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Bude verzweifelt gesucht

Frankreich zählt rund 2.2 Millionen Studenten, bietet landesweit aber nur 150.000 Studentenwohnungen in so genannten "résidences universitaires", den französischen Studentenwohn-heimen. Wer dort einen Platz findet, hat Glück und wohnt günstig. Alle anderen müssen sich auf dem freien Wohnungsmarkt versorgen. Für viele Studenten ein großes, in erster Linie finanzielles Problem: Vor allem in französischen Großstädten wie Marseille, Lyon oder Paris sind die Mieten für Studenten unbezahlbar.

Von Margit Hillmann |
    In einem alten heruntergekommenes Gebäude am Rande des Pariser Stadtteils Belleville, Boulevard de la Villette, befinden sich die Büroräume der Unef, Nationale Union französischer Studenten. Hier treffe ich Fanny, 24 Jahre alt, Geographiestudentin und seit September dieses Jahres ohne feste Bleibe.

    Ich wohne zurzeit, heimlich ohne Genehmigung, bei einer Freundin im Studentenwohnheim, - zu zweit in einer 20 Quadratmeterwohnung. Damit das nicht auffliegt, komme ich abends erst in die Wohnung, wenn unten das Verwaltungsbüro geschlossen ist. Und ich gehe morgens, bevor sie ihren Dienst beginnen, um ihnen nicht über den Weg zu laufen. Ich bin gezwungen, mich zu verstecken, weil ich nicht das Recht habe, dort zu wohnen. Kommt es raus, kriegt meine Freundin Ärger und ich muss gehen.

    Seit Anfang August sucht Fanny nach einer Wohnung, hat bisher jedoch nichts gefunden. Denn in französischen Großstädten herrscht akuter Wohnungsmangel, - die Mietepreise explodieren: So kostet im Pariser Raum der Quadratmeter einer einfachen Mietwohnung durchschnittlich 20 Euro. Im Verhältnis besonders teuer sind kleine Wohnungen. Wer ein so genanntes Studio mieten will – eine Einraumminiwohnung, mit Kochnische und kleinem Bad –, muss mindestens 400 Euro Kaltmiete monatlich auf den Tisch legen. In beliebten Wohnvierteln, in Parknähe oder den traditionell schicken Vierteln der Stadt, verlangt der Vermieter für ein solches Studio leicht das Doppelte.

    Inzwischen hat sich Fanny mit einer anderen Studentin zusammengetan. Für 800 Euro, hoffen sie, eine kleine Zwei- oder Dreizimmerwohnung in einem Pariser Vorort zu finden. Doch obwohl sie bereit sind, außerhalb der Stadt zu wohnen, in einem Plattenbau mit wenig Charme, sind die Studentinnen bisher nicht fündig geworden. Fanny:

    Vorgestern habe ich eine Wohnung besichtigt; gestern haben wir fünf Wohnungen gesehen; eine heute Morgen. Dienstag sehen wir uns eine an und Mittwoch auch. Das Hauptproblem ist, dass die Vermieter oder Makler oft von vornherein Studenten ablehnen oder keine Wohngemeinschaften wollen.

    Fanny und ihre Freundin sind keine Ausnahme. Immer häufiger sind Studenten in Frankreich gezwungen, Übergangslösungen zu finden: Sie wohnen in kleinen billigen Hotelzimmern ohne Dusche, die Toilette auf dem Flur; in Heimen für obdachlose junge Frauen, illegal in besetzten Häusern, in Wohnheimen karitativer Einrichtungen. Neuestes Phänomen der Wohnungskrise: Studenten, die - gegen kleine Erledigungen - ein Zimmer in der Wohnung allein stehender Rentner bewohnen. Und wenn gar nichts mehr geht, bleibt nur noch eine Möglichkeit: das Elternhaus. Inzwischen wohnt jeder zweite französische Student bei seinen Eltern. Was die Wahl der Fachrichtung bzw. Universität enorm einschränkt. Denn die attraktiven und namhaften Universitäten befinden quasi ausnahmslos in den wohnungsknappen und teuren Grosstädten – vor allem in Paris.

    Inzwischen räumt auch das französische Bildungsministerium ein, dass es bei der Unterbringung der Studenten seriöse Probleme gibt. Doch das Ministerium verspricht Besserung. Die CNOUS - eine nationale Behörde, vergleichbar mit dem deutschen Studentenwerk – wurde mit zusätzlichen Mitteln ausgestattet und vom Minister beauftragt, die Sache in den Griff zu bekommen. Jacque Soulas, Direktor der CNOUS:

    Die Studentenwohnheime sind zum Teil sehr alt und entsprechen baulich nicht mehr den Normen. Dort werden wir jedes Jahr erhebliche Summen in die Renovierung investieren und für mehr Wohnqualität sorgen. Außerdem hat der Minister entschieden, in den nächsten 10 Jahren 50.000 zusätzliche Studentenunterkünfte zu schaffen. Dies werden wir tun, auch in Zusammenarbeit mit den verschieden Regionen und Universitätsstädten. Und übrigens: Wenn neue Wohnungen geschaffen werden, drückt dies automatisch die Mietpreise nach unten. Das ist ein logisches Gesetz des Marktes. Es wird sich also einiges tun.

    Angesichts der ständig wachsenden Zahl wohnungssuchender Studenten und weiterhin steigender Mieten – scheinen die angekündigten Projekte eher wie ein Tropfen auf dem heißen Stein.

    Dass 50.000 neue Studentenunterkünfte in 10 Jahren nicht ausreichen, um die Lage zu entspannen, hat sich wohl auch Bildungsminister Fillon gesagt. Denn, der Minister hat vor kurzem in einem Interview bemerkt, dass sich die Zahl ausländischer Studenten in Frankreich in wenigen Jahren quasi verdoppelt habe. "Studenten, die die Wohnungskrise zusätzlich verschärfen" so der Minister. Der Direktor der CNOUS, Jacque Soulas, kann sich vorstellen, dass die Zulassungskriterien für ausländische Studenten an französischen Universitäten "demnächst strenger werden".