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Bücher aus Afrika

Afrika ist bis in unsere Tage ein Kontinent des gesprochenen Wortes, nicht des geschriebenen. Theatergruppen nehmen mit beißendem Witz und eingängigen Rhythmen die Korruption der herrschenden Politiker aufs Korn und klären auf über AIDS. Auf dem Land, fernab der nächsten Teerstraße, geben die Alten mit Geschichten ihre Weisheit - und ihren Aberglauben - an die Jungen weiter. Das Radio verbreitet die neuesten Nachrichten, liefert Informationen gegen Genitalverstümmelung und für bessere Ernteerträge, spielt westliche und afrikanische Hits.

Gaby Mayr | 25.06.1998
    Zeitungen kommen dagegen über die Hauptstädte kaum hinaus, und Bücher führen ein Schattendasein. Dennoch hat Afrika große Literatur hervorgebracht. Die Nobelpreise für Wole Soyinka und Nadine Gordimer sind ein äußeres, weithin sichtbares Zeichen dafür. Ein weiterer Meister afrikanischer Literatur ist Nuruddhin Farah aus Somalia.

    Präzise und einfühlsam erzählt Farah Geschichten von Menschen zwischen Tradition und Aufbruch. Der Aufbruch kann dabei ins Guerrillacamp führen oder in die Stadt. Farah läßt seine Leser eintreten in die Welt von Ebla, die aus ihrem Nomadenlager flieht, weil sie an einen alten Mann verschachert werden soll. Oder wir gelangen unversehens in die stickige Hütte einer Gebährenden. Gerade ist in New York Nuruddin Farahs jüngster Roman "Secrets" ("Geheimnisse") als letzter Band einer Trilogie herausgekommen.

    Der erste Band "Maps". "Landkarten" ist auch in deutscher Übersetzung erschienen. Dessen Protagonist Askar verfängt sich im Konflikt zwischen Somalia und Äthiopien um das baumlose Hochland des Ogaden. Nach dem Tod von Mutter und Vater wächst Askar, der Ich-Erzähler, bei Misra auf, die als Äthiopierin auch nach Jahren fremd geblieben ist im somatisch geprägten Odagen. "Es gab nichts Schöneres, als mit der Frau, die mich auf ihrem Rücken trug, das Gewand zu teilen, in das sie gehüllt war; es gab nichts Wärmeres als unsere Körper - meiner nackt und ihrer bekleidet -, die sich berührten, schwitzten und Gerüche verströmten, sich aneinander rieben, bis sich juckende Quaddeln zeigten, zum Kratzen verleitende Ausschläge und krabbelnde Hautblüten zwischen meinen Beinen.

    Die Stille der Nacht kam hereingekrochen wie ein Insekt, das kitzelnd über einen krabbelt, so daß man lachen muß. Und dann bestimmte das Dunkel der Abenddämmerung den erträumten Sinn des Lebens: doch jetzt wie ein Insektenstich, der so impertinent juckt, daß man an nichts anderes mehr denken kann. Und so betrachtete ich die Welt jahrelang von einem aus Misras Rücken für mich geschnitzten Thron, schlief dort, wann immer es mir gefiel, ließ Wasser, wann immer ich gerade mußte, und wurde dafür heftig ausgeschimpft; jahrelang beobachtete ich die Welt von einer sicheren Warte aus, die knapp über der eines Pygmäenkopfes lag."

    Alle Bücher von Nuruddin Farah handeln am Horn von Afrika, der Heimat des Schriftstellers - obwohl er dort schon lange nicht mehr lebt. Von Diktator Siad Barre einst aus Somalia herausgedrängt, sieht Farah sich heute als nomadisierender Weltbürger. Unabhängig vom geographischen Ort, an dem er sich gerade aufhält, aber durchaus inspiriert von der Welt um ihn herum und vor allem von der Literatur, die er in sechs Sprachen lesen kann, braucht Nuruddin Farah zum Schreiben nur wenig: "Mehr als alles andere brauche ich die Zeit, in der ich in einem Zimmer sitze, allein mit meinen Gedanken", so Farah. "Dann tauche ich ein in einen anderen Teil von mir, wie unter Hypnose. Ich werde eine andere Person und schaffe die Charaktere meiner Bücher. In solchen Momenten kommen sie hoch, die Schmerzen der Erinnerung und all das andere." So unverrückbar der Ort ist, an dem Nuruddin Farahs Geschichten spielen, so vielfältig sind die Charaktere, die er zeichnet. Scheinbar mühelos überspringt er sogar die Geschlechtergrenze und läßt Frauen mit allen Facetten ihrer Existenz vor uns erstehen.

    "Vielleicht war ich in meinem früheren Leben eine Frau", so Farah. "Oder vielleicht liegt es an der guten Beziehung zwischen meiner Mutter, einer Dichterin, und mir, so daß ich viele Dinge von ihr aufgenommen habe. Das ist sehr wahrscheinlich. Die dritte Möglichkeit ist, daß meine Mutter eigentlich eine Tochter erwartete, als ich geboren wurde. Und sie hat mir viel, viel später im Leben erzählt, daß sie bei meiner Geburt sehr unglücklich war, weil sie sich eine Tochter gewünscht hatte, denn ich bin der vierte Sohn. Vielleicht ist es in gewisser Weise eine Entschädigung für meine Mutter, die ich durch mein Geschlecht, weil ich nun mal ein Mann bin, enttäuscht habe. Das sind natürlich alles Spekulationen. Aber tatsächlich bekomme ich oft Briefe, die an mich als ‘Frau Farah’ adressiert sind."

    Nuruddin Farah, ein soignierter Mittfünfziger, stößt vielleicht auch deshalb auf so große Resonanz, weil er schon zu einer Zeit aus einer weiblichen Perspektive geschrieben hat, als weibliche Stimmen noch wesentlich schwächer als heute im Chor der Schreibenden aus Afrika zu vernehmen waren. Das hat sich mittlerweile geändert, wenn auch nur mühsam. Ende der Achtziger Jahre ist der Roman "Nervous Conditions" von Tsitsi Dangarembga erschienen als erstes Buch einer zimbabweschen Autorin in englischer Sprache. Zu diesem Zeitpunkt galt die Literatur Zimbabwes als eine der spannendsten in Afrika, mit Autoren wie Chenjerai Hove, Dambudzo Marechera und Charles Mungoshi. Ihre Themen waren der langjährige, bis 1980 andauernde Befreiungskrieg gegen die Herrschaft der weißen Minderheit, die Wunden des Kampfes, die Hoffnungen, und die ersten Enttäuschungen nach dem Sieg. Tsitsi Dangarembgas Buch, das auf deutsch unter dem Titel "Der Preis der Freiheit" erschienen ist, handelt von einem ganz anderen Thema. Dangarembga dazu: "Ich habe mich erinnert, welche Schwierigkeiten ich hatte, als ich heranwuchs, als Mädchen. Ich habe mich auch mit meinen Freundinnen unterhalten und dabei festgestellt: Wir hatten alle dieselben Probleme. Schon in sehr jungen Jahren waren wir mit Sexismus und der Vorherrschaft der Männer konfrontiert. Wir litten unter den Rollenerwartungen, was wir zu tun und zu lassen hätten. Das war so überwältigend, so wichtig für so viele Frauen, daß ich dachte: Das ist offensichtlich der Anfang."

    Eindringlich und schnörkellos erzählt Tsitsi Dangarembga die Geschichte von Tambu, die mit dem älteren Bruder und zwei Schwestern im Rhodesien der Kolonialzeit im Kraal aufwächst. Armut regiert in den Hütten des faulen Vaters und der überlasteten Mutter. Tambus Bruder darf dank der Hilfe des westlich gebildeten, zu gewissem Reichtum gelangten Onkels die Missionsschule besuchen - nicht weil er der Älteste oder der Intelligenteste, sondern weil er ein Junge ist. Erst nach dem Tod des Bruders kann Tambu dessen Platz auf der Schulbank und im Haus von Onkel und der Tante einnehmen. Mit derselben Schärfe, mit der Tambu das Leben im elterlichen Kraal beobachtet hat, seziert sie nun deren christlich-westliche Attitüde.

    "Meine Freunde, meine männlichen Kollegen haben mir gesagt, ich sei übersensibel", so Tsitsi Dangarembga. "Niemand hatte etwas gegen meinen Blickwinkel. Aber sie haben mir zu verstehen gegeben, meine Perspektive sei langweilig. Deshalb wurde das Buch zunächst nicht in Zimbabwe veröffentlicht, sondern ich mußte nach England gehen. Erst als ziemlich erfolgreich war, haben auch zimbabwesche Verlage ihr Interesse bekundet."

    Solche Probleme kennt Chenjerai Hove nicht. Hove, Jahrgang 1954, bezog seine Stoffe lange Zeit aus dem Befreiungskampf gegen die weiße Minderheit. Doch in seiner Heimat werden heute ganz andere Fragen gestellt - auch von seiner eigenen 19jährigen Tochter: "Meine Tochter war zwei Jahre alt, als der Krieg vorbei war, und sie hatte nichts von all dem mitbekommen. Diese Generation steht völlig unschuldig da. Sie finden keine Arbeit und fragen: Was wird aus uns? Sie können sich nicht den Unsinn von Leuten anhören, die sagen: Wißt Ihr, wir waren die, die damals gekämpft haben. Sie stellen einfache Fragen wie: Warum habt Ihr gekämpft, wenn wir jetzt all diese Probleme haben? Wer hat euch in den Krieg geschickt? Oder wie meine Tochter, die mich fragte, wie es passieren konnte, daß wir Schwarzen damals fünf Millionen waren, und die Weißen waren nur 150.000 und haben uns unterdrückt. Sie konnte nicht verstehen, wie fünf Millionen unterdrückt werden können von 150.000."

    Zwar kehrt Chenjerai Hove immer wieder zum Befreiungskampf zurück - das ist sein Lebensthema. Aber er wendet sich auch neuen Fragen zu: dem Dasein in der Hauptstadt Harare etwa in seinem Buch "Stadtgeflüster - Skizzen aus einer afrikanischen Metropole". Bissig, witzig, unterhaltsam, - gut zu lesen auch für Leute, für die Afrika bisher noch weit weg ist.

    Während Zimbabwe nach seiner Unabhängigkeit einen literarischen Aufbruch erlebte, ist Ähnliches aus Südafrika heute, vier Jahre nach den ersten demokratischen Wahlen, nicht zu vermelden. Nadine Gordimer, Breyten Breytenbach und André Brink waren literarische Institutionen gegen die Apartheid - und allesamt weiß. Jüngere Autorinnen und Autoren können sich erst langsam bemerkbar machen.

    In Südafrika Aufsehen erregt hat der erste Roman von Mark Behr, der einen schonungslos entlarvenden Blick in die Welt der Buren, des selbsternannten Herrenvolkes der Apartheidgesellschaft, wirft. Auf deutsch ist sein Buch gerade unter dem Titel "Krokodile weinen nicht" erschienen. Schon 1987 in englischer Sprache, aber erst 1997 auf deutsch herausgekommen sind die Erzählungen von Zoe Wicomb "In Kapstadt kannst du nicht verloren gehen." In Zoe Wicombs Geschichten spielen feine Unterschiede, Andeutungen und Nuancen die entscheidende Rolle. Sie prägen die Gratwanderung der farbigen Bevölkerung zwischen Schwarz und Weiß in Südafrikas Rassentrennungspolitik, bei der alle gegen alle aufgehetzt wurden, um die Vorherrschaft der weißen Minderheit zu erhalten. "Das war die verfeinerte Form der Apartheid, daß sie die Trennlinie nicht nur zwischen Schwarz und Weiß zogen, sondern daß sie auch zwischen den schwarzen Bevölkerungsgruppen spalteten", so Zoe Wicomb. "Da gab es dann Zulus undsoweiter. Die sogenannten Farbigen, zu denen ich gehöre, haben sie als Puffer benutzt. Wir waren privilegierter als die Schwarzen, aber ich habe das nicht akzeptiert. Während der revolutionären Jahre verschwanden diese Unterschiede in dem Sinne, daß wir Farbigen uns auch als Schwarze in Südafrika verstanden. Seit Südafrika unabhängig ist, sind die Unterschiede übrigens wieder sichtbar geworden. Als ich das Buch "In Kapstadt kannst du nicht verlorengehen" schrieb, war ich mir gar nicht bewußt, daß es darin um die Identität von Farbigen ging, denn damals habe ich nicht daran gedacht, daß es eine farbige Identität geben könnte. Es war im Nachhinein sehr interesssant festzustellen, als ich mein Buch las, daß es genau darum geht."

    Mark Behr: Krokodile weinen nicht (Ullstein, 14,90) Tsitsi Dangarebga: Der Preis der Freiheit (Rowohlt, 12,90 Mark) Nurruddin Farah: Maps (Ammann, 46 Mark) Aus einer gekrümmten Rippe (Lamuv, 17,80 Mark) Chenjerai Hove: Stadtgeflüster. Skizzen aus einer afrikanischen Metropole (dipa, 24 Mark) Zoe Wicomb: In Kapstadt kannst du nicht verlorengehen (Lamuv, 22,80)