Mal rezitiert der Zen-Priester Kossan Sutren und bearbeitet die Ritualtrommeln in seinem kleinen Tempel in Japan. Im Lotussitz und mit schwarzem Zen-Kimono bekleidet blickt er konzentriert auf seinen Text. Und mal sieht man den gleichen Zen-Priester bei einer Metal-Performance. Er trägt wieder den schwarzen Zen-Kimono. Aber statt Ritualgesang covert er hier den Titel "Thunderstruck" der australischen Hardrock-Band AC/DC. Dazu schlägt er die großen Trommeln.
"Was ich spannend finde an den Videos von Kossan, ist, dass er nicht nur Metal und Rock, Titel und Klassiker der Beatles neu interpretiert, sondern nach den Liedern meist eine einfach die Instrumente beiseitelegt und stillsitzt. Und dafür ist der Buddhismus ja vor allem im Westen besonders bekannt. Und das wiederum löst auch unter den Zuschauern immer wieder Faszination aus", sagt der Religionswissenschaftler Tim Graf. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Nanzan Institute for Religion and Culture der Universität Nagoya in Japan.
"Bitt-Rituale kommen einem Konzert sehr nahe"
"Allerdings muss man sagen, wenn man sich die Rituale in Japan anschaut, an buddhistischen Klöstern beispielsweise, wo auch dieses rituelle Sitzen praktiziert wird, das im Westen bekannte Zazen. Wenn man sich anschaut, was an diesen Klöstern für Rituale praktiziert werden, dann finden Sie Bitt-Rituale, die sind in der Performanz, also in der Aufführung, einem Konzert doch sehr nahe. Also das ist gar nicht still. Bei den Bitt-Ritualen am Kloster Kasuisai oder am Daihonzan Sojiji– das sind prestigeträchtige Ausbildungszentren beispielsweise auch im Soto-Zen-Buddhismus, das ist eine der drei großen buddhistischen Richtungen. Da ist es so, dass Rituale aufgeführt werden, da werden Dämonen, also Berggeister, beschworen und für diesseitigen Nutzen werden ihre Kräfte aufgerufen, angerufen im Ritual. Große Trommeln, Taiko-Trommeln, kommen zum Einsatz. Also man spürt diese Rituale im ganzen Körper ähnlich wie bei einem Rockkonzert heute."
Der Religionswissenschaftler verweist auf diese seit Jahrhunderten praktizierten Rituale, die schon lange vor der Erfindung der E-Gitarre vermutlich ähnliche körperliche Erfahrungen auslösten. Und der Zen-Priester Kossan, der auch in den USA studiert hat, sieht in diesem Crossover wohl eine Chance, den Zen-Buddhismus einem größeren Publikum zugänglich zu machen.
Tim Graf: "Also in Japan ist es so, dass es rund 200 000 Priester gibt. Und zum Unterhalt der 70 bis 75 000 Tempel in Japan, das ist eine Riesenmenge, führen die meisten dieser 200 000 Priester Toten- und Ahnengedenkrituale durch."
E-Gitarren und Beatbox-Sounds
Mit diesen Ahnenritualen finanzieren sich die kleinen Tempel. Die meisten Zen-Priester erben den Tempel von ihrem Vater und gehen auch noch einem weltlichen Beruf nach. Neuerdings macht in Japan ein Zen-Mönch und ehemaliger Musiker mit seinen buddhistischen Beatbox-Sounds von sich reden. Yogetsu Akasaka und seine Videos auf YouTube werden millionenfach geklickt.
Tim Graf: "Yogetsu Akasaka ist Beatboxer. Also er imitiert durch seine Stimme, durch die Kehle, Mund, Nase imitiert er Percussions, Instrumente und auch andere Instrumente, die er dann mit einem Computer quasi aufnimmt und in einem wiederkehrenden Loop abspielt. Und darüber rezitiert er dann Sutren, unter anderem das Herz-Sutra. Und da entstehen so Klangteppiche, einigen scheint das als Einschlafhilfe zu dienen, diese Musik über YouTube."
Der kahl geschorene schlanke Zen-Mönch trägt einen braunen Kimono und traditionelle Sandalen. Bevor Akasaka mit der Performance beginnt, legt er die Hände vor der Brust zusammen und verneigt sich tief, das macht er auch am Ende – so unterstreicht er den rituellen Charakter seiner Performance. Er rezitiert das Herz-Sutra, das nur aus einer einzigen Formel besteht: "Form ist Leere und Leere ist Form."
Das Sutra wird nicht nur im Zen-Buddhismus rezitiert, sondern im gesamten Mahayana-Buddhismus, sagt der Religionswissenschaftler Tim Graf: "Was ich spannend fand, wie die perfekte Einhaltung der Form auch und durch die Priesterkleidung, durch das ganze Auftreten seiner Person auf dem Kanal, durch die Bilder des sitzenden Priesters quasi, wie das traditionelle Vorstellungen vom Buddhismus, diese Einhaltung der Form, diese Kontrolle einer überweltlichen Kraft vermittelt, dass der Priester damit umgehen kann. Und das verpackt in Musik, die dann noch etwas traumhaft klangteppichartiges hat, das wirkt eben gut."
"Religion und Spiritualität spielen eine riesige Rolle im Metal"
Ein anderes Beispiel ist die Taiwanesische Death-Metal-Band Dharma. Die Musiker rezitieren ebenfalls buddhistische Sutren. "Diese Band überrascht insofern, als dass sie eine Nonne auf der Bühne hat. Das ist etwas wirklich Neues und Besonderes", sagt Anna-Katharina Höpflinger. Die Schweizer Religionswissenschaftlerin lehrt an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und hat über die Heavy-Metal-Kultur geforscht.
Religiöse Symbole und Versatzstücke seien in dieser Szene und in der Metal-Musik nichts Neues, sagt die Wissenschaftlerin: "Religion und Spiritualität spielen eine riesige Rolle im Metal, und zwar in den verschiedenen Genres des Metal. Ich erkläre mir das so, dass der Metal sich gerne mit unkontrollierbaren Bereichen des Lebens beschäftigt, zum Beispiel Tod, Krankheiten, Dämonischem, aber eben auch mit Transzendenz, also mit dem, was unser sinnlich Wahrnehmbares überschreitet. Das kann durchaus auch im positiven Sinn sein. Und die Band Dharma, die beschäftigt sich jetzt eben mit buddhistischen Inhalten und buddhistischen Ebenen."
Leichenbemalung mit Blut
Der kehlige Gesang und das kaum verständliche Kreischen sind typisch für den Death Metal. Die Band Dharma – der Sanskritname steht für die Lehre des Buddha – singt in ihren Songs Ritualtexte zur Heilung. Beispielsweise wird der Medizinbuddha angerufen. Oder Sutren werden an den Meditationsbuddha Amitabha gerichtet, der die Ahnen sicher ins transzendente "Reine Land" geleiten soll.
Während die Nonne bei der Performance kahlgeschoren in ihrem ockergelben Ordensgewand den traditionellen Part rezitiert, setzen die Jungs im Death-Metal-Style den Song fort. Sie tragen Kutten und ihre Gesichter sind bemalt – traditionell wird das als Leichenbemalung verstanden.
Anna-Katharina Höpflinger: "Sie schminken sich mit schwarzen Strichen im Gesicht, machen das Gesicht ein bisschen schmutzig, vor allem verwenden sie aber auch Blut. Und in einem Interview erklärt der Drummer Jack Tung, dass es hier nicht so sehr um die Visualisierung des inneren Dämons geht wie normalerweise im Corpsepaint im Metal. Sondern hier gehts eher um die Vertreibung des Bösen. Die Vertreibung der Dämonen durch diese Inszenierung."
Das Ungewöhnliche an der taiwanesischen Band Dharma ist aus Sicht der Religionswissenschaftlerin nicht nur, dass religiöse Themen und Symbole vorkommen und musikalisch verarbeitet werden, sondern dass hier Laien gemeinsam mit einer Ordensfrau auf der Bühne stehen. In dieser Art von Auftritten werde der Buddhismus neu gelebt und interpretiert.