Freitag, 19. April 2024

Archiv

Buchautorin über Kindererziehung
"Helikoptereltern sind angstgetrieben"

Die Klobrille vorwärmen, die Hausaufgaben machen, sich mit den Lehrern streiten - überfürsorgliches Verhalten schade dem Selbstvertrauen von Kindern, sagte die Buchautorin Carola Padtberg im Dlf. Helikoptereltern räumten ihren Kindern alle Hindernisse aus dem Weg - teilweise bis zur Studienzeit.

Carola Padtberg im Gespräch mit Sandra Pfister | 26.10.2019
Vogelperspektive: Zwei junge Familien mit Kindern begegenen sich, als sie über eine Straße gehen. Bei der einen Familie schiebt die Mutter den Kinderwagen, bei der anderen der Vater.
Ein egoistisches "mein Kind first" mache nicht automatische gute Menschen, sagt Carola Padtberg (dpa / picture alliance / Wolfram Steinberg)
Sandra Pfister: In vielen Grundschule gibt es elternfreie Zonen. Sie beginnen direkt hinter her Glastür am Eingang: Dass die Eltern ihre Kinder nicht mehr bis ins Klassenzimmer bringen, soll die Abnabelung und die Selbstständigkeit fördern. Die Eltern aber erkämpfen sich ihren Einfluss an anderer Front: Manche gehen vehement gegen schlechte Noten vor, drohen sogar mit dem Anwalt. Carola Padtberg, Redakteurin beim Spiegel und selbst Mutter zweier Kinder, hat mit Lena Greiner zusammen ein Buch geschrieben: "Ich muss mit auf Klassenfahrt, meine Tochter kann sonst nicht schlafen."
Es ist als Frontbericht angekündigt, und als Realsatire. Im Klappentext heißt es: "Helikopter-Eltern kreisen über ihren Kindern und fliegen ihnen sogar bis in die Uni hinterher. Sie sind ängstlich, ehrgeizig ― und vor allem nervig." Carola Padtberg ist also kein Fan von Helikoptereltern. Ich habe sie vor der Sendung gefragt, ob sie uns mal ein paar Beispiele dafür geben kann, was sie daran stört.
Carola Padtberg: Ja, das fängt ja schon im Kleinkindalter an, dass die Eltern anfangen, ihre ganz speziellen Wünsche durchsetzen zu wollen. Wenn die Kinder so klein sind, ist das auch noch fast ein bisschen niedlich, diese Bemühungen der Eltern. Die fordern dann, dass das Eis in der Mikrowelle angewärmt wird, damit es nicht so kalt ist, wenn die Kinder vielleicht eine Erkältung haben, oder sie bitten die Erzieher, zu ihren Kindern das Wort Nein nicht zu benutzen, denn das sei ja ein negatives Wort, und die Kinder sollen nicht mit so viel Negativem konfrontiert werden. Oder eine Mutter bat auch mal Erzieher im Kindergarten, sie mögen sich doch bitte immer auf die Klobrille setzen, um sie vorzuwärmen, denn das sei die Tochter von zu Hause auch so gewohnt. In der Grundschulzeit ist es dann allerdings schon nicht mehr ganz so lustig. Da kommen dann die Eltern in die Schulmensa und wollen ihren Kindern immer noch das Essen kleinschneiden. Oder sie warten in der Garderobe die Schulstunde ab, um das Kind den Pausen trösten zu können, oder sie verstecken sich hinter Büschen auf dem Schulhof, um zu beobachten, ob ihr Kind auch viele Freunde hat und nicht ausgeschlossen wird auf dem Schulhof. Bei einem besonders drastischen Fall in Hamburg hat es sich zugetragen, dass die Eltern nachmittags ihre Kinder abholen wollten, doch in der Nachmittagsbetreuung wurde ein neuer Erzieher eingestellt. Es war dessen erste Arbeitswoche, und der junge Mann spielte mit den Kindern auf dem Schulhof, und die Eltern konnten das Gesicht nicht sofort zuordnen. Statt die anderen Betreuer zu fragen, wer das denn sei, oder den jungen Mann anzusprechen, wählten dann die Eltern sofort die 110. Und dann kam ein Einsatzwagen und durchsuchte den Erzieher vor den Augen der Kinder. Das ist dann natürlich schon schrecklich.
"Eltern machen sich zu Erfüllungsgehilfen ihrer Kinder"
Pfister: Das ist jetzt ein Extrembeispiel, aber die Beispiele vorher waren ja auch sehr sprechend. Was nehmen diese Eltern aus Ihrer Sicht ihren Kindern denn?
Padtberg: Für eine Studie in der Universität Minnesota haben Forscher Helikoptereltern und deren Kinder begleitet, um zu sehen, wie sich denn überfürsorgliches Verhalten auf die Entwicklung auswirkt. Und das Ergebnis war, dass die Entwicklung tatsächlich gehemmt wird. Diese Kinder können ihre Gefühle und Impulse weniger gut regulieren und kommen mit Frust und Enttäuschung oder auch Angst und Neid deutlich schlechter klar, weil ihre Eltern ständig versuchen, negative Empfindungen im Vorfeld abzuwenden. Ich glaube aber auch, dass das Selbstvertrauen der Kinder darunter leidet, wenn die Eltern ihnen nie etwas zutrauen und sie nie etwas versuchen können zu lösen auf ihre Art und Weise, auch wenn sie vielleicht dabei zunächst einmal scheitern.
Ein Vater hält seinen Sohn auf dem Arm - Symbolfoto.
"Die deutschen Eltern sind eigentlich immer noch entspannt"
Helikopereltern seien "intensive Eltern", die sich in die Erziehung ihrer Kinder reinhängten, sagte der Ökonom Matthias Doepke im Dlf. Angesicht der der heute herrschenden Wirtschaftsverhältnisse sei ihr Verhalten angemessen.
Pfister: Ich komme noch mal auf eine kleine andere Definition von Helikoptereltern zurück. Diese andere Form von Helikoptereltern, der sagt man ja nach, dass sie einfach fördern bis zum Umfallen. Das, was Sie jetzt geschildert haben, war so ein bisschen, die beschützen ihre Kinder und hüllen die in so einen künstlichen Kokon ein. Dieses Fördern, Kinder stark machen schulisch, sich bei den Hausaufgaben mit ihnen hinsetzen, mit ihnen den richtigen Studiengang diskutieren, was halten Sie davon?
Padtberg: Es geht natürlich auch um Ehrgeiz, das stimmt. Diese Fürsorge um die Kinder in jungem Alter überdehnt sich dann hin in einen Leistungsgedanken, um die Kinder bestmöglich auf das Leben vorzubereiten. Das geht dann so weit, dass die Eltern zu Hause Hausaufgaben und Referate für die Kinder erledigen. In einem Extremfall haben Eltern die falschen Ergebnisse in einer Klassenarbeit wegradiert, haben das richtige Ergebnis hingeschrieben und sind damit wieder zur Lehrkraft gegangen und wollten eine bessere Note für ihr Kind. Zur Not ziehen Eltern sogar mit Notenforderungen bis vors Gericht. Problematisch ist dabei, dass die Eltern sich dabei zu Erfüllungsgehilfen ihrer Kinder machen. Sie übernehmen die Verantwortung für jede Leistung, die das Kind erbringt, und ich glaube nicht, dass Kinder so lernen, selber Verantwortung zu übernehmen.
"Enttäuschungen sind wichtig für unser Resilienz"
Pfister: Es ist schmaler Grat, wie kriegen Sie das denn selbst hin, Sie sind ja selbst Mutter.
Padtberg: Ja, ich hab selbst drei Kinder, und ich muss schon zugeben, dass ich mich beim Schreiben manchmal ertappt gefühlt habe. Natürlich kenne ich Angst und Sorgen um Kinder und das Bedürfnis, ihnen das Leben so schön wie möglich zu gestalten und Enttäuschungen zu ersparen. Ich muss mich manchmal irre zusammenreißen, um nicht gleich einzugreifen, wenn ich glaube, dass etwas, was eines meiner Kinder vorhat, schiefgehen wird. Vermutlich mache ich einiges richtig mit meinen Kindern und einiges mach ich auch falsch. Ich glaube aber, dass man sich selber als fehlbar begreifen muss, um den Kindern auch zu zeigen, dass man Fehler machen darf und dass es okay ist und dass man aus diesen Fehlern lernen kann. Ich glaube auch, dass überfürsorgliches Verhalten letztlich aus dem Wunsch entspringt, eine perfekte Mutter oder ein perfekter Vater zu sein, und deshalb machen sich diese Eltern zu Freunden ihrer Kinder, um sie niemals zu enttäuschen. Letztlich sind aber Enttäuschungen wahnsinnig wichtig für unsere Entwicklung, denn nur so können wir ja auch Resilienz entwickeln und Durchhaltevermögen.
Pfister: Ich wollte noch mal auf eine Sache zurückkommen, bei der ich finde, dass Helikoptereltern auch so ein bisschen als Kampfbegriff gebraucht wird. Ich habe das Gefühl, – es kam ja auf in Deutschland zumindest, weil Josef Kraus vom Lehrerverband das ins Spiel gebracht hat. Worauf ich hinaus will, ist: Es sind Lehrer, die diesen Begriff ins Spiel gebracht haben, also wie sehr Eltern ihre Kinder gegenüber Lehrern verteidigen oder gegenüber Lehrern beschützen oder wie sie sich über Lehrer beschweren, das fließt da immer mit rein. Eine Soziologin, Désirée Waterstradt, die hat mal gesagt, der Begriff Helikoptereltern, der dient dazu, Eltern auf den Platz zu verweisen. Ist da was dran?
Padtberg: Ja, natürlich werden Eltern damit auf ihren Platz verwiesen. Es heißt ja so schön, man braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen, und das bedeutet ja, dass dieses recht egoistische "mein Kind first" nicht aus uns gute Menschen macht. Lehrer haben natürlich am allermeisten darunter zu leiden, denn statt guten Unterricht zu machen, müssen die dann Eltern in ihre Schranken verweisen oder vom Schulhof schicken oder dafür sorgen, dass sie nicht die Hausaufgaben für ihre Kinder erledigen. Helikoptereltern sind ja sehr angstgetrieben, auch Angst vor prekären Lebenssituationen, vor Unsicherheiten, vor dieser globalisierten Welt, die kaum jemand überblicken kann. Ja, diese Angst manifestiert sich dann darin, dass sie besonders um ihre Kinder kämpfen und versuchen, denen alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Und manche davon ziehen das ja auch wirklich richtig lange durch. Die sitzen dann noch an der Universität mit in den Vorlesungen und schreiben mit.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.