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Brücke ohne Rückgrat

Technik. - Der Erfinder des Stahlbetons war im 19. Jahrhundert ein französischer Gärtner: Joseph Monier legte erstmals Eisengeflechte in Beton ein, um stabile Pflanzenkübel zu bauen. Dresdener Ingenieure schicken sich jetzt an, die Ära zu beenden - mit Textil statt Stahl.

Von Uta Bilow |
    Moderne Architektur, große Hallen, weite Brücken: All dies wäre ohne Stahlbeton wohl unmöglich. Doch der nahezu universelle Baustoff hat eine Schwachstelle: Moniereisen kann rosten. Deshalb muss das Stahlgeflecht einen dicken Betonmantel erhalten – die Bauteile sind entsprechend massiv und schwer. Am Lehrstuhl für Massivbau der Technischen Universität Dresden haben Ingenieure dem plumpen Stahlbeton nun eine Schlankheitskur angedeihen lassen. Das Geheimnis der abgespeckten Betonteile ist, so Professor Manfred Curbach:

    "...dass wir nicht mehr Stahl als Bewehrung in dem Beton haben, der normalerweise dann auch sehr dicke Betonstrukturen erfordern würde, sondern Glas als Bewehrung verwendet wird. Glas kann nicht rosten und wir können es sehr schön auf Textilmaschinen zu textilen Gelegen verarbeiten, und wir können damit sehr dünnwandige Bauteile herstellen."

    In dem Beton liegen Matten aus Glasfasern, die wie grobe Gardinen gewoben sind. Damit entfällt die Korrosionsgefahr, und der Beton kann in wesentlich dünnere Schalungen gegossen werden. Stabil ist er trotzdem. Ganze drei Zentimeter dick sind Bodenplatte und Wände der Fußgängerbrücke, die Curbach zusammen mit einem sächsischen Unternehmen, den Betonwerken Oschatz, entwickelt hat. Bei einer Spannweite von neun Metern bringt die Brücke von Oschatz gerade einmal fünf Tonnen auf die Waage. Eine herkömmliche Stahlbetonüberführung wäre fünfmal so schwer. Im nächsten Sommer sollen die Besucher der sächsischen Landesgartenschau in Oschatz die neuartige Brücke benutzen. Zuvor muss das Bauwerk allerdings noch einige Belastungsproben bestehen. Deshalb ist der Prototyp derzeit im Otto-Mohr-Labor an der Technischen Universität Dresden installiert. An den Versuchen in der Werkhalle ist auch der Brückenbauingenieur Dirk Jesse beteiligt.

    "Wir tragen eine Einzellast über einen einzelnen Druckzylinder ein, und die wird sowohl in Längs- als auch in Querrichtung der Brücke jeweils in vier Achsen verteilt, so dass letzten Endes - vier mal vier - sechzehn Lasteinleitungspunkte auf die Brücke kommen, und das annähernd ungefähr also eine flächige Lasteintragung bringt. "

    Wenn der Zylinder auf die Brücke drückt, wirkt dies wie eine reale Belastung mit Passanten. Fünf Personen pro Quadratmeter, jede einhundert Kilogramm schwer, muss die Brücke verkraften. Ausgehalten hat sie im Test sogar das Dreieinhalbfache.

    "Wir sind hochzufrieden mit diesem Ergebnis, denn wir hatten eigentlich vorgehabt, 24 Tonnen ungefähr aufzubringen, und hätten damit den Nachweis gebracht, dass wir eine Sicherheit von zwei haben gegenüber dem, was tatsächlich an Lasten auf diese Brücke aufkommen kann. Tatsächlich haben wir jetzt aber ungefähr 38 Tonnen aufgebracht, das heißt weitaus mehr, wir sind damit mit diesem Belastungsergebnis sehr zufrieden. "

    Mit einer Breite von zwei Meter fünfzig ist die Brücke für Fußgänger und Fahrradfahrer ausgelegt. Doch nach dem mit Bravour bestandenen Belastungstest können wohl auch Grünpflegefahrzeuge oder Rettungswagen ohne Bedenken hinüberfahren. Der Textil-Beton hat somit seine Bewährungsprobe bestanden, und Manfred Curbach plant bereits weitere Anwendungen für den neuen Werkstoff.

    "Im Grunde kann man alle Bauteile herstellen, die bisher aus Beton nicht möglich waren, die aber trotzdem große Kräfte aufnehmen sollen wie zum Beispiel Rohre, dünnwandige Rohre, oder Fassadenplatten oder vielleicht auch andere schalenartige Tragwerke, die eben besonders geeignet sind. Denn Beton ist ein Werkstoff, den man in jede beliebige Form bringen kann, nur in Abhängigkeit des Aufwandes, den man beim Schalungsbau betreibt. Ein großer Vorteil gegenüber anderen Bauweisen, anderen Werkstoffen: Dass wir hier wirklich jede beliebige Form herstellen können. Und wenn diese dünnwandig ist, dann ist textilbewehrter Beton der ideale Werkstoff."