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Buch über Sängerin
Wilhelmine Schröder-Devrient

Die Sängerin Wilhelmine Schröder-Devrient galt im 19. Jahrhundert als Ausnahmeerscheinung auf der Opernbühne. Sie prägte den jungen Wagner in seinem Verständnis von singender Darstellung. Nun versucht ein Buch dieser Sängerin näherzukommen.

Von Matthias Nöther | 03.05.2021
Es ist nichts weniger als eine archäologische Arbeit, die Anno Mungen am Forschungsinstitut für Musiktheater der Universität Bayreuth geleistet hat: Er folgt lückenhaften historischen Hinweisen auf ein großes stimmliches Ereignis. Aus diesen Hinweisen in schriftlichen Quellen soll eine Vorstellung davon entstehen, was die Stimme und die Darstellungskunst von Wilhelmine Schröder-Devrient ausmachte. Denn heute lebt die legendäre Opernsängerin, die 1860 im Alter von 55 Jahren starb, fast nur noch in historischen Theaterzetteln und Musikkritiken fort. In denen wiederum ist die Faszination der Zeitgenossen mit Händen zu greifen.
Ein Mann mit runder, dunkler Brille und millimeterkurzen Haaren schaut frontal auf einer Porträtaufnahme in die Kamera. Im Hintergrund sind verschwommen eine rote und eine blaue Fläche zu erkennen.
Anno Mungen lehrt am Forschungsinstitut für Musiktheater an der Universität Bayreuth. (Anno Mungen)
"Sie singt nicht, wie andere Künstler singen; sie spricht nicht, wie wir es gewohnt sind; ihr Spiel ist den Regeln der Kunst durchaus nicht konform. Es ist, als wüsste sie gar nicht, dass sie auf einer Bühne steht! Sie singt mit der Seele noch mehr als mit der Stimme; ihre Töne entquellen mehr dem Herzen als der Kehle."

Mit 17 Jahren verkörperte Schröder-Devrient die Leonore

Wilhelmine Schröder-Devrient galt schon früh als Ausnahmeerscheinung auf der Opernbühne. 1821, im Alter von gerade mal 17 Jahren, verkörperte sie erstmals die Leonore in Beethovens "Fidelio" und wurde dadurch zum modellhaften Beispiel einer dramatischen Sängerin. Trotz fehlender Tonaufnahmen, rein durch Gesangstradition überliefert, stand dieses Beispiel Sängerinnen selbst im 20. Jahrhundert immer noch lebhaft vor Augen.
1823 trat Wilhelmine Schröder-Devrient ihr festes Engagement an der Hofoper Dresden unter dem Dirigenten Carl Maria von Weber mit dieser Beethoven-Partie an, die sie berühmt gemacht hatte.
"Mit Vergnügen bemerkten wir auch, dass ihre an sich so wohltönende, frische und kräftige Stimme dem Ausdrucke der lebendigsten Gefühle nicht unterlag, sondern fast nur mehr an Kraft zunahm, und so im leidenschaftlichen Spiele der Künstlerin eine Entfaltung derselben erlaubte, die nur ein seltenes Eigentum begünstigter Sängerinnen ist."

Wagner und Schröder-Devrient

Eine wohltönende, frische und kräftige Stimme: Das widerspricht der Annahme, dass Wilhelmine Schröder-Devrient eher durch charismatische Schauspielkunst als durch den Wohlklang ihres Soprans überzeugte. Vor allem Richard Wagner kolportierte dies. Dabei hatte die Sängerin ihn zu Gestalten in vielen seiner frühen Opern inspiriert – angefangen mit der Figur der Ada in Wagners erster Oper "Die Feen" im Jahr 1834. Anno Mungen, Autor mittlerweile mehrerer Publikationen über Wilhelmine Schröder-Devrient, hat nachzuvollziehen versucht, wie sich die Sängerin dieser frühen Wagner-Partitur eingeschrieben hat.
Anno Mungen: "Die Oper ist eigentlich fertig, und er ersetzt dann eine Arie, nämlich die Arie der Ada, weil er sie erlebt hat, weil er so fasziniert ist, und schreibt irgendwie eine ganz neue Arie. Formal ganz anders. Und zwar wirklich in einem Stil, wo man sagen könnte, das passt eigentlich ganz gut – auch das, was später kommt. Also hier kann man schon sehr genau sehen, wie er reagiert."
Eine historisches Porträt von Richard Wagner aus dem Atelier Franz Hanfstaengl in München, aufgenommen von Edgar Hanfstaengl vermutlich 1871/1872.
Eine historisches Porträt von Richard Wagner (imago images / Heinz Gebhardt / Edgar Hanfstaengl)
Die Opern Richard Wagners mit ihrer allmählichen Abkehr von Arie und Belcanto traten erst relativ spät ins Leben von Wilhelmine Schröder-Devrient – zu einer Zeit, in der sie ihren persönlichen Geschmack längst an Rossini und Bellini gebildet und ihre stimmliche Blüte bereits überschritten hatte. Anno Mungen möchte Schröder-Devrients historisch verbürgte Fähigkeit zum Belcanto nicht unter den Tisch fallen lassen.
Anno Mungen: "Sie hat zwar die italienische Oper auf eine sehr eigene Art, nämlich auf eine – wie es dann auch in der Literatur oder in den Quellen heißt – deutsche Art gesungen. Das heißt also offenbar ganz anders als beispielsweise eine Malibran oder so. Und man sollte auch noch erwähnen, dass sie selber ‚Tannhäuser‘, Venus und Wagner, was der geschrieben hat, wohl nicht besonders mochte."

Charisma, Schönklang und der Schrei

Italienische Opern stattete Wilhelmine Schröder-Devrient aber wohl auch schon zuvor nicht nur mit Schönklang, sondern auch mit Charisma aus. Nach einer Vorstellung als Amina in Bellinis Oper "La sonnambula" schrieb ein Kritiker:
"Der Naturlaut der Leidenschaft und des tiefsten glühendsten Gefühls, welchen diese große Künstlerin auf so wundersame Weise besitzt, und von dem leisen Hauch des verklingenden Seufzers an bis zum gellenden Schrei des zerrissenen Herzens, zu beherrschen und richtig anzuwenden versteht, macht ihre Art diese Rolle durchzuführen selbst psychologisch höchst anziehend."
Das mit dem Schrei war offenbar wörtlich zu verstehen. Lange bevor der legendäre Wolterschrei zum bevorzugten Ausdrucksmittel einer Wiener Burgtheaterschauspielerin wurde, war in den Feuilletons ganz Europas vom Bühnenschrei Wilhelmine Schröder-Devrients zu lesen. Sie war immerhin die Tochter der nicht minder berühmten Schauspielerin Sophie Schröder.
Anno Mungen: "Diese Art der Schauspielkunst, die Sophie Schröder vertreten hat, geht eben ganz stark auf eine Effektdarstellung, wo auch offensichtlich mal etwas herausgeschrien wurde. Jedenfalls das wissen wir von Wilhelmine Schröder-Devrient, dass sie das dann tatsächlich auch mal gemacht hat."
In biedermeierlichen Sittenbüchern wird vor dem Typus Frau, wie Wilhelmine Schröder-Devrient ihn repräsentierte, gewarnt – mit Nennung des Namens der Sängerin. In Dresden 1848 ging sie offenbar mit auf die Barrikaden der bürgerlichen Revolutionäre. Dies alles sind für Anno Mungen Gründe dafür, sich mit dieser historisch verschütteten Figur auch jenseits ihrer Opernstimme noch einmal gründlicher zu befassen – im Rahmen eines großen biografischen Projekts.
Anno Mungen: "Die dramatische Sängerin Wilhelmine Schröder-Devrient. Stimme, Medialität, Kunstleistung"
Thurnauer Schriften zum Musiktheater, Band 37, Königshausen u. Neumann 2021, 152 Seiten.