Kosovo auf.

    "Eines Tages werden wir ein Referendum abhalten. Die Regierung wird es nicht anerkennen, sondern Soldaten herschicken, und ich weiß, wie ich sie empfangen werde. Die Folgen kann sich jeder ausmalen."

    Kommandant Hoxha, wie er sich selber nennt, lässt keinen Zweifel daran, dass er es ernst meint. In seinem Haus lehnt ein Maschinengewehr und eine Flinte mit Zielfernrohr gleich neben der Eingangstür.

    "Auch wenn sie mir die Armee mit Panzern und Flugzeugen herschicken - ich bin das gewohnt. 2001 haben sie mich trotzdem nicht klein gekriegt. Wenn die andere Seite stur bleibt, bleiben wir auch stur. Dann verlieren eben beide Seiten."

    Mazedonien hat viel zu verlieren: den brüchigen Frieden zwischen den Volksgruppen und die Perspektive Europa. Dabei ist das Land näher dran an der EU als viele andere in der Region: 2001 hat die Regierung in Skopje als erste auf dem sogenannten westlichen Balkan ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit Brüssel unterzeichnet. Seit 2005 ist Mazedonien offiziell Beitrittskandidat zur EU.

    Die Spannungen in den Bergdörfern entlang der Grenze zum Kosovo kommen da äußerst ungelegen. Die albanischen Politiker wissen das. Mendu Thaci zum Beispiel, der die kleinere der beiden Albaner-Parteien anführt, die seit einem Jahr in Skopje an der Regierung beteiligt ist:

    "Das Hauptziel der Albaner ist die europäische Integration. Ich bin überzeugt davon, dass die Albaner in Mazedonien bald ein viel besseres Leben haben werden als die Albaner im Kosovo oder in Albanien."

    Forderungen nach einem Groß-Albanien, wie sie immer wieder auf Felswände und Hausmauern gekritzelt werden, seien Ideen aus dem vorletzten Jahrhundert, sagt Thaci. Auch eine Abspaltung der Albaner von Mazedonien, wie der wild gewordene Kommandant Hoxha sie fordere, komme nicht in Frage.

    Mazedonien will Stabilität, so die Botschaft von allen Politikern. Auch mit Serbien wünscht man sich eine gute Nachbarschaft. Die Frage ist, was passiert, wenn es wirklich eines Tages um die Anerkennung Kosovos als unabhängiger Staat gehen sollte. Belgrad macht schon jetzt kräftig Druck auf die Führung in Skopje:

    "Je länger eine Lösung auf sich warten lässt, desto mehr Zwischenfälle wird es überall in der Region geben. Belgrad und Pristina wissen das, und ich denke, die internationale Gemeinschaft sollte sich ebenfalls darüber klar sein, dass die Lösung nicht noch weiter hinausgezögert werden darf."

    Mazedoniens EU-Integrationsministerin Gabriela Konevska-Trajkovska hofft, dass die Europäische Union sich einigt auf eine gemeinsame Linie bei einer möglichen Anerkennung des Kosovo. Der würde dann wohl auch die Regierung in Skopje folgen - in der Hoffnung, dass die EU als Gegenleistung vielleicht schon im nächsten Jahr zu konkreten Beitrittsverhandlungen bereit ist.