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Brutalität ist Teil der Normalität

Zwei russische Brüder haben es in den letzten Jahren immer wieder auf deutsche Bühnen geschafft: Oleg und Wladimir Presnjakow, beide zwischen 30 und 40 Jahre alt. Sie unterrichten an der Universität von Jekaterinenburg im Ural Literatur und Psychologie. Ihr Stück "Terrorismus" hatte 2002 beim Heidelberger Stückemarkt den Europäischen Autorenpreis bekommen, nun war es im Münchner Metropol-Theater zu sehen.

Von Rosemarie Bölts |
    Bombenalarm. Drei herrenlose Koffer stehen auf der Startbahn. Der Flughafen ist geschlossen, und die Welt gerät aus den Fugen. "Terrorismus", so lautet die Botschaft der russischen Autorenbrüder Presnjakow, kommt nicht nur von außen, sondern wird von jedem selbst produziert. Ursache und Wirkung können nicht mehr unterschieden werden. Stück für Stück, Szene für Szene, Mensch für Mensch reiht sich eine Katastrophe an die nächste, entwickelt sich ein Kaleidoskop an ausweglosen Kalamitäten im banalen Alltagsgeschehen, entpuppt sich die Gesellschaft als einzige Terrorkommune. Wegen ein paar Gepäckstücken?

    "Ja, natürlich wegen ein paar Gepäckstücken! Da kann ja sonst was drin sein. Wir fliegen ja alle in die Luft! Dass die Bombe für einen Politiker oder Wissenschaftler bestimmt ist, das ist ja naiv. Nein, sie ist für alle, die jetzt hier sitzen. Der Tod von unschuldigen, unauffälligen Leuten ist schlimmer als der Tod eines Mächtigen. Wenn ganz gewöhnliche Menschen hops gehen, verstehen Sie, einfach so, noch dazu viele. Nicht im Krieg, sondern in ihren Häusern, in Flugzeugen, auf dem Weg zur Arbeit dann ändert sich alles im Staate, weil niemand eine Welt regieren kann, in der ganz gewöhnliche Menschen hops gehen, noch dazu viele. - Da haben Sie Recht."

    Das Münchner Metropoltheater wäre nicht das Metropoltheater, wenn es nicht wieder auf kleinstem Raum mit minimalistischen Mitteln und einem kleinen, feinen Ensemble die Kopfarbeit der philosophierenden, psychologisierenden und analysierenden Autoren szenisch vollenden würde. Acht Alu-Koffer, vier Trolleys und glänzende Jalousien als Kulisse reichen, um daraus Flughafen, Schlafzimmer, Büro, Umziehräume der Feuerwehrmänner, einen Spielplatz, Sitzplätze in einem Flugzeug herzurichten. Und über allem hängt der Bühnenhimmel voller kalter, monströser Scheinwerfer, die das Geschehen je nach Bedarf grell ausleuchten. Zum Verzweifeln und immer wieder komisch, von außen betrachtet:

    "Ihr quatscht ja nur über eure albernen Familien! Was ihr alles mit euren Männern unternehmt! Mein Mann und ich, wir fahrn in Urlaub, mein Mann und ich! Mein Mann und ich! Mein Mann geht nach der Arbeit mit mir zum Essen! Mein Mann hat mir versprochen dies und jenes - ich muss mir jeden Tag denselben Müll anhören!"

    Die buchstäbliche Leere der Bühne symbolisiert die Coolness der Akteure, die sich, wenn überhaupt, nur in Gewaltausbrüchen näher kommen. Die Männer handfest, die Frauen verbal. Gemobbt wird immer, und wer Gefühle zeigt, ist ein "Weichei" oder nimmt sich gleich einen Strick. Ja, nickt der Zuschauer, so ist das Leben. Liest man jeden Tag in der Zeitung. Die Brutalität ist Teil der Normalität, aber die Leute merken es nicht, erst, wenn die Bombe hochgeht. Gemobbt wird immer, aber niemand will es wahrhaben. Kennt man doch. Nur selber fühlt man sich nicht betroffen, nicht von diesem Stück, das nicht unter die Haut geht, obwohl einen doch wegen der plausiblen Erkenntnis: In jedem von uns steckt ein Terrorist - das Grauen packen sollte. Alles ist gut? Alle sind schlecht. Man hat keine Wahl:

    "Da gehören zum Beispiel Pepsi-Cola und Coca-Cola ein- und demselben Besitzer. Und die ganze Konkurrenz ist nur ein schlauer Trick. Wer das eine nicht kauft, kauft eben das andere, aber der Besitzer kassiert in jedem Fall den Profit. Denn ihm gehört alles. Alles! - Und darum ist das Problem der Wahl auch nur ein Scheinproblem, eine Finte. Weil alles ist schon entschieden."

    Regisseur Jochen Schölch, der sonst gern in die Vollen greift, setzt hier weniger auf Knalleffekte als auf die nivellierenden Wellenbewegungen der Vorlage. Seine Inszenierung dieser implosiven Ausweglosigkeit entspricht ihr in höchstem Maße. Mit einer ausgefeilten Schauspielerführung nicht spannungslos, aber eben auch ohne Höhen- oder Tiefpunkte. Sobald ein Protagonist sich vom dünnen Eis der vermeintlich auskömmlichen Verhaltensweisen entfernt, zuckt er, körperlich sichtbar, gleich wieder zurück. Es ist nichts Schockierendes, wenn das Haus in die Luft fliegt, es ist einfach nur folgerichtig. Die Moral ist niederschmetternd, die Aufführung gelungen.