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Bücher für Erstleser

Das erste Buch sollte etwas ganz besonderes sein: Gut geschrieben und Lust nach mehr wecken. Bücher für Erstleser über Mut, Abschied und Trauer, trotzige Kinder und voll witziger Geschichten.

Von Simone Hamm |
    Es ist ein ganz besonderer Augenblick, wenn ein Kind zum ersten Mal ein Buch liest, ganz allein. Und so sollten auch die Bücher sein für die, die zum ersten Mal ein Buch in die Hand nehmen. Geschrieben von Autoren, die auch die aller kleinsten Leser ernst nehmen. Die ihnen ferne Kontinente eröffnen wie Hermann Schulz, sie in ein Märchenland führen wie Jutta Richter, in Tierwelten wie Hanna Johansen und Catharina Valckx, ins Reich der Fantasie wie Eva Ibbotson oder in die Kleinstädte Flanderns wie Bart Moeyaert. Autoren, die sich der Realität und deren Problemen nicht verschließen und die doch mit Witz und Herz und Humor schreiben. Und vor allem: Autoren, die gut schreiben.

    Da gibt es weder Ponyhofidylle noch die Geschichte der alleinerziehenden, alkoholabhängigen Mutter, die den übergriffigen, arbeitslosen Vater vor die Tür gesetzt hat. Weder freche Mädchen in pinkfarbenen Ballettröckchen noch verlorene Migrantenkinder, die gemobbt werden.

    "Ich werde ziemlich traurig, wenn ich eine Buchhandlung besuche.

    Wenn man jetzt in eine Buchhandlung geht, muss man um sehr viel Haufen "Bis(s) zum Morgenrot" und sehr viel Vampire und sehr viel Fantasy laufen. Und guck mal, wie klein der Schrank ist, wo die Literatur für Kinder und Jugendliche steht. Es ist ein kleines Schränkchen und das Angebot ist dünn, sehr dünn. Und das finde ich beunruhigend. Auf einmal fangen Erwachsene an zu denken: Ah, Jugendbuchliteratur ist Vampire, Kinderliteratur ist Prinzessin Lillifee. Schön, es muss da sein, wirklich, das meine ich, das finde ich auch. Aber wo ist die Harmonie?","

    fragt der Flame Bart Moeyart. Gleich zwei neue Bücher gibt es von ihm. Bücher mit kurzen Geschichten. Um Mut geht es in "Mut für drei", in "Du bist da, du bist fort" geht es um Abschied.

    "Der Brief lag auf der Türschwelle. Nur Rosi sah ihn. Er war weiß und geschlossen. Das konnte sie sofort sehen. Sie lief darum herum. Sie setzte sich daneben. Fast hätte sie ihn aufgehoben. Dann überlegte sie es sich. Der Brief war nicht von ihr. Und er war auch nicht für sie. Also nicht, dachte Rosi. Sie ging weiter. Nur ein paar Schritte. Sie blieb stehen, weil sie nicht anders konnte. Der Brief wollte mit ihr mit."

    So fängt Bart Moeyaerts Geschichte "Der Brief" aus "Mut für drei" an. Eigentlich ist gar nichts Besonderes geschehen. Ein Mädchen hat einen Brief gefunden. Er ist gerichtet an "Mein Herz. In dem Gärtchen Nr. 1", geschrieben von "dem Mann Deines Lebens". Sie nimmt den Brief schließlich mit. Obwohl die Mutter es ihr streng verboten hat, versucht sie, den Brief zu öffnen, wird prompt dabei von der Mutter erwischt und gezwungen, den Brief beim Adressaten abzugeben. Ein hübscher Mann mit schönen blonden Haaren öffnet die Tür. Er liest den Brief, er strahlt, er freut sich.

    ""Aber auf der letzten Seite ist es offenbar so, dass es ein Brief von einem Mann an einen anderen Mann ist. Und das wunderbar Schöne ist, dass Kinder das nicht bemerken."

    Da wird keine große Problematik aufbereitet, in einem kleinen Nebensatz erfahren wir, dass ein Mann die Tür geöffnet hat. Moeyaert ist ein Meister der leisen Worte.

    "Es muss auch deutlich gemacht werden, dass die kleine Spannung, diese innerliche Spannung auch sehr spannend sein kann. Ich denke, das ist notwendiger als die äußerliche Spannung. Wenn man Fernsehprogramme anguckt, geht es schnell. Spannend. Es muss Änderungen geben, immer wieder. Aber diese leisen Gefühle - leise, das Wort verwende ich, weil es innerlich ist, müssen auch da sein."

    Ein Junge gräbt eine Grube im Salatbeet der Mutter. Die ist zornig und schimpft, sie wolle ihn nie mehr sehen. Jedes Kind kennt dieses Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein, weglaufen zu wollen. Der Junge gräbt sich eine Grube im Wald. Da will er leben. Und - da ist noch ein Junge, der hat sich ein Baumhaus gebaut. Verletzte, trotzige Kinder, wild und sehr sympathisch.

    "Ich gehe zurück in meine eigene Kindheit. Und zwar immer. Ich komme aus einer großen Familie, bin der Jüngste von sieben Brüdern. Und diese Brüder haben immer Hütten gebaut. Das war schön. Ich war immer dabei. Ich kann sagen, ich war dabei. Aber ich gehörte nicht dazu. Ich spielte ganz oft alleine und war sozusagen beweglich, ich wollte Dinge tun. Und habe auch Gruben gemacht und Häuser gemacht und drum herum, weil ich da wohnen wollte."

    Vielleicht ist das das Geheimnis guter Kinderbuchautoren, dass sie nie vergessen haben, wie es war, ein Kind zu sein, dass sie aus keiner anderen Perspektive schreiben als der des Kindes.

    "Eines Tages habe ich eine Grube gemacht an einer Stelle, wo ich keine Gruben machen durfte, und ich erinnere mich ganz klar und deutlich, dass meine Mutter sagte, ich will Dich nicht mehr sehen. Und ich dachte auch, dass sie das meinte. Ich dachte, ich muss wegziehen, ein eigenes Haus bauen, eine Hütte."

    Moeyaerts zweites Buch "Du bist da, du bist fort" ist ungleich ernster, denn es geht um Verlassen werden, um Tod, um Fortgehen und um die Hoffnung auf ein Wiedersehen. Moeyaert erzählt von einem ertrunkenen achtjährigen Mädchen und von den Fragen, die sich ein gleichaltriges Mädchen stellt, was ist denn der Tod?

    "Wirklich weg ist nicht so weit" handelt von Luises Vater, der zu viel Alkohol trinkt. Jetzt ist er weg. Wenn er wiederkommt, wird es ihm besser gehen. Dann braucht sie sich nicht mehr zu ängstigen vor seinen Wutausbrüchen. Aber da ist ein anderes Gefühl, was in Luise hochkriecht:

    "Plötzlich dringt es zu ihr durch. Sie weiß, dass sie Papa vermisst. Plötzlich weiß sie es ganz genau. Er schreit mit seiner lauten Stimme. Er wischt Teller vom Tisch. Er liebt Streit und Wein. Trotzdem vermisst sie ihn. Papa gehört zu Luise."

    Bart Moeyaert schafft es, in ganz einfachen, kurzen Sätzen die Ambivalenz eines Kindes aufzuzeigen. Die Trauer um den Verlust, und sei er nur temporär, wiegt schwer. Und das kommt ganz ohne Pathos daher. Undramatisch. In Moeyaerts "leisen" Sätzen. Rotraut Susanne Berner hat die beiden Moeyaert Bücher illustriert, mit kräftigem Schwung, mit witzigen kleinen Details. So nimmt die Traurigkeit niemals überhand.

    Traurig ist auch Marte. Sie kann steppen. Doch dann ist Arjan in ihre Straße gezogen und er ist bald der Star der Gasse. Wenn er singt, treten alle vor die Tür. Arjans Eltern platzen fast vor Freude. Beim alljährlichen Straßenfest soll er singen. Und Marte soll dazu tanzen. Er als Engel, sie als Biene verkleidet. Die Biene hat einen roten Stachel, der Engel einen roten Heiligenschein. Bart Moeyaert hat die Geschichte aus der Perspektive Martes erzählt, in der Ich-Form.

    "Ich glühte vor Stolz. Mir wurde ganz heiß von innen. Ich grüßte mindestens dreimal. Dann bekam Arjan einen Strauß Blumen ... Ich bekam keine. Das war alles andere als schön... Ich stand ganz allein auf der Bühne. Die Komplimente, die Küsse, alles ging an Arjan. Er war der Stern. Das wusste ich plötzlich. Ich war nie der Stern gewesen. Ich hätte es wissen können."

    "Aber das Mädchen bekommt doch Applaus. Sie muss es annehmen. Sie sieht es nicht. Sie hört es nicht. Sie denkt, er ist besser. Es geht nicht um besser. Es geht um Dich selbst gut finden."

    Und letztlich geht es darum bei allen Büchern des Flamen Bart Moeyaert. Rasend komisch sind die Kurzgeschichten der in Wien geborenen, in Newcastle lebenden Eva Ibbotson. Das Ungeheuer, das nicht Mami sagen will, nicht Mami sagen zu der ewig nörgelnden Frau. Was soll nur aus ihm werden? Statt raus zu gehen und jemanden zu ertränken, sitzt es gemütlich in einem Eimer und weigert sich, Mama zu sagen.

    Eine feine, langmähnige Hundedame aus der Stadt will nicht auf die Dorfhunde hören, die sie bitten, ganz leise zu sein, wenn sie an einem großen Stein vorübergehen. Sie lärmt und hebt sogar ihr Bein an dem Stein, wird vom Stein gefressen und wieder ausgespuckt - ohne Haare. Er hat ihr das Fell über die Ohren gezogen. Ein bisschen Moral ist immer dabei bei Eva Ibbotson, aber ihre Geschichten sind so skurril, so witzig, dass man gern weiter liest.

    Drei Schotten, einer einbeinig, einer übergewichtig, einer mit karierter Tasche, wollen einen gefährlichen Monstervogel jagen, der Schafe reißt. Sie verkleiden sich als Schafe. So wollen sie den Vogel anlocken und dann erschießen.

    "McDuff sah nicht wie ein Schaf aus, weil ein Schaf mit Holzbein eher selten ist. McCallum sah nicht wie ein Schaf aus, weil sein Schwabbelbauch rosa unter dem Fell hervorquoll und er eher einer geplatzten Wurst ähnelte. Und McGregor sah schon überhaupt nicht aus wie ein Schaf, da er vergessen hatte, seine Jagdtasche abzulegen, und Schafe gemeinhin nicht mit Taschen herumlaufen."

    Sabine Büchners Zeichnungen unterstreichen noch den Witz von Eva Ibbotson. Stolz lässt sich die Hundedame tragen. Eher lustig als gefährlich wirken die Monster und völlig verdattert sind die Schotten. Ein Buch für all die, die gern herzhaft lachen.

    Der Moritz Verlag wird zurecht gerühmt für seine Bilderbücher. In Frankreich, wo viele der bei Moritz verlegten Bücher herkommen, sind Bilderbücher nicht nur für die aller Kleinsten gedacht.

    Schöne Bilder und wenig Text, das wäre eigentlich ideal für jedes Kind, das zu lesen beginnt. (Und überhaupt für alle Leser, die sich eine kindliche Neugier bewahrt haben.) Doch in Deutschland liest man offenbar anders. Mehr Text, weniger Bilder sollen es für die ganz jungen Leser sein.

    Jetzt bringt der Moritz Verlag eine Reihe für "Erstleser" heraus.

    "Der unglaubliche Sansibar" ist eine Geschichte von einem Raben, der einmal, ein einziges Mal berühmt sein möchte. Einmal, ein einziges Mal soll etwas über ihn in der Zeitung berichtet werden - mit Bild. Denn er kann ein Dromedar stemmen. Er kann also etwas und keiner glaubt ihm. Catharina Valckx hat die bekannte Geschichte, dass jemand vorgibt, etwas zu können und doch nur ein Angeber ist, dem die anderen schließlich auf die Schliche kommen, einfach rumgedreht. Und sie hat kleine Bleistiftzeichnungen dazu gemacht, die wie Kinderzeichnungen wirken sollen. Sansibar geht in die Redaktion der örtlichen Zeitung und spricht mit Achilles Tratsch, der Eidechse.


    "Ich habe mit einem einzigen Flügel ein Dromedar hochgehoben.", erklärt Sansibar. Achilles Tratsch schiebt die Brille hoch. "Ein was?" "Ein Dromedar." Hören Sie", sagt die Eidechse und legt ihren Stift zur Seite. "Ein bisschen Fantasie finde ich ja ganz in Ordnung. Aber ein Rabe, der ein Dromedar hochhebt, nein. Sie dürfen meine Leser nicht für Dummköpfe halten."

    Der unglaubliche Sansibar erscheint wie ein Aufschneider. Bis er den Beweis antreten kann, dass er wirklich mit einem einzigen Flügel ein Dromedar anheben kann, wird er so nervös, dass er die Bratkartoffeln anbrennen lässt und die beste Freundin verwirrt ist. Wie weit geht man denn, um für einen Tag ein Star zu sein?

    Im tiefen Wald lebt eine Hexe. Karla. Sie strickt rote Socken und sammelt Geschichten. In der lauten, großen Stadt lebt ein Kohlenträger. Robert. Er bringt die Kohlen zu den alten Menschen und er sammelt Geschichten. Er ist traurig, denn seine Hände sind immer schmutzig. Und weil er sie immer verbirgt, und nicht tanzen will, findet er keine Braut. "Hexenwald und Zaubersocke" ist ein modernes Märchen von Jutta Richter.

    Die alten Damen, zu denen der Kohleträger kommt, schenken ihm gern etwas: selbst gemachte Himbeermarmelade oder eine Flasche Kirschlikör oder Kompott. Eine der alten Damen schenkt ihm ein paar rote Socken, Socken, die Karla gestrickt hat. Wie magisch fühlt Robert sich in den Wald, zu ihr hingezogen. Wenn der Sommer aus dem Wald geht, dann kommt das arme Dier. Es besteht ganz und gar aus Traurigkeit. Und Karla wird kalt ums Herz, jedes Jahr im Herbst. Doch in diesem Jahr es anders. Robert kommt zu ihr. Sie erzählen einander Geschichten, die sie gesammelt haben:

    "Es ist schwer, allein zu sein", sagte sie nach einer Weile."Man wird mit der Zeit wunderlich und es ist niemand da, der einem das sagt. Dann sieht man einen Frosch und denkt, es sei ein Prinz."
    Robert fühlte einen kleinen, wehen Stich. Er betrachtete seine schwarzen Hände."Da, wo ich herkomme, ist es umgekehrt," sagte er. "Da sind die Menschen nicht oft allein. Sie rennen hin und rennen her, überall spielen Radios, und die Fernseher flimmern. Da, wo ich herkomme, gibt es so viele Bilder, dass die Leute fast blind sind. Wenn sie einem Prinzen begegnen, merken sie es nicht. Sie schauen nicht genau hin, und wenn der Prinz eine grüne Jacke anhat, denken sie, es sei ein Frosch."


    Dann muss Robert zurück in die Stadt. Zum Kohlehändler. Das arme Dier kommt zu ihm. Das arme Dier ist ein Ausdruck, den die Rheinländer, die Münsterländer kennen. Er häd et ärm dier. Das arme Dier: Die Melancholie. Das Selbstmitleid. Diese Gefühle sind auch Kindern nicht fremd. Jutta Richter hat ein wunderbares Bild dafür gefunden. Ein kleines, scheinbar scheues graues Wesen mit großen Kulleraugen hockt am Wegesrand. Doch wenn man es berührt, wird es zur reißenden Bestie. Es beißt. Es fügt Schmerzen zu. Und Robert und Karla erkennen, dass sie nur gemeinsam glücklich sein können. Und fahren fort, sich Geschichten zu erzählen.

    Jutta Richters modernen Märchen handelt von Hexen, weisen Frauen, schmutzigen Händen, von Vorurteilen, von Prinzen und Fröschen, vom Alleinsein, von der Trauer und dem Glück, von der Melancholie, von Vorurteilen, vom Trost und: von der Wahrheit. Was ist wahr daran? In jeder Geschichte, so sagt eine alte Dame in Jutta Richters Hexenwald und Zaubersocke, gibt es eine Wahrheit. Und nichts, soviel sei hier verraten, ist so, wie es scheint.

    "Die richtige Wahrheit muss man erkennen."

    Der Amselvater Mario sucht und findet eine Amselfrau und bewacht schließlich die Eier im Nest. Als die kleinen Amseln geschlüpft sind, sucht er Würmer. Aber "etwas fehlt". Und er weiß nicht was. Und er sucht danach. Und wird ganz melancholisch. Bis zu dem Tag, als er hört, wie ein kleines Mädchen Blockflöte spielt: "Wenn ich ein Vöglein wär". Das ist es. Dieses Lied spielen zu können, das wäre es. Jetzt übt er Tag und Nacht, bis er es flöten kann.

    Mit leiser Ironie hat Hanna Johansen eine kleine, leichte Geschichte geschrieben, die nur auf den ersten Blick wie eine idyllische Tiergeschichte erscheint. Der Garten ist kein Paradies, da leben die getigerte Katze und die Elster, die Vogeleier stiehlt. Und der Amselvater verguckt sich in eine andere Amselfrau. Die Amselfrau bleibt nicht untätig auf den Eiern hocken, sie verscheucht die Rivalin.

    "Schade, dachte Mario. Aber das sagte er nicht. Seine Frau flog zum Nest zurück, um weiterzubrüten. Er flog zum Rasen, um Regenwürmer zu suchen. Und als der Abend kam, flog er auf die Birke, um zu singen. Er übte weiter. Er übte und übte."

    Hildegard Müller hat die Amselgeschichte mit dicken Kohle- und Bleistiftstrichen illustriert: die schwarzen Amseln mit den gelben Schnäbeln und die dicke gelb/schwarz getigerte Katze und das kleine Mädchen mit dem wilden Haarschopf. Hanna Johansens Tiergeschichte hat alle Ingredienzien aus dem richtigen Leben: Verantwortung, Liebe, ein kleiner Seitenblick, große Gefahr.

    Mandela und Nelson, das sind elfjährige Zwillinge aus Südafrika, geboren an 9.Mai 1994, an dem Tag, an dem Nelson Mandela Präsident von Südafrika wurde. Auch in Tansania ist man stolz darauf, dass zum ersten Mal ein Schwarzer in Südafrika regiert. Und weil man in Afrika freier mit Namen umgeht als hierzulande, sind die Kinder nach dem großen Präsidenten benannt worden.

    Mandela ist eine halbe Stunde älter als ihr Bruder Nelson, der Ich-Erzähler. Sie leben in Tansania. Beide spielen begeistert Fußball. Auf einem holprigen Rasen, über den die Kuhherden trampeln. Barfuß. Mit löchrigen Tornetzen.

    Hermann Schulz wurde in Afrika geboren und kehrt immer wieder dorthin zurück. Er liebt die magischen Erzählungen Afrikas. Er hat sein Buch "Mandela und Nelson" vor allem für Jungen geschrieben. Denn die läsen immer weniger.

    "Das kommt daher, dass inzwischen 80 Prozent der Autoren der Kinder- und Jugendbücher Frauen sind und dass es immer weniger Autoren gibt, die, sagen wir mal, männliche Bücher schreiben, Geschichten erzählen, die ein bisschen handfest sind, ohne dass sie jedoch machohaft sind. Und ich denke, das ist ein großes Defizit und das hindert die Jungen auch daran zu lesen.

    Ich habe meinen elfjährigen Enkel gefragt, sag' mal, warum hast Du dieses und jenes nicht gelesen? Sagt er, das ist mir zu viel Gequatsche. Und als ich nachfragte, was meinst Du damit, dann sagt er, ach ja, dann ist die Freundin verliebt und die Freundin liebt den gleichen Jungen und dann streiten sie sich und zanken und reden nicht mehr miteinander und dann geht die Freundschaft kaputt. Jungen mögen das nicht."

    Deutsche Kinder kommen nach Tansania, eine ganze Fußballmannschaft aus Dortmund. Und die wollen gegen den Verein von Nelson und Mandela spielen. Nelson trommelt die Spieler zusammen, den faulen Torwart, die eitlen kichernden Mädchen und den Libero Said:

    "Ich bewunderte ihn, denn niemals hatte ich jemanden getroffen, der schneller und sauberer große und kleine Fische putzen konnte. Said war ein Meister im Fischeputzen und in unserer Fußballmannschaft der beste Libero. Niemand hatte originellere Ideen, die gegnerische Mannschaft auszutricksen oder gefährliche Pässe zu spielen! Leider hatte er wenig Zeit, weil er sie zum Fischeputzen brauchte."

    Saids Vater ist krank, Said unterstützt die Familie. Zur Schule geht er auch nicht mehr. Hermann Schulz beschönigt nichts. In seinem Buch gibt es bettelnde Kinder, die keine Möglichkeit haben zur Schule zu gehen. Dennoch zeigt er kein trauriges, elendes Afrika. Er zeigt Kinder, die sich nicht unterkriegen lassen, die lachen und fröhlich sind und kämpfen.

    "Afrika ist ein Kontinent voller Widersprüche. Aber man darf bei aller Skandalisierung und allen schlimmen Meldungen nicht übersehen, dass Afrika aus sich heraus lebt, dass es unglaubliche Kräfte entwickeln kann, unglaubliche Kreativität und Lebensfreude und dass das ein Kapital ist.

    Diese Kinder, die ich beschreibe, die sind nie in der Abhängigkeit der Erwachsenen, sondern sie haben eigene Lebensziele, eigene Themen und sie haben Hoffnungen und Visionen für ihre eigene Zukunft und vor allem haben sie die Power ihren Alltag zu bestehen und dazu gehört einfach eine ganze Menge."

    Humorvoll zeichnet Schulz die Afrikaner, bisweilen ironisch. Einer von ihnen, Sosovele, hat es wirklich geschafft, war Fußballprofi in Italien. Jetzt ist er zurückgekommen und verspricht, die Kinder zu trainieren. Aber dazu kommt es nicht. Er ist viel zu beschäftigt:

    "Als ich ankam, saß Sosovele im Vorgarten seines Bungalows, ganz allein, in einem Liegestuhl. Er hatte eine kurze schwarze Hose an, ein schwarzes T - Shirt, auf der Nase eine schwarze Sonnenbrille mit noch schwärzeren Gläsern, die ein bisschen spiegelten. In der Hand hielt er ein Glas mit Orangensaft und er nuckelte an einem Strohhalm. So sieht bei uns ein Luxusleben aus, wenn ein Fußballer genug Geld verdient hat."

    Die Kinder schaffen es auch ohne ihn. Es gilt, die Spieler zusammenzurufen, die Tornetze zu flicken, den Platz zu bewachen, damit die Kühe keine Fladen legen vorm großen Spiel.

    "Sie können sich kaum vorstellen, wie das ist, auf einem steinigen Acker Fußball zu spielen, sich die Bälle selbst aus Stoffresten und Plastiktüten zusammenzunähen und keine Seitenlinien zu kennen. Aber die Begeisterung mit der sie das tuen, das hat mir sehr imponiert."

    Linien muss man ziehen, weiße Linien, Linien aus Sand:

    "Ich überlegte, wie wir es hinkriegen würden, die Linien ganz gerade zu ziehen, wie ich sie auf den Fußballplätzen im Fernsehen gesehen hatte. Ich wusste nicht, wie die Weißen so gerade Linien hinkriegten. Wenn es um gerade Linien ging, waren sie wahre Meister. Wenn aber etwas schief sein sollte, machte uns Afrikanern keiner was vor."

    Und auch nicht, wenn es darum geht, bei 35 Grad im Schatten guten Fußball zu spielen. Was für ein Rezept hat Hermann Schulz, der ja einer der bekanntesten deutschen Kinderbuchautoren ist? Wie geht er vor, wenn er Kinderbücher schreibt?

    "Für mich ist immer die Geschichte entscheidend. Und wenn sich eine Geschichte bei mir meldet - und manchmal habe ich den Eindruck, dass sich Erlebnisse aus 60 Lebensjahren wie so kleine Singvögelchen in einem großen Buch niedergelassen haben. Und nach und nach melden sie sich. Ich weiß vorher nie, wird es ein Kinderbuch, wird es ein Jugendbuch oder ein Erwachsenenbuch. Da ich die Kindheit und Jugend für den spannendsten Teil unseres Lebens halte, auch meines eigenen, ist es zunehmend dazu gekommen, dass ich Kinderromane geschrieben habe, weil das etwas für mich ist, was eine ganz bestimmte Magie und einen ganz bestimmten Zauber hat."

    Die Kinder aus Tansania wollen ebenso im Fußball gewinnen, wie die deutschen. Der Amsel fehlt etwas. Der Rabe kann etwas, was ihm keiner glaubt. Das Hündchen traut sich etwas zu, was es eben nicht kann. Die Hexe und der Kohlenjunge sind einsam. Die flandrischen Kinder fühlen sich bisweilen verlassen. All das sind Gefühle, die Kinder bewegen und die sie nachvollziehen können; Gefühle, verpackt in gute Geschichten. So ist es aufregend, lesen zu üben.


    Bart Moeyaert: "Mut für drei". Hanser Verlag, 72 Seiten

    Bart Moeyaert: "Du bist da, du bist fort", Hanser Verlag, 105 Seiten

    Eva Ibbotson: "Das Ungeheuer, das nicht Mami sagen konnte", Dressler Verlag, 89 Seiten

    Catharina Valckx: "Der unglaubliche Sansibar". Reihe für "Erstleser", Moritz Verlag, 64 Seiten

    Jutta Richter: "Hexenwald und Zaubersocke". Hanser Verlag, 87 Seiten

    Hanna Johansen: "Wenn ich ein Vöglein wär". Hanser Verlag, 92 Seiten

    Hermann Schulz: "Mandela und Nelson: Das Länderspiel", Carlsen Verlag GmbH; Auflage: 4, 128 Seiten