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Brummi-Chauffeur aus dem PC

Technik. - Der sehnliche Wunsch der rot-grünen Bundesregierung, dem ständig anwachsenden Lastkraftverkehr Einhalt zu gebieten und Fracht statt auf der Straße über die Schiene zu transportieren, hat sich bis heute nicht erfüllt. Vielmehr stieg die Tonnage auf den Autobahnen sogar kräftig an - Tendenz stark steigend. Logistik ist eines der Hauptthemen der noch bis Samstag in Hannover stattfindenden Industrieschau, und so stellen sich zahlreiche Entwickler und Hersteller der Herausforderung, Wirtschaftlichkeit, Effizienz und Umweltschutz sinnvoll zu vereinen und überdies den drohenden Verkehrsinfarkt abzuwenden. Forscher der Universität Koblenz-Landau setzen dazu auf das Konzept der "rollenden Landstrasse".

    Die weltweit größte Veranstaltung in Sachen echter Hardware ist nach wie vor die jährliche Hannover Messe. Wenn rund 5000 Aussteller aus über 60 Nationen anreisen, um ihre Innovationen in der Industrie- und Automationstechnik zu präsentieren, dann ist allein dies bereits eine logistische Meisterleistung - die Bewältigung der Besucherströme eine weitere. Nahezu 10.000 LKW transportierten Exponate und technische Ausrüstung in die Messehallen der niedersächsischen Metropole und sie werden den Materialberg am kommenden Wochenende wieder in alle Welt tragen. Weil die Tonnage und Streckenleistung des Schwerlastverkehrs nicht nur auf deutschen Autobahnen anhaltend stark wächst, machen sich Wissenschaftler in aller Welt Gedanken, wie die Fracht stärker als bislang auf die Schiene gebracht werden kann. Für längere Strecken wäre die Schiene für Spediteure durchaus interessant, wäre da nicht die zeitraubende Last mit dem Wechsel vom Rad auf die Schiene. Ein attraktives Konzept, wie Brummis flott und stressfrei auf Züge verfrachtet werden können, stellt das Institut für Softwaretechnik der Universität Koblenz-Landau in Halle 18 der Schau vor. Denn dabei bringt der Fahrer sein Gefährt allenfalls noch bis zum Bahnhof, schildert Institutsleiter Professor Dieter Zöbel: "Dafür ausgelegte Bahnhöfe bestünden vor allem aus einer großen Fläche mit einer Eintrittspforte und einer Ausfahrt. Die LKW werden von ihren Fahrern am Eingang quasi wie ein Paket abgegeben. Von da an wird der Wagen automatisch gesteuert." Dies bewerkstelligt eine Navigationseinheit, vergleichbar der Onboard Unit der TollCollect-Mauterfassung.

    Wie von Geisterhand werden die Schwerlaster so zentimetergenau auf den Zug geführt. Selbst wenn das tonnenschwere Vehikel umsteigen muss, erledigt das die Elektronik ohne den Fahrer zu bemühen. Am Ziel wartet dann bereits ein zweiter Fahrer, um den LKW in Empfang zu nehmen und die letzten Kilometer selbst zu chauffieren. Eine ausgeklügelte Logistik sorgt bei dem System dafür, dass die Laster ohne Schrammen an ihren Wagons ankommen und reiht sie so auf, dass ein Umsteigen kürzer reisender Fahrzeuge problemlos möglich ist. Die Handarbeit erledigt dann eine Bordelektronik: sie lässt den Motor an, legt den Gang ein und manövriert auch 40-Tonner zentimetergenau in ihre Parklücken - wenn es sein muss auch rückwärts. Im Gänsemarsch und Schritttempo geht es dann auf die Rampe. "Jeder LKW trägt ein Gerät zur Positionsbestimmung, dass in ständigem Funkkontakt mit der Leitstelle steht. Wenn ein Fahrzeug unvorhergesehen durch Treibstoffmangel liegen bleibt, dann wird das sofort festgestellt und der nachfahrende LKW erhält diese Information", erläutert Professor Zöbel. Überdies verfügt jedes Fahrzeug - so die Idee - selbst über Sensoren, die dem Computer Hindernisse melden. Der virtuelle Brummifahrer wäre so in der Lage, jederzeit rechtzeitig zum Stehen zu kommen - auch wenn Personen plötzlich seinen Weg kreuzen. Dafür sorgt eine eigens ersonnene Mustererkennungs-Software im Rechner des Lastwagens.

    Zumindest in der Computersimulation funktioniert das System der Koblenzer Forscher bereits. Würde sich die ambitionierte Vision wirklich in die Tat umsetzen lassen, würden viele davon profitieren, meint Dieter Zöbel: "Einerseits könnten die Fahrer etwas Besseres tun, statt etliche Stunden mit einem LKW über die Alpen nach Italien zu fahren. Überdies könnte so eine Verfügbarkeit der Transportfahrzeuge über 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche erreicht werden. Auch Fahrverbote auf der Straße könnten auf diesem Weg umgangen und die ohnehin überlasteten Strecken geschont werden." Doch alleine für das Nebenprodukt einer zuverlässig funktionierenden Einparkhilfe wären nicht nur Mehrachser-Führer dankbar, sondern sicherlich auch ganz andere potenzielle Kunden.

    [Quelle: Wolfgang Noelke]