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Brückentag in Berlin

Ein Freitag einer sitzungsfreien Woche auf den Fluren eines Bundestags-Bürokomplexes. Stille, kaum ein Mensch zu sehen, irgendwo in der Ferne klappern ein paar Schritte. Wegen des Brückentags sind viele Büros noch nicht einmal besetzt. In der verwaisten Cafeteria im Erdgeschoss sitzen eine Französin, eine Rumänin und eine US-Amerikanerin zusammen an einem runden Tisch und diskutieren über das große politische Ereignis des Frühjahrs: die Bundespräsidentenwahl am Sonntag. Wer soll's sein, der frühere Direktor des Internationalen Währungsfonds oder die Universitäts-Präsidentin? Gaëlle Poulard aus der Bretagne mit einem klaren Votum:

Von Markus Rimmele |
    Horst Köhler hat zwar eine internationale Karriere gemacht, aber IWF ist in vielen Ländern nicht sehr gut gesehen. Und es ist schon ein schlechtes Image, würde ich sagen. Also, ja, ich würde sagen, Gesine Schwan ist für mich die bessere Kandidatin auf jeden Fall.

    Jetzt die Präsidentenwahl, in wenigen Wochen die Wahl zum Europa-Parlament, und schon am Anfang des Monats die EU-Osterweiterung. Die etwa 90 Parlamentspraktikanten kriegen viel mit. Anfang März reisten sie an, Hochschulabsolventen aus 19 Ländern, aus den USA, Frankreich und:
    vor allem aus den Staaten Mittel- und Osteuropas. Entsprechend groß war die Freude am 1. Mai, dem Tag des EU-Beitritts. Sie hätten gemeinsam am Brandenburger gestanden, gesungen und getanzt, berichten die drei jungen Frauen. Auch Nadina Dadalau aus Bukarest, obwohl ihr Heimatland Rumänien noch nicht beitreten konnte:

    Wir wissen, wir haben ein bisschen vor uns, also wir müssen noch ein paar Reformen durchführen. Und es geht nicht alles darum, dass ein Land beitritt. Es geht auch darum, dass ein Land nach dem Beitritt in der Lage ist, den Herausforderungen der EU standzuhalten. Und ich denke, Rumänien ist 2004 noch nicht in der Lage, aber vielleicht 2007. Ein Jahr später, zwei Jahre später, das spielt überhaupt keine Rolle.

    Nadina Dadalau gibt geschliffene Antworten. In Aachen hat sie Europawissenschaften studiert, und man traut ihr eine glänzende politische Karriere zu. Die Bundestags-Stipendiaten gehören häufig zum politischen Elitenachwuchs ihrer Heimatländer. Die Kontakte, die sie in Berlin knüpfen, können für ihre Laufbahn einmal sehr wichtig werden, aber auch die deutschen Parlamentarier schaffen sich so ein internationales Politik-Netzwerk. Denn jeder der Stipendiaten wurde einem Bundestagsabgeordneten zugeteilt und lernt in dessen Büro die Arbeit des deutschen Parlamentes kennen. Eindrücke, zunächst von Colleen Traughber aus den Vereinigten Staaten:

    Der Abgeordnete ist dabei. Er hat ständig Termine. Ich darf ihn begleiten zu allen Veranstaltungen, und das mache ich. Dann haben wir die Möglichkeiten, ein bisschen die Politik zu besprechen und so weiter. Dann habe ich meine eigenen Aufgaben im Büro, so Büroaufgaben: Telefonbeantworten, kleine Berichte schreiben, die Gäste empfangen und so weiter.

    Nadina:
    Ich bin sehr positiv überrascht, insofern dass die Parlamentarier wirklich Einfluss ausüben können im Rahmen des deutschen politischen Systems.

    Gaëlle:
    In Berlin ist es sehr hektisch. Die Abgeordneten haben sehr viele Termine, Sitzungen im Plenum, und es kommen einfach viele Neuigkeiten in der Woche. Es ist nichts geplant, und es wird alles stressig, weil das Telefon ständig klingelt. Und neue Leute wollen den Abgeordneten treffen, und man muss das alles schaffen irgendwie, im Rahmen einer sehr kurzen Zeit, und es ist stressig, ja!

    Gerne würde sie ein Thema mal in Ruhe bearbeiten, fügt Gaëlle Poulard noch hinzu, doch das sei kaum möglich. So habe sie sich das nicht vorgestellt. Und trotzdem gefällt ihr das Praktikum. Besonders interessant für sie waren zwei Reisen nach Frankreich, auf die sie ihren Abgeordneten begleiten konnte. Mit ihrer Frankreichkompetenz wurde sie plötzlich zur wertvollen Beraterin.

    500 Euro bekommen die Stipendiaten im Monat, plus freie Unterkunft. Sie wohnen alle gemeinsam in einem Plattenbau in Berlin-Lichtenberg. Ungewöhnlich zwar, doch die drei Frauen finden das interessant. So erlebten sie noch ein ganz anderes Berlin als das abgeschlossene Regierungsviertel. Und Nadina Dadalau fühlt sich im sozialistischen Städtebau erinnert an Bukarest, nur dass die Wohnblocks in Berlin alle so schön renoviert worden seien. Und Berlin, sagt sie, sei doch sehr anders als Aachen, wo sie zwei Jahre lang gelebt hat.

    Ich finde Berlin auf jeden Fall nicht homogen. Ich würde sagen, Berlin ist eine Viel-Städte-Stadt.