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Brücke für neuen Dialog

Laut einer EU-Umfrage halten 59 Prozent der Europäer Israel für die größte Bedrohung für den Weltfrieden und damit für gefährlicher als den Iran oder Nordkorea. Diese Vorstellung zeigt, wie tief der Graben zwischen dem jüdischen Staat und den Europäern in Zeiten des Nahostkonflikts ist. Dies trifft auch auf die deutsch-israelischen Beziehungen zu - trotz diverser Begegnungs- und Austauschprogramme. Verunsichert ob der eigenen Geschichte, scheuen viele Deutsche die Beschäftigung mit Israel. Und die Haltung der Israelis, vor allem der jungen Generation, gegenüber Deutschland changiert zwischen Ablehnung und Gleichgültigkeit. Vor diesem Hintergrund entstand in der Bertelsmann Stiftung vor drei Jahren die Idee eines etwas anderen Programms.

Leonard Novy |
    Der jährlich stattfindende "German-Israeli Young Leaders Exchange" richtet sich speziell an junge Führungskräfte oder "high potentials”. Das Thema der jeweils zunächst in Deutschland und wenige Monate darauf in Israel stattfindenden Begegnung hat jeweils einen klaren, beruflich-orientierten Fokus. Es dient als eine Art Brücke für einen Dialog, der dann auch die schmerzhaften Komponenten der gemeinsamen Geschichte berühren und es dadurch schließlich ermöglichen soll, in die Zukunft zu schauen. Nach "Kultur und Politik" und "Digital Economy" stand in diesem Jahr "Politik und Journalismus" auf dem Programm. Dementsprechend bestand die Gruppe aus jungen Journalisten und Politikern, die allesamt von so genannten "Mentoren" vorgeschlagen und von der Bertelsmann-Stiftung ausgewählt wurden.

    Die Shoah ist als Hintergrund des Programms immer präsent, nicht nur bei den Besichtigungen etwa von Yad Vashem in Jerusalem oder Orten der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland. Auf israelischer Seite hätten sich einige Teilnehmer laut eigenem Bekunden wenige Monate vorher nicht vorstellen können, jemals nach Deutschland zu reisen. Andere mussten sich bei Freunden für ihr Vorhaben rechtfertigen. Darunter auch Anat Balint. Die junge Journalistin, deren Eltern Holocaust-Überlebende sind, hatte sich vor dem Programm vorgenommen, das, was sie als die "andere Seite” bezeichnet, kennenzulernen.

    I met Germans in the past and knew them and knew their attitude towards the holocaust. But still I was surprised again to see to what extent the Holocaust and the past is central in today’s German consciousness and how people are dealing with it and thinking about it. And from my experience in the group what it made is, the result is that the Germans are always very careful and reluctant and very conscious about what they say, while the Israelis had the freedom to be free. They could be very blunt and say everything.

    Auf der anderen Seite hatte die Politik des hardliners Sharon im Konflikt mit den Palästinensern einen großen Einfluss darauf, mit welchen Vorstellungen die deutschen Teilnehmer ihren israelischen Kollegen gegenübertraten.

    Stephan Vopel, Projektleiter bei der Bertelsmann-Stiftung über die deutsch-israelischen Beziehungen in Zeiten der 2. Intifada:

    Ich glaube, dass der Abstand in gewisser Weise gewachsen ist zwischen Deutschland und Israel, dass es für Deutsche und überhaupt für Europäer schwer nachzuvollziehen ist, in was für einer politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit die Israelis leben und ich glaube, dass auf der gleichen Seite für die Israelis unter dem Druck der vergangenen drei Jahre, sagen wir einmal die innere Anspannung größter geworden ist, auch eine gewisse Verhärtung stattgefunden hat.

    Der Bedarf für eine solche Veranstaltung, für Austausch und Verständigung über Vergangenheit und Gegenwart, ist also da. Um so überraschter, um nicht zu sagen erleichtert, waren viele deutsche Teilnehmer, als sie schließlich in Israel ankamen. Kerstin Kohlenberg vom Berliner Tagesspiegel, berichtet:

    In Deutschland hatte ich das Gefühl, dass Israel als solches gegen alle Angriffe verteidigt werden musste, und in Israel hatte ich das Gefühl, dass eine richtige große Lust darauf besteht, die eigenen Fehler aufzuzeigen. Und vor allem wieder auf den Punkt zurückzukommen, inwieweit achten wir die Menschenrechte? Was glaube ich einer der wichtigsten Punkte der Israelis in ihrem eigenen Land war.

    Das Befremden auf deutscher Seite, etwa ob aktueller Geschehnisse wie der Errichtung des Sicherheitszaunes um die besetzen Gebiete, wurde nicht durch Schönwetter-Rhethorik kaschiert, sondern thematisiert. Wie auch das Gefühl der ständig in Angst vor Selbstmordattentaten lebenden Israelis, vom Ausland nicht verstanden zu werden. Überhaupt wurde viel geredet. Denn neben der Informationsvermittlung in Diskussionen mit illustren - auch palästinensischen - Gästen und diversen Exkursionen, steht der persönliche Austausch untereinander im Vordergrund. Die Notwendigkeit dafür bestätigt Avi Primor, langjähriger israelischer Botschafter in der Bundesrepublik, den die Gruppe in Jerusalem traf. Diplomatische Beziehungen könnten immer nur oberflächlich und in Folge dessen vorübergehend sein.

    Also die echten Beziehungen, die tiefgreifenden Beziehungen, das sind die Beziehungen, die in sich zwischenmenschliche Beziehungen beinhalten, also wenn normale Menschen miteinander zusammen kommen, einen Dialog miteinander führen. Dann verschwinden die Vorurteile, und die Vorbehalte und die Gespenster der Vergangenheit [oder was auch immer], dann sind es Beziehungen zwischen Menschen. Und die halten, weil sie tiefgreifend sind.

    Zwei Wochen quer durch zwei sehr verschiedene Ländern, deren gemeinsame Geschichte sie untrennbar miteinander verbindet. Oft in Unwesenheit begründete Distanzen wurden überwunden, ein Dialog geführt, der in die Zukunft schaut. Zu einer Zeit, in der die Realität des Nahen Ostens, darüber machte sich niemand Illusionen, alles andere als optimistisch stimmt.

    For me it was actually moving between two identities all the time and it was surprising for me [that that’s the way it was]. Because, on the one hand I am completely Israeli and there is nothing more Israeli than I am, on the other side I am coming from the home of two Europeans, two immigrants to Israel, and I found out that I am also European. And meeting the German group I realised that, that I identified with the Israeli group and at times was reluctant about it, and then identified with the - I would not say German group - but European group more (side) and then also feeling distance from it at times. And today, at the end of the day, I know that I am somewhere in between, I am moving between the two. I am an Israeli, but with an European past.