Durch das Fenster eines Krankenhauses in Tel Aviv sieht Amin Jaadari die Rauchschwaden einer weit entfernten Explosion. Noch hat der angesehene Chirurg, der sich gut mit seinen jüdischen Nachbarn und Kollegen versteht, keine Ahnung, was für ein Loch diese Bombe in sein eigenes Leben gerissen hat: Die Attentäterin, die sich in einem Restaurant in die Luft gesprecht hat, war seine Frau Sihem, deren Überreste er wenig später identifizieren muss.
Mit "Das Attentat" haben die beiden Franzosen Loïc Dauvillier und Glen Chapron den erfolgreichen und kontroversen Roman des Algeriers Yasmina Khadra - das Pseudonym ist der Name seiner Frau - als Comic adaptiert. Interessant für die beiden waren aber weniger einzelne Momente wie dieser, sondern eher die Wirkung des Gesamtwerks, sagt Autor Loïc Dauvillier.
"Mich hat vor allem die allgemeine Atmosphäre interessiert; ich wollte einen Comic schreiben, in dem man ganz verschiedene Emotionen findet, vom Humorvollen am Anfang bis zum Drama, das sich nach dem Attentat entwickelt. Es war das Zusammenspiel dieser unterschiedlichen Gefühle, das mich interessiert hat."
Neuland für die Autoren
Nach dem Attentat gerät Amins Welt aus den Fugen. Sein Haus wird verwüstet, für die Nachbarn ist er ein Terrorist, für die Polizei ein Verdächtiger, und nur eine jüdische Kollegin und Freundin hält zu ihm. So beschließt er, auf eigene Faust in die besetzen Palästinenser-Gebiete zu fahren, um Antworten auf brennende Fragen zu finden: Wer war seine Frau wirklich, was hat sie zu einer Mörderin gemacht, und wie konnte sie einen so großen Teil ihres Lebens vor ihm geheimhalten? Auf seiner Reise trifft Amin allerdings vor allem auf Ablehnung und geschlossene Türen.
"Sie wissen nicht, wohin Sie ihren Fuß setzen. Um Himmels Willen, Doktor, tun Sie, was man Ihnen sagt. Gehen Sie heim."
Thematisch ist "Das Attentat" Neuland für die beiden Autoren. Loïc Dauvillier hat vorher eine Graphic Novel über häusliche Gewalt geschrieben und Werke von Charles Dickens und Jules Verne adaptiert. Vor allem aber haben sowohl er als auch Zeichner Glen Chapron Comics für Kinder geschrieben. Die größte Hürde war aber nicht die Thematik.
"Wir wussten, dass es sehr schwer sein würde, die Rechte zu bekommen. Cedric, mein Verleger, hat erfahren, dass es schon mal eine amerikanische Verfilmung des Romans geben sollte. Yasmina Khadra hat damals allerdings das Drehbuch gelesen und war überhaupt nicht damit einverstanden, wie die Filmemacher mit seinem Roman umgegangen sind. Deswegen hat er ihnen die Rechte wieder entzogen."
Recherche am Computer
Trotzdem ließ sich Khadra zu einem Treffen überreden; nachdem er eine Reihe von Chaprons Zeichnungen und ein vorläufiges Skript gesehen hatte, gab er der Comic-Adaption seinen Segen. Khadra hat seine Beschreibungen des Nahen Ostens vor allem Reiseführern entnommen. Dauvillier und Chapron sind bei ihrer Arbeit ähnlich vorgegangen; ihre Recherche hat größtenteils am Computer stattgefunden.
"Wir konnten nicht selbst in den Nahen Osten reisen, mussten also mit Fotos arbeiten, die Leute ins Internet gestellt hatten. Wir konnten allerdings keine Fotos aus Moscheen finden; dort drin darf man ja nicht fotografieren. Dafür haben wir dann Videos von Fundamentalisten gefunden, auf denen man das Innere einer Moschee sehen kann. Denen haben wir dann die Details entnommen, zum Beispiel wie die Fenster aussehen."
Auch wenn die beiden ihren Comic aus der Ferne geschrieben haben, mithilfe von Fotos und islamistischen Propagandavideos, ist diese Distanz nicht zu spüren. Die Charaktere, auf beiden Seiten des Konflikts, sind keine Klischeebilder, sondern wirken wie authentische und komplexe Charaktere, mit nachvollziehbarer Motivation. Im Vordergrund steht nicht die Politik, sondern das persönliche Schicksal eines Mannes, der schon viel länger zwischen den Fronten steht als ihm bewusst ist.
Pessimistische Vision des Nahen Ostens
Zeichner Glen Chapron hat seinen sonst abstrakteren Stil angepasst, um der Geschichte gerecht zu werden und Amins zunehmende Verzweiflung in Bilder umzusetzen. Die detaillierten, liebevollen und anfänglich farbenfroh colorierten Zeichnungen werden in der zweiten Hälfte der Graphic Novel zunehmend dunkel und klaustrophobisch.
"Das Attentat" ist eine nüchterne, pessimistische Vision des Nahen Ostens, in der sich Israelis und Palästinenser unversöhnlich gegenüberstehen und eine friedliche Lösung unmöglich erscheint, und Amins verzweifelte Suche nach Antworten ist ein fesselnd erzählter Schlag in die Magengrube. Genau wie Yasmina Khadra in seinem Roman verzichten Dauvillier und Chapron aber darauf, Schuld zuzuweisen; stattdessen zeigen sie den Nahost-Konflikt als ewigen, alles vernichtenden Kreislauf der Gewalt, der sich schon lange verselbstständigt hat.