Montag, 29. April 2024

Archiv


Brückenbauer zwischen Kulturen

Der vor fünf Jahren gestorbene Dichter und Politiker Léopold Sédar Senghor gilt als einer der bedeutendsten Vermittler zwischen Afrika und Europa. Von der Gleichwertigkeit der Kulturen war Senghor überzeugt.

Von Hans-Jürgen Heinrichs | 09.10.2006
    Der Dichter Léopold Sédar Senghor, der am 9. Oktober 1906 geboren wurde und 2001 starb, ist neben dem Literatur-Nobelpreisträger, dem Nigerianer Wole Soyinka, sicher der bekannteste Schriftsteller und Intellektuelle Afrikas. 1928 war er mit einem Stipendium nach Paris gekommen und wurde schließlich sogar französischer Staatsbürger. 1933 gründete er die Vereinigung westafrikanischer Studenten und begann einen regen Austausch mit afrikanischen und afro-amerikanischen Studenten sowie den französischen Künstlern und Schriftstellern im Umkreis des Surrealismus. Auf der Seite der Kommunisten - engagiert für die Selbstbewusstwerdung der Afrikaner und allgemein der so genannten Dritten Welt - gründeten Senghor, sein engster Freund Aimé Césaire und andere Vorkämpfer der Unabhängigkeitsbewegungen eigene Zeitschriften, verfassten Pamphlete, Manifeste und schrieben Gedichte.

    ""Nackte Frau, schwarze Frau
    Gekleidet in deine Farbe die Leben, in deine Form die
    Schönheit ist!
    In deinem Schatten bin ich aufgewachsen, deine sanften
    Hände verbanden mir die Augen.
    Und da entdecke ich dich im Herzen des Sommers, des
    Mittags, gelobtes Land, hoch von der Höhe
    versengten Passes
    Und deine Schönheit trifft mich ins Herz wie der Blitz
    eines Adlers."
    "

    Das Gedicht "Schwarze Frau" gehört zu dem berühmt gewordenen Zyklus "Schattengesänge", der zusammen mit den "Äthiopischen Gesängen", den "Gesängen für Signare", dem "Gesang des Eingeweihten", den "Schwarzen Hostien", "Tschaka" und den "Elegien" den Ruhm des Dichters Senghor begründeten.

    Den heutigen Leser mag vielleicht der pathetische Ton, die Anbetung und Verherrlichung der Natur und der schwarzen Rasse erstaunen oder gar befremden, aber dies schien den Vätern der Négritude-Bewegung das Mittel einer kulturellen Emanzipation, einer Neubewertung des Afrikanischen zu sein. Senghor, der von 1940 bis 1942 Kriegsgefangener in deutschen Lagern in Frankreich war, nahm anschließend wieder seine Lehrtätigkeit als Gymnasiallehrer in Frankreich auf. 1945 wurde er zum Abgeordneten Senegals in die Nationalversammlung in Paris gewählt.

    1951 begann dann die so genannte Ära Senghor im Senegal. 1960 übernahm er das Amt des senegalesischen Staatspräsidenten, das er bis 1980 inne hatte. Seine Kritiker haben ihm vorgeworfen, dass er sich in dieser Zeit zu weit von seiner Kultur entfremdet und sich der europäischen Zivilisation gegenüber zu unterwürfig verhalten habe. Auch sei er zu weit gegangen in seinem Pathos der Versöhnung. Dies sind zwar der Négritude innewohnende fragwürdige Tendenzen, aber zum einen musste ein afrikanisches Selbstbewusstsein zuallererst wieder aufgebaut werden, und zum anderen ist für Senghor das oberste Ziel die Durchsetzung einer, wie wir heute sagen würden, multikulturellen Gesellschaft gewesen. Der von ihm verwendete Begriff der métissage ist dabei im Französischen nicht so problematisch wie der deutsche Begriff "Rassenmischung”. Senghor, dem 1968 der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen wurde, äußerte sich kurz darauf so:

    "Alle Hochkulturen in der Geschichte sind Kulturen der Rassenmischung: In der Antike die ägyptische Zivilisation, ja sogar die griechische Zivilisation. Heute sind die großen Kulturen wie die amerikanische und sogar die sowjetische Kulturen der Rassenmischung. Und ich denke, dass die Négritude durch die Diaspora, durch die Mischung der Rassen, erneut ihre Rolle in der Welt spielen wird, eine Rolle von entscheidender Bedeutung auf dem Gebiet der Kultur."

    Die französische Sprache und Kultur, die damals so revolutionäre Bewegung des Surrealismus, die deutsche Kultur des 18., 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts und die Vision einer großen afrikanischen Zivilisation in den Schriften des Ethnologen Leo Frobenius: Das war die Schule, durch die Senghor und die Négritude hindurchgegangen waren. Der "lyrische Historiker” Senghor hat immer wieder die Bedeutung derer hervorgehoben, die ihn die Gleichwertigkeit der Kulturen und den Wert des Gefühls, der Emotion, der Hingabe und Ergriffenheit - deutsche Wörter, die er über die Maßen schätzte - gelehrt haben.